Vor genau 50 Jahren, 1971, wurde der Rothenbucher Erich Geis als erster Sportler überhaupt von der Stadt Lohr als Sportler des Jahres ausgezeichnet. Damit würdigte die Stadt die Erfolge, die der Judokämpfer aus dem Nachbarkreis Aschaffenburg für den TSV Lohr errungen hatte. Heute erzählt der 72-Jährige viele ungewöhnliche und amüsante Anekdoten aus seiner aktiven Zeit.
Was hat Ihnen der Titel Sportler des Jahres damals bedeutet?
Das war für mich eine große Ehre, eine besondere Belohnung und die Krönung eines überaus erfolgreichen Sportjahres. Gleichzeitig war es aber auch die Anerkennung für die Leistungen, die den Judosport in Lohr ausmachten. Namentlich kann ich noch unseren Trainer Klaus Meyer, meine Trainingspartner, die Büttner-Brüder aus Sendelbach, Holzemer aus Langenprozelten, Biedrom aus Partenstein und viele andere nennen. Wir waren eine super Truppe, alle aus der Region. Die Trainingsstunden waren noch volle Stunden, da hatte ich nach zwei Stunden oft ein paar Kilo an Gewicht verloren. Aber genau dafür braucht man eben den Trainer und die Partner dazu. Und die haben sich alle über diese großartige Auszeichnung gefreut.
Was war denn am Sportjahr 1971 so besonders?
Es lief für mich einfach sensationell. Ich habe alle Titel gewonnen. Von der Unterfränkischen bis zur Bayerischen Meisterschaft und dazu noch die Süddeutsche Vizemeisterschaft. Wobei das Highlight natürlich damals der Bayerische Titel war. Die Meisterschaft fand in Schweinfurt statt, das war ein Heimspiel für mich. Ich konnte als einziger Athlet in die Phalanx der Super-Judokas des mehrfachen Deutschen Mannschaftsmeisters TSV München-Großhadern eindringen. Im Finale habe ich dann deren Kämpfer und Favoriten besiegt. Das kam damals noch in der Abendschau im Bayerischen Fernsehen. Dort wurde der Kampf gezeigt, die Leute konnten mich im Fernsehen sehen. Einfach überragend und eine große Werbung für den Lohrer Judosport.
In der Zeitung damals stand in der Überschrift, "Die Olympischen Spiele 1976 als Ziel". War das nicht sehr ambitioniert?
Richtig, aber ich habe daran geglaubt. Ich war im Vorjahr in den Olympiakader des Deutschen Judoverbands aufgenommen worden und habe auch einige Male am Stützpunkt der Bundeswehr in Hammelburg unter dem damaligen Bundestrainer Heiner Metzler trainiert. Auf der Deutschen Meisterschaft habe ich gemerkt, dass ich von den Spitzen-Judokas nicht so weit weg war. Also war das schon realistisch, ich wollte immer das höchstmögliche Ziel erreichen.
Wie nah waren Sie tatsächlich dran?
Es hat letztlich doch ein Stück gefehlt, wobei es nicht unbedingt sportliche Gründe waren. Wie bei vielen anderen jungen Sportlern hat sich auch bei mir die Frage Sport oder Beruf gestellt. Ich hatte damals mit 21 Jahren die Meisterschule abgeschlossen und mich für den Beruf entschieden. Damit verbunden war eine Reisetätigkeit durch die gesamte Bundesrepublik. Da war die sportliche Realität schnell eine andere. Das richtige Leben hatte mich eingeholt.
Wie sind Sie denn eigentlich überhaupt zum Judosport gekommen? War das nicht eher was für Exoten?
Diese Fragen amüsieren mich heute noch immer. Und auch die Antworten. Es war spannend und lustig zugleich, von den Anfängen bis zu den großen Erfolgen. Sportlich interessiert war ich schon als Kind, wenngleich ich nur Radioreportagen kannte und als Fünfjähriger das WM-Endspiel 1954 im Fernsehen gesehen habe. Klar war dann, dass man irgendwann beim Fußball landet. Allerdings hatte ich mit 16 Jahren und 110 Kilogramm nicht gerade das Talent und die besten Voraussetzungen. Da ich aber gut organisieren konnte, wurde ich zum Trainer bestimmt. Und eines Abends ist während unserer Trainingseinheit immer wieder eine Polizeistreife vorbeigefahren und hat uns beobachtet. Nach der Einheit kam einer der Beamten und rief mich zu sich. Damals war sowas immer mit dem Gefühl verbunden, man könnte was angestellt haben. Tatsächlich hat sich mir Klaus Meyer als Trainer der Lohrer Judoka vorgestellt. Und gemeint, er bräuchte noch einen Schwergewichtler. Nach seiner Beobachtung hätte ich Talent. "Am Dienstag kommst du zum Training", gab er mir als dienstlichen Befehl mit.
