Ein großes Ziel der Lohrer Stadtpolitik ist es, den Tourismus auszubauen. Deshalb hat die Stadt vor kurzem mit Dieter Wohlschlegel eigens einen Tourismusmanager eingestellt. In der kommenden Woche wird der neue Mann dem Stadtrat sagen, wie er Lohr touristisch besser positionieren will. Die MAIN-POST sprach vorab mit ihm über den Tourismus in Lohr, über Zielgruppen, Potenziale und sinnvolle Veränderungen in der Infrastruktur.
Frage: Herr Wohlschlegel, war Ihnen, bevor Sie nach Lohr gekommen sind, bekannt, dass Schneewittchen eine Lohrerin war?
dieter Wohlschlegel: Ganz ehrlich: nein. Ich bin erst darauf gestoßen, als ich ein bisschen im Internet recherchiert habe.
Ist die Märchenfigur das größte Pfund, mit dem Lohr beim Buhlen um Touristen wuchern kann?
Wohlschlegel: Schneewittchen ist sicher ein Baustein, auf den man touristisch aufbauen wird. Gerade, wenn man Familien als Zielgruppe im Visier hat. Da bietet die Märchenfigur ein enormes Potenzial. Schneewittchen alleine wird jedoch nicht reichen. Allein deswegen wird keiner kommen. Man muss das passende Angebot mit Atmosphäre schaffen, das vor allem Kindern ein Erlebnis bietet.
Sie sind jetzt knapp zwei Monate hier. Welchen Eindruck haben Sie bislang von der Tourismusstadt Lohr?
Wohlschlegel: Diese Stadt hat ihre Besonderheiten – eine schöne Altstadt, interessante Ecken, die sehenswerte Umgebung mit Wald und Wasser. Ich sehe ein sehr gutes Potenzial, das es weiter zu entwickeln gilt. Derzeit spielen Touristen bei den Übernachtungen eine untergeordnete Rolle. Es dominieren ganz klar die Geschäftsreisenden, was natürlich auf die hier ansässigen Firmen zurückzuführen ist. Ganz anders sieht es beim Tagestourismus aus. Hier merkt man nicht zuletzt durch den vor einigen Monaten veranstalteten Workshop für Busunternehmer eine erhöhte Resonanz.
In Deutschland gibt es viele Städte mit einer schönen Innenstadt und reichlich Natur drumherum. Womit kann man einen Touristen ausgerechnet nach Lohr locken?
Wohlschlegel: Das hängt ganz von der Zielgruppe ab. Am einfachsten wird es bei der Familie mit Kindern, eben wegen Schneewittchen. Davon lassen sich Kinder begeistern. Dann wird es allerdings schon etwas schwierig. Wir haben in Lohr einen Vorteil, den andere vielleicht nicht haben: den Dreiklang von Altstadt, Main und Wald. Das engt den Kreis der touristischen Konkurrenten schon wieder etwas ein.
Wie sieht er aus, der Tourist, der heute Lohr besucht? Woher kommt er?
Wohlschlegel: Ich sehe vier Gruppen. Zum einen sind da natürlich die Geschäftsreisenden. Dann gibt es den aktiven Gast, also den Wanderer oder Radler. Das nächste ist – wie schon gesagt – der Tagestourist. Die vierte Gruppe bilden diejenigen, denen ich mich besonders widmen werde, nämlich die Kurzurlauber. Einer meiner Schwerpunkte wird sein, es dem Gast, der jetzt vielleicht nur durchfährt, schmackhaft zu machen, eine längere Zeit, zum Beispiel ein Wochenende, in Lohr zu verbringen. Unter der Woche sind unsere Betten durch die Geschäftsreisenden recht gut ausgelastet. Aber das Wochenende ab Donnerstag, Freitag bedarf einer Belebung. Der Großteil der Tagesgäste kommt aus Hessen, speziell aus dem Raum Frankfurt. Wir wollen daneben aber auch im Übrigen Bayern und vor allem in Nordrhein-Westfalen werben.
Können die Hotels und Übernachtungsbetriebe beim Vergleich mit anderen Regionen Deutschlands mithalten?
