Mit einem kleinen Spiegel an einem ebenso kleinem Teleskopstab schaut sich Linda Kohrmann die Federung des BMW an – es gibt keine Beanstandungen. Seit Februar macht die gebürtige Erlenbacherin beim TÜV Süd eine Ausbildung zur amtlich anerkannten Sachverständigen mit Teilbefugnissen. Eine sperrige Berufsbezeichnung, gebräuchlicher ist dafür TÜV-Prüferin. Auch das Wort Ausbildung könnte in die Irre leiten – die 28-Jährige hat schließlich bereits einen Bachelorabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen in der Tasche.
Eine Frau als Prüferin beim TÜV ist selbst im Jahr 2017 nach wie vor eine Seltenheit, Kohrmann ist im Moment die einzige, die im Bereich Main-Spessart arbeitet. „Im Raum Würzburg gibt es noch eine Kollegin“, sagt sie. Ob es schon mal komische Reaktionen von Kunden gab, wenn eine Frau das Auto prüft? „Nein“, sagt Kohrmann, „mit mir ist man bisher immer ganz normal umgegangen, ich habe noch keine negativen Erfahrungen gemacht.“
Sollte es überhaupt noch das negative Vorurteil „Frauen und Technik“ geben, würde Linda Kohrmann es ohnehin Lügen strafen. Denn mit Autos kennt sie sich so gut aus wie nur wenige Männer. Nach der Hauptschule und mittlerer Reife in Marktheidenfeld machte Kohrmann eine dreieinhalbjährige Lehre als Kfz-Mechatronikerin in Lohr. „Ich hatte schon immer Interesse an Autos“, sagt sie.
Frauen im Vormarsch
Im Mechatronikerberuf sind Frauen längst nicht mehr ungewöhnlich. „Wir waren schon im Betrieb mehrere Frauen“, so Kohrmann. Da sie in Lohr betriebsbedingt nach der Lehre nicht weiterarbeiten konnte, schloss sie noch eine Ausbildung als Fachlageristin an, um danach an der Fachoberschule das Abitur nachzumachen und sich dann an der Hochschule Aschaffenburg für das Wirtschaftsingenieurwesen einzuschreiben.
Als sie das Studium mit ihrem Bachelor abschloss, kam ihr die beim TÜV Süd ausgeschrieben Stelle gerade recht. Und noch mehr, als sie beim Bewerbungsgespräch erfuhr, dass sie neben dem Standort Würzburg auch in Marktheidenfeld eingesetzt werden soll, wo sie mittlerweile wohnt. „Das hat natürlich super gepasst“, sagt Kohrmann.
Zwei Jahre dauert die Ausbildung beim TÜV Süd zur amtlich anerkannten Sachverständigen mit Teilbefugnissen. „Es ist von Vorteil, wenn man schon Auto-affin ist und sich beruflich oder im Studium mit Autos beschäftigt hat“, erklärt die Auszubildende, „aber eine wirkliche Voraussetzung ist es nicht.“ Bewerber müssen einen Abschluss eines technischen Studiengangs haben, Kenntnisse in Fahrzeugtechnik werden dann gegebenenfalls in der Ausbildung nachgeschult.
Technisch kennt sich Linda Kohrmann mit Fahrzeugen sehr gut aus. Neu für Wirtschaftsingenieurin sind die rechlichten Vorschriften, die sie im Zuge ihrer Ausbildung lernen muss – und sie zeigt auf einen Regalmeter an Ordnern im TÜV-Süd-Büro in Marktheidenfeld. Mehrmals im Jahr muss die Auszubildende zum theoretischen Blockunterricht nach Ulm.
Dort werden den angehenden Sachverständigen die rechtlichen Grundlagen des Berufs beigebracht: Welche Änderungen dürfen beispielsweise an einem Pkw vorgenommen werden, was ist bei Schwertransportern zu prüfen – und das noch nach inländischen, ausländischen und EU-Normen. Da ihr Studium noch nicht lange her ist, fällt Kohrmann das Lernen der Theorie nicht schwer. „Viel ist es aber schon, doch es gehört einfach dazu“.
Lkw und Motorräder prüfen
Große Freude macht ihr besonders ein Teil der Ausbildung – das Fahren verschiedener Fahrzeugtypen. „Grundsätzlich müssen wir alles fahren können“, erklärt Kohrmann. Also darf – und muss – sie im Rahmen ihrer Ausbildung den Lkw- und Motorradführerschein machen. Sie wird später auch nur für Fahrzeuge zuständig sein. Die Abnahme von beispielsweise Achterbahnen machen ihre Kollegen vom Industrieservice in einer eigenen Abteilung.
Verärgerte Kunden hat die angehende Prüferin bisher kaum erlebt. „Man muss den Leute nur klar machen, dass wir nichts gegen sie haben, sondern nur nach den Gesetzen prüfen – und die dienen der Sicherheit. Das verstehen dann eigentlich alle.“