Und dann hat es gleich Spaß gemacht?
Die ersten zwei- oder dreimal nicht so richtig. Ich war mit meinem Gewicht ruckzuck patschnass geschwitzt. Da war richtig Zug im Training. Und für die 60-Kilo-Leute war es immer ein besonderes Vergnügen, mich als 110-Kilo-Sack aus einem Meter Höhe als Fallobst auf die Matte plumpsen zu lassen. Noch heute erzählen mir Leute, die meine Anfänge beobachtet haben, dass sie teilweise eher Mitleid mit mir hatten. "Mit dem wird das doch nichts", haben viele gedacht. Aber sie hatten sich getäuscht und meinen Ehrgeiz unterschätzt. Auch Klaus Meyer wollte seinen Schwergewichtler nicht verlieren – und er sollte Recht behalten.
Haben Sie geahnt, dass Sie sein Vertrauen rechtfertigen würden?
Das war mein Ansporn. Ich habe in den ersten Trainingseinheiten gemerkt, dass mir der Sport liegt. Ich konnte mein Gewicht gut einsetzen und habe dazu einen eigenen Wurf kreiert, den "Soto-maki-komi". Ein japanischer Name, aber doch eine Eigenkomposition. Bekannt wurde er auf den Judomatten als "Schweinerolle". Damit habe ich mir erst mal im Training Respekt verschafft, ehe mich Klaus Meyer auch schon auf die ersten Turniere und Meisterschaften schickte. Kurios am Rande: Da wir nur ein Auto hatten, mussten zwei Mannschaftskameraden per Anhalter nach Regensburg fahren.

Was waren dann die nächsten Schritte?
Auch in Rothenbuch gründete sich eine eigene Judoabteilung. Dem konnte ich mich nicht verschließen und bin dorthin gewechselt. In diese Zeit fielen auch meine ersten großen Meisterschaften. 1969 Bayerischer Meister, Süddeutscher Juniorenmeister, dritter bei der Deutschen Meisterschaft. In der Bayern-Auswahl habe ich bei Länderkämpfen gegen Österreich und die Schweiz ebenfalls erfolgreich teilgenommen. Als ich im Winter dann die Meisterschule besuchte, löste sich die Abteilung in Rothenbuch wieder auf, und ich ging zurück nach Lohr. Trotzdem fielen einige eindrucksvolle Erlebnisse in die kurze Rothenbucher Zeit.
Und die wären?
Neben meinen Titeln wurde in dieser Zeit noch die Unterfrankenliga gegründet. Mit Rothenbuch am Start. In Hammelburg traten wir gegen den JC Würzburg an. Ich musste gegen Arthur Hanselmann ran, eine Legende im Schwergewicht mit 150 Kilo und vielen Titeln. Wie bei David gegen Goliath war der Kampf nach zwei Minuten zu Ende, und ich hatte ihn mit meinem Spezialwurf und vollen Punkten besiegt. In Elsenfeld traten wir gegen die Judoabteilung des SV Einigkeit Damm an. Mit dabei fast die ganze Bundesliga-Mannschaft der Ringer. Ich hatte Karl-Heinz Gerchsmeier mit meiner Schweinerolle in drei Minuten auf die Matte befördert, wonach dieser trocken meinte: "Das ging aber schnell". Umgekehrt ging es mir, wenn ich beim Ringen aushalf. Es war ein anderer Sport.
Zurück nach Lohr und zum TSV. Was ist Ihnen heute wichtig anlässlich des Jubiläums?
Mein Dank und mein Respekt gelten der Stadt Lohr und den damaligen Repräsentanten. Allen voran Bürgermeister Gerd Graf – ein großer Freund unseres Judosports. Mein Respekt gilt aber auch der Idee zu dieser Sportlerwahl. Es ist unschätzbar, welche Ehre, Belohnung und Ansporn man so vielen jungen Sportlern für ihren Einsatz in diesen 50 Jahren mit dem Titel "Sportler des Jahres der Stadt Lohr" geschenkt hat. Besonders wichtig ist mir auch der Dank an Klaus Meyer. Ihm möchte ich dieses Jubiläum widmen. Er hat mich damals für diese Ehrung vorgeschlagen. Und so schließt sich der Kreis.