Wohlschlegel: Ich habe in Lohr schon einige Häuser gesehen und muss sagen: Die Angebote und das Ambiente gefallen mir. Wir haben sehr unterschiedliche Angebote mit viel Atmosphäre. Passend zum Stil der unterschiedlichen Häuser könnte man auch unterschiedliche Angebote machen, zum Beispiel ein Wochenende für Verliebte oder ein Erlebnis- oder Event-Wochenende. Insgesamt haben wir in Lohr ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Preise sind moderat. Auch wenn man immer wieder etwas anderes hört.
Ihre Aufgabe ist es, den Tourismus in Lohr voranzubringen. Wie wollen Sie das machen?
Wohlschlegel: Ich will die Menschen neugierig auf Lohr machen und Emotionen vermitteln. Mein Motto heißt daher: „Eintauchen in eine andere Zeit“. Mythen, Märchen, Tradition – in diese Richtung sollte es gehen. Da sehe ich in Lohr viele Ansatzpunkte. Ich nenne hier nochmals das Schloss mit Schneewittchen oder die Altstadt. Für mich ist es wichtig, dass sich das gesamte Bewusstsein in Richtung Tourismus entwickelt. Es kann kein Tourismus aufgebaut werden, wenn der Wille nicht da ist. Diesen Willen kann ein Tourismusmanager nicht überstülpen. Er kann nur Rahmenbedingungen aufzeigen. Er kann Ideen einbringen. Diese Ideen müssen dann gelebt werden. An Konkretem schweben mir beispielsweise Pauschalangebote vor, die neben der reinen Übernachtung noch zusätzliche Bausteine beinhalten, wie etwa eine Stadtführung, eine Weinprobe oder eine Besichtigung des Schlosses. Oder einen abendlichen Spaziergang mit dem Nachtwächter.
Ist dieses Nachtwächter-Image nicht antiquiert? Schließlich werden derartige Spaziergänge überall angeboten.
Wohlschlegel: Hier im Umkreis gibt es ein solches Angebot meines Wissens nicht. Es muss aber nicht unbedingt ein Nachtwächter sein. Auch Schneewittchen wäre denkbar. Aber der Nachtwächter ist nicht so aus der Mode. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Ich denke da nicht an die klassische Stadtführung. Vielmehr soll ein solcher Spaziergang in die alte Zeit versetzen, eventuell auch mit urigem Gastmahl oder Ähnlichem.
Lohr verbucht derzeit pro Jahr rund 70 000 Übernachtungen. Wieviele davon entfallen auf echte Touristen?
Wohlschlegel: Ich gehe davon aus, dass derzeit knapp 80 Prozent der Gäste nicht aus touristischen, sondern aus geschäftlichen Gründen in Lohr übernachten. Bei 70 000 Übernachtungen pro Jahr sind also sicher rund 55 000 auf Geschäftsreisende zurückzuführen.
Bleiben also etwa 15 000 touristische Übernachtungen pro Jahr. Das ist nicht allzu viel für eine Stadt wie Lohr, oder?
Wohlschlegel: Bisher prägen die Geschäftsreisenden ganz klar das Bild. Wenn der Geschäftsreiseverkehr zurückgehen würde, müsste man viel größere Anstrengungen als derzeit unternehmen, um Touristen nach Lohr zu bringen. Was man auch nicht vergessen darf, ist, dass es in Lohr Zeiten gibt, wo man kaum ein freies Bett bekommt. Man muss den Tourismus daher so strukturieren, dass er dann stattfindet, wenn die Kapazitäten da sind. Das ist am Wochenende der Fall. Deswegen braucht man vor allem dafür ein entsprechendes Angebot. Gleichwohl sollte man sich auch überlegen, wie es mit einem Begleitprogramm gelingen könnte, dass Geschäftsreisende ihre Partner mitbringen.
Haben Sie das Gefühl, dass man in Lohr in weiten Kreisen bereit für Touristen ist?
Wohlschlegel: Dazu habe ich noch zu wenig Einblick. Aber sicherlich hätte man die Position des Tourismusmanagers nicht geschaffen, wenn man keine Bereitschaft und kein Potenzial gesehen hätte. Bei allen, mit denen ich gesprochen habe, ist der Wille da. Der ist aber auch notwendig. Um Stammgäste zu gewinnen, ist Lohr noch zu austauschbar. Deswegen darf man nicht stehen bleiben, sondern muss immer wieder Neues bieten. Tourismus bedeutet permanente Entwicklung.
