50 Jahre in einem Beruf - das werden die wenigsten der heute ins Berufsleben startenden Menschen hinbekommen. In einer sprunghaften und schnelllebigen Zeit sind auch im Berufsleben Flexibilität und der stetige Wandel angesagt.
Doch auch Herbert Schmitt hat in seinem Berufsleben einen teilweise rasanten Wandel erlebt. Und das, obwohl er zeitlebens in ein und demselben Wald, dem Lohrer Stadtwald, gearbeitet hat. Blickt er zurück, so kann er von Gegebenheiten erzählen, die heute für viele kaum vorstellbar sind.
Die Liebe zum Wald wurde Herbert Schmitt quasi in die Wiege gelegt. Bereits sein Vater Josef Schmitt war Förster im Stadtwald. Im Jahr 1914 hatte er als 13-Jähriger mit der Waldarbeit angefangen. Vierzig Jahre später sollte die Leidenschaft für den Wald seinen Sohn Herbert in einem ähnlichen Alter packen. "Ab der sechsten Klasse wollte ich nur noch in den Wald", blickt Schmitt zurück. Er schwänzte die Schule, um bei Jagden dabei zu sein. "Da hab ich meine erste Limo gekriegt", erinnert er sich heute an die Treibjagden, bei denen Ende der 40er Jahre noch amerikanische Militärs die Hoheit hatten.
Wann immer es ging begleitete Herbert Schmitt seinen Vater in den Wald. Sein Weg war somit vorgezeichnet. 1956 begann er die Lehre zum Waldarbeiter. Dass der Sohn in die Fußstapfen des Vaters trat, machte diesen stolz. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete Schmitt junior ab 1960 zunächst als Holzhauer im Stadtwald, gemeinsam mit seinem Onkel, dem Haumeister Nikolaus Schmitt, seinem Cousin Michael Schmitt und seinem Schwager Ernst Gezelka.
Lange Fußmärsche am Morgen
Dabei war die Waldarbeit vor 50 Jahren etwas ganz anderes als heute. Das ging schon am Morgen los. Im Stadtwald gab es kaum ausgebaute Wege. Da Autos und motorisierte Fahrzeuge Mangelware waren, begann der Arbeitstag meist mit einem langen Fußmarsch. Mit der geschulterten Axt und der Säge in der Hand liefen die damals ausschließlich aus Lohr, Wombach, Rechtenbach, Ruppertshütten und Partenstein stammenden Waldarbeiter der Stadt jeden Tag zu ihrem Arbeitsplatz. Das dauerte nicht selten stundenlang. "Bei Schnee haben wir uns mit dem Treten der Spur abgewechselt", erinnert sich Schmitt an Waldarbeiter-Kolonnen, die im Gänsemarsch dahin zogen.
Trotz der harten Arbeit waren Stellen im Forst nach dem Krieg sehr begehrt. Viele Flüchtlinge aus dem Böhmerwald hätten nach dem Krieg im Forst eine Anstellung gesucht. Daneben seien zum Beispiel Tüncher und andere Berufssparten, die nur im Sommer Arbeit hatten, im Winter auf den Verdienst im Wald angewiesen gewesen, so Schmitt.
Motorsäge ließ die Arme zittern
Bei der Waldarbeit selbst ging es im Vergleich zu heute relativ ruhig zu. Denn Motorsägen gab es in den 50er Jahren noch keine. Mit Handsäge und Axt brachten die Waldarbeiter die Bäume in die Horizontale. Noch mehr als heute war die Arbeit im Wald körperliche Schwerstarbeit. Wege wurden nicht von Maschinen sondern in Handarbeit gebaut. Die Handschuhe waren selbstgestrickt. Schutzkleidung oder Helme gab es nicht.
An den Einzug der Motorsäge in den Wald kann sich Schmitt noch gut erinnern. "3,5 PS und am Abend haben die Arme gezittert", blickt der heute 64-Jährige zurück.
Pferde statt Rückemaschine
Auch beim Holztransport hat Schmitt noch die nicht motorisierten Zeiten erlebt. Das Holz wurde entweder von Menschenhand oder mit dem Pferd an die wenigen befestigten Wege transportiert. Von dort ging es per Pferdefuhrwerk in die Stadt. Während heute auch der Holzmarkt globalisiert ist, landete das Stammholz damals zum Großteil in hiesigen Sägewerken. Die ersten Schlepper und Seilwinden tauchten in den 60er Jahren im Forst auf. Insgesamt, so sagt Schmitt heute, hat "im Wald mit der Motorsäge die Veränderung begonnen".
