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Eine schicksalhafte Notlandung im Spessart

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Eine schicksalhafte Notlandung im Spessart

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    Erinnerungen: Der Rengersbrunner Alois Müller mit der Kamera, mit der
er am 13. September 1944 ein Foto des amerikanischen Bombers schoss,
der bei Ruppertshütten notgelandet war.
    Erinnerungen: Der Rengersbrunner Alois Müller mit der Kamera, mit der er am 13. September 1944 ein Foto des amerikanischen Bombers schoss, der bei Ruppertshütten notgelandet war. Foto: FOTO SEBASTIAN INDERWIES

    "Es war ein Tag wie jeder andere", berichtet Helmut Weis. Viele Ruppertshüttener gingen auf ihre Felder und Äcker. Andere hüteten Schweine, Kühe oder sonstige Haustiere auf den Wiesen. Der damals zwölf Jahre alte Weis war um die Mittagszeit mit einigen Arbeiten auf dem väterlichen Hof beschäftigt, als er ein viermotoriges Flugzeug am Horizont erblickte. "Der Flieger kam aus Richtung Gemünden und hatte bereits stark an Höhe verloren", erinnert sich der heute 72-Jährige. "Dicke Rauchschwaden" seien erkennbar gewesen, als die Maschine in Richtung "Geisköppel" (Bayrische Schanz) flog.

    Auch der damals ebenfalls zwölf Jahre alte Arnold Lang, der auf dem Grundstück seines Großvaters Äpfel erntete, beobachtete die "tief fliegende Maschine". Der Bomber sei nur einige dutzend Meter über seinem Kopf hinweg geflogen, und nach etwa 1000 Metern auf einer Wiese zu Boden gegangen.

    "Ich wusste, dass hier etwas Schreckliches passiert sein musste, und rannte sofort nach Hause", erinnert sich der heute in Rieneck lebende Lang. Nach einigen Minuten seien ihm bereits Dutzende von Schaulustigen entgegengekommen, welche zum Absturzort des Bombers eilten.

    Einer davon war Theobald Wenzel. Zusammen mit einigen Schulkameraden war er einer der ersten, welche an die Unglücksstelle gelangten. Laut dem 73 Jahre alten Ruppertshüttener hatte die viermotorige Maschine die Notlandung relativ unbeschadet überstanden. "Das Cockpit des Bombers lag zwar einige Meter abgetrennt vom Flugzeugrumpf entfernt", doch sonst habe die Maschine außer einigen Schrammen keinen Schaden genommen.

    Interessiert begutachteten die Jugendlichen die Maschine. Bald stellten sie fest, dass die Flugzeuginsassen den Bomber längst verlassen hatten. Lediglich einige Blutspuren deuteten darauf hin, dass die verletzten Amerikaner in den nahe gelegenen Wald geflüchtet waren.

    Auch einige leuchtend gelbe, kugelförmige Früchte entdeckten die Jugendlichen im Gras neben dem Wrack. Neugierig griff Theobald Wenzel nach dem fremdartigen Obst. So kam es, dass er mit 14 Jahren die erste Orange seines Lebens essen konnte.

    Immer mehr Menschen strömten zur Unglücksstelle. Später rückten mit ihnen auch einige Männer der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aus Würzburg an. Sie bildeten aus den Zivilisten kurzerhand einige Trupps, welche sich auf die Suche nach den geflohenen Insassen der Maschine machen sollten. In der Nähe der bayrischen Schanz wurden sie fündig. Die Gestapo nahm dort vier amerikanische Soldaten fest. Die Ortskrankenschwester Anna Warmuth eilte mit ihrer Erste-Hilfe-Tasche zum Ort des Geschehens. Ihr wurde jedoch untersagt, den schwerverletzten Amerikanern Hilfe zu leisten. Stattdessen verwies man sie des Platzes. Kurz darauf sollen vier Schüsse gefallen sein. Warmuth erinnerte sich später: "Bewegt sagte ein Oberleutnant zu mir: ,Jetzt haben sie die armen Jungens erschossen'".

    Der damals 17-jährige Walter Lang, der als Knecht im Ort sein Geld verdiente, wurde beauftragt, mit einem Viehgespann die leblosen Körper der Amerikaner zum örtlichen Friedhof zu bringen. "Die Leichen wurden behandelt wie ein Stück Vieh", erzählt Lang noch heute voller Entsetzen. Man habe ihnen Kleider und Schmuck abgenommen. Auch Helmut Weis erinnert sich an die "ehrlose Beerdigung" der vier Soldaten: "Die Männer wurden mit ihrem Kopf an ein Seil gebunden und fast über das gesamte Friedhofsgelände in ein etwa zwei Meter tiefes Loch gezogen." Durch die von den Soldaten entwendeten Papiere konnte laut Weis sogar einer der Toten identifiziert werden: Der deutsche Emigrant Robert Kuhn. Ein Fund des heute 68-jährigen Albin Wenzel bestätigt dies. Wenzel hatte einen Tag nach dem Flugzeugunglück unweit von der Absturzstelle die Erkennungsmarke von Robert Kuhn entdeckt. Diese gab er im Gemeindehaus ab. Seither ist sie verschwunden.

    Nachdem sich die Geschichte der Notlandung wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, strömten in den Tagen danach Horden von Neugierigen aus den umliegenden Dörfern zur Absturzstelle. Darunter war auch der zwölfjährige Alois Müller aus Rengersbrunn. Mit seiner Kamera knipste er die Maschine. "Das war natürlich strengstens verboten", erinnert er sich. Er konnte das Flugzeug nur aus großer Entfernung hinter einem seiner Freunde versteckt fotografieren.

    Nach Ende des zweiten Weltkrieges folgte bei vielen Ruppertshüttenern eine Zeit ständiger Anspannung und Angst. Die Alliierten schenkten der vom NS-Regime verbreiteten Propaganda-Lüge Glauben, wonach sich die Ruppertshüttener tapfer gegen die alliierten Eindringlinge verteidigt und alle Amerikaner erdrosselt hätten. Deshalb gaben die Amerikaner einige Tage nach dem Einmarsch Ruppertshütten offiziell zur Plünderung frei. Helmut Weis erinnert sich daran, dass die Gemeinde einige Monate von amerikaischen Truppen umstellt wurde, "und kein einziger Bürger mehr den Ort verlassen durfte."

    Sogar ein Prozess soll den Bewohnern Ruppertshüttens gemacht worden sein. Anna Warmuth konnte die alliierten Richter jedoch davon überzeugen, dass die amerikanischen Flieger nicht von Ruppertshüttenern, sondern von der Gestapo ermordet wurden.

    1948 wurde Georg Baumann, Anführer des Gestapo-Trupps, welcher 1944 nach Ruppertshütten ausgerückt war, unter anderem wegen der Ermordung der vier Amerikaner angeklagt und später hingerichtet. Dies ist den Akten der "National Archives Washington" zu entnehmen, die im bayerischen Staatsarchiv in Würzburg liegen.

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