In diesem Zusammenhang haben Sie gleich zum Amtsantritt mit einer Aussage, wonach man in Lohr in Sachen Tourismus 20 Jahre geschlafen habe, für etwas Aufregung gesorgt. Wie haben Sie das gemeint?
Wohlschlegel: Zunächst einmal: Das war kein Zitat von mir, sondern ein Ausspruch von einem Busunternehmer. Und der hatte das nicht als Kritik, sondern verbunden mit dem Zusatz „Gott sei Dank“ als Lob geäußert. Er hat damit gemeint, dass sich Lohr eine gewissen Charme erhalten hat. Und auch ich habe meine Aussage positiv gemeint. Es war für mich ganz toll, auf diese Historie zu treffen und zu sehen, es ist hier was erhalten, was in anderen Städten nicht mehr so gegeben ist.
Haben Sie denn auf den ersten Blick in der touristischen Infrastruktur in Lohr etwas entdeckt, was unbedingt geändert werden muss?
Wohlschlegel: Nein, das kann man nicht sagen. Natürlich sieht man als Außenstehender immer gewisse Dinge. Das sind aber Kleinigkeiten. Ein Punkt, den wir angehen wollen, ist der Service im städtischen Verkehrsamt. Den wollen wir erweitern. Zum einen durch längere Öffnungszeiten die ganze Woche über. Zum anderen durch ein Angebot, das es ermöglicht, zum Beispiel auch nach den Geschäftszeiten noch ein Zimmer vermittelt zu bekommen. Da schwebt mir vor, dass es eine Art Telefonhotline gibt. Daneben beabsichtige ich, ein einheitliches Design bei allem Werbematerial einzuführen. Man soll das, was aus Lohr kommt, sofort erkennen.
Eine immer wieder gehörte Kritik ist die, dass die städtische Touristinfo so versteckt liegt, dass sie kein Tourist findet. Gibt es da Überlegungen, etwas zu ändern?
Wohlschlegel: Ja, gibt es. Auch mir ging es so, dass ich beim ersten Besuch hier in Lohr Schwierigkeiten hatte, das Touristbüro zu finden. In einem ersten Schritt könnte man darüber nachdenken, die Beschilderung zu verbessern. Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, ob die Touristinfo dort, wo sie jetzt liegt, sinnvoll ist. Sie sollte zentraler liegen.
Zum Beispiel im Alten Rathaus?
Wohlschlegel: Nein. Das Alte Rathaus wird es sicher nicht werden. Das Gebäude wird intensiv genutzt und man müsste zu viel auslagern. Außerdem ist es von den Räumlichkeiten her nicht optimal. Da schwebt mir was anderes vor. Aber lassen Sie mir da bitte noch etwas Zeit!
In Lohr überlegt man, einen Waldklettergarten zu bauen. Macht das Sinn oder ist man damit schon zu spät dran?
Wohlschlegel: Ich würde anders fragen: Ist das unsere Zielgruppe? Für Familien mit Kinder ist ein Klettergarten ebenso wenig etwas wie für ältere Gäste. Ich glaube, dass ein Klettergarten ohne ein weitergehendes Konzept kaum Sinn macht. Ich kenne beispielsweise einen Klettergarten, der mit einem Waldmuseum und einem Schullandheim verbunden ist. Natürlich sind auch die klassischen gruppendynamischen Managerkurse eine Möglichkeit. Wenn es aber darum geht, Geld in ein Projekt zu stecken, sehe ich in einem gut ausgestatteten Hallenbad die bessere Investition.
Zum Thema Hallenbad hat sich der Stadtrat erst vor wenigen Tagen bei einer Infofahrt umgesehen. Wie müsste ein Bad aussehen, das dem Tourismusmanager gefällt?