"Mit der Motorsäge hat die Veränderung begonnen"
Förster Herbert Schmitt über den Wandel in der Forstwirtschaft
Zu diesem Zeitpunkt war Herbert Schmitt nach der Absolvierung der Forstschule bereits Förster. Das Fahrrad, das er sich in den 50er Jahren für 180 Mark zugelegt hatte, war einer NSU 200 gewichen. Mit der kämpfte sich Schmitt über die recht holprigen Wege durch sein Revier. 1969 folgte das erste Auto, ein VW-Käfer. Dafür, dass Autos und Lastwagen im Wald überhaupt fahren konnten, hat Schmitt zu einem nicht unerheblichen Teil selbst gesorgt. Rund 55 Kilometer Waldwege wurden unter seiner Regie gebaut. "Allein in einem Jahr waren es mal zwölf Kilometer. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das gepackt haben", sagt Schmitt.
Und heute? Die Forstwirtschaft sei nicht immer leicht umzusetzen, wenn man mit Traditionen und altbewährten Arbeitsmethoden verbunden sei, sagt Schmitt. Das gelte allerdings nicht für den Waldbau. Über die Entwicklung vom vor 50 Jahren noch praktizierten Kahlschlag hin zur heute gängigen natürlichen Verjüngung der Waldbestände ist der Förster froh. Was ihn stört, ist die zunehmende Hektik ebenso wie der Einsatz großer Maschinen, die zum Teil rund um die Uhr durch den Wald dröhnen. "Unsere Nachfahren werden uns angesichts dessen, was da im Wald passiert, vielleicht einmal die Frage stellen, ob wir alles richtig gemacht haben", hegt Schmitt Zweifel an der Sinnhaftigkeit mancher Entwicklung. Insbesondere, dass im er mehr schweres Großfahrzeuge zum Einsatz kommen, betrachtet er teils mit Skepsis.
Früher deutlich mehr Personal
Insgesamt trauert Schmitt den alten Zeiten nach. Deutlich gemütlicher sei es früher zugegangen. "Der Zusammenhalt war größer", erinnert sich Schmitt an die Periode, in der in einem Revier neben elf Waldarbeitern noch zehn so genannte Kulturfrauen beschäftigt waren, die hauptsächlich mit dem Pflanzen oder Ausgrasen beschäftigt waren. Heute zähle ein Revier mitunter nur noch zwei bis drei Waldarbeiter. Den Rest der Arbeit würden Maschinen oder Unternehmer erledigen. Daran, dass zum Alltagswerkzeug eines Försters auch einmal der tragbare Computer zählen könnte, hätte Schmitt vor 50 Jahren im Traum nicht gedacht. Zumindest in diesem Punkt habe die Technik jedoch eine deutliche Arbeitserleichterung gebracht.
Dennoch "sind die schönsten Zeiten im Forst längst vorbei", blickt Schmitt mit einer ordentlichen Portion Wehmut in die 50er und 60er Jahre zurück. Dass die Erinnerung so manches verklärt, ist freilich auch ihm bewusst. Trotz der harten Arbeit und der für heutige Verhältnisse oftmals unvorstellbaren Arbeitsbedingungen seien die Menschen früher aber zufriedener gewesen: "Man hat es halt nicht anders gekannt."
Wehmut kommt bei Schmitt auch auf, wenn er an die Jagd in früheren Jahren zurückdenkt. Der Förster hat im Lohrer Stadtwald noch Auerhähne gesehen und Schnepfenjagden miterlebt. Daneben habe es damals auch deutlich mehr Rotwild als heute gegeben, erinnert sich der passionierte Waidmann. Zeitweise sei der Stadtwald sogar eingezäunt gewesen, um den Rotwildbestand besser reduzieren zu können. Als "Stift" musste Schmitt jeden Samstag den Zaun kontrollieren. Sieben Stunden sei er dafür zu Fuß unterwegs gewesen. Damals habe die Arbeitswoche noch sechs Tage und 48 Stunden gezählt.
Die Jagd wird Schmitt auch nach der Pensionierung gemeinsam mit seinen Kindern Tanja und Georg sowie dem Schwiegersohn Dietmar Sterner weiterbetreiben.
Auf diesem Weg bleibt die Verbindung zum Wald auch weiterhin erhalten, auch wenn die Zeit des Abschieds aus dem Beruf unaufhaltsam näher rückt. "Die Jüngeren wollen auch zum Zug kommen", sagt der dienstälteste Beamte der Stadt Lohr. Nach 50 Jahren, das habe er sich stets zum Ziel gemacht, "soll Schluss sein".
Wenn Schmitt Ende Oktober in den Ruhestand geht, geschieht dies "mit einem lachenden und einem weinenden Auge". Auf der einen Seite kann er dann auf einen Weg zurückblicken, den er "heute genau so wieder gehen würde". Auf der anderen Seite ist Herbert Schmitt auch froh, künftig mehr Zeit für andere Dinge zu haben, für den Garten, für ein gutes Buch oder ganz einfach für den Spaziergang mit seinem Dackel Henry. Der hat in den vergangenen 13 Jahren sein Herrchen beinahe täglich auf die Arbeit begleitet. Gemeinsam mit Schmitt geht quasi auch Henry in Rente.