Wohlschlegel: Ein Hallenbad baut man natürlich nicht in erster Linie nur für den Tourismus, sondern ebenso für die heimische Bevölkerung. Allerdings braucht man auch für Touristen ein wetterunabhängiges Freizeitangebot. Der von uns anvisierten Zielgruppe entsprechend müsste ein solches Bad auf der einen Seite ein Angebot für Familien mit kleinen Kindern, auf der anderen Seite aber auch ein Wohlfühl-Angebot für ältere Besucher haben. Darunter verstehe ich zum Beispiel einige Saunen mit den dazugehörenden Erholungsräumen, oder einen kleinen Therapie-Bereich, oder eine Beauty-Behandlung.
Und eine Stadthalle? Kann man mit ihr etwas für den Tourismus tun?
Wohlschlegel: Auch die neue Stadthalle erfährt eine vielfältige Nutzung – von kleineren bis größeren Tagungen über Veranstaltungen für Einheimische und Touristen bis hin zum besonderen Event. All diese Angebote gilt es zielgruppengerecht zu positionieren und anzubieten.
Vor allem im Lohrer Rathaus wird auch im Zusammenhang mit dem Bau von Stadthalle und Hallenbad immer wieder die Hoffnung geäußert, dass mit einem Ausbau des Tourismus eine größere Zahl an neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden könnte. Wieviele Menschen können bei optimaler Entwicklung in Lohr maximal ein Auskommen im Tourismussektor finden?
Wohlschlegel: Zunächst einmal muss man klar sehen, dass derzeit der Tourismus in Lohr ein Saisongeschäft ist. Unser Ziel muss es sein, daran etwas zu ändern. Allerdings darf man nicht vergessen, dass ein großer Teil der Beschäftigung in dieser Dienstleistungsbranche auf Aushilfsbasis erfolgt. Deswegen darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass man Arbeitsplätze, die eventuell in der Industrie wegfallen könnten, eins zu eins im Tourismus aufbauen kann. Der Tourismus wird in Lohr immer Ergänzung bleiben. Man wird ihn kaum so weit aufbauen können, dass er zu einem zweiten Standbein wird. Wir werden aber in jedem Fall versuchen, Stück für Stück mehr Gäste nach Lohr zu holen.
Herr Wohlschlegel, Ihre Stelle ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Woran werden Sie sich am Ende dieser Zeit messen lassen?
Wohlschlegel: Der Erfolg meiner Arbeit ist schwer zu messen. Die Übernachtungszahlen können nur bedingt Gradmesser sein, weil man keinen Einfluss auf die Zahl der Geschäftsreisenden hat. Mein Ziel ist es, einen hohen Zufriedenheitsgrad zu erreichen. Zum einen bei den Gästen, die hier sind und sich hoffentlich sehr wohl fühlen, zum anderen bei denjenigen, die in Lohr mit den Touristen zu tun haben. Sie müssen mit meiner Arbeit zufrieden sein und erkennen, dass wir gemeinsam etwas entwickeln können.
An den meisten Ihrer beruflichen Stationen waren Sie maximal vier bis fünf Jahre. Wie lange wollen Sie in Lohr bleiben?
Wohlschlegel: Solange man mich möchte. Ich muss den Lohrern passen und auch ich sollte mit allen klar kommen. Ich habe jetzt zwei Jahre Zeit, um meine Gedanken umzusetzen. Wenn danach beide Seiten miteinander zufrieden sind, freue ich mich über ein längeres Engagement.
Zur Person

Dieter Wohlschlegel ist 48 Jahre alt und seit mittlerweile 21 Jahren in Sachen Tourismus tätig. Stationen des gebürtigen Saarländers waren nach in Trier absolviertem Touristikstudium unter anderem der Fremdenverkehrsverband Lüneburger Heide und die Kurdirektion auf der Nordseeinsel Föhr. Über den Schwarzwald gelangte Wohlschlegel schließlich für vier Jahre als Kurdirektor nach Bad Wörishofen. Danach war er bei den Kneipp-Werken unter anderem für das Marketing zuständig. Zuletzt war er seit 2003 auf freiberuflicher Basis tätig. Wohlschlegel ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Familie wohnt in Bad Wörishofen. Der Tourismusmanager hat in Sendelbach seinen Zweitwohnsitz. Sein Büro befindet sich im „Blauen Haus“ in der Lohrer Rathausgasse.