Über das Internet-Netzwerk Facebook war es möglich, nach Jahren wieder Kontakt zu dem bosnischen Geschwisterpaar Marina und Mario Zelic aufzunehmen, die in ihrer Jugend in Wiesenfeld lebten und dort bekannt waren. Mittlerweile ist Mario Profi-Volleyballer, seine Schwester Journalistin. Sie erzählen, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist, was sie an Karlstadt vermissen und wohin die Zukunft gehen soll.
„Ich würde gern wieder mal Weizen mit Schaum drauf trinken“, sagt der 29-jährige Mario Zelic. Das hat er seit seiner Zeit in Karlstadt nicht mehr getan. Mario hatte den Kontakt nach Karlstadt zwischenzeitlich total verloren, Marina hat anfangs über Briefe und später übers Internet Kontakt gehalten.
„Nach einer Weile fühlt es sich wie deine Heimat an“
Mario Zelic über Karlstadt
Mario und Marina Zelic kamen 1992 als Kriegsflüchtlinge aus Bosnien nach Deutschland. Zusammen mit fünf weiteren Familienmitgliedern wohnten sie zunächst zwei Monate lang im Ausländerwohnheim in Gemünden und kamen dann nach Wiesenfeld. Im selben Jahr wurde in Karlstadt ihre Schwester Ivana geboren. Nach zwei Jahren, in denen man Mario immer auf dem Wiesenfelder Bolzplatz getroffen hatte, zogen die Zelics schließlich in die Kreishauptstadt.
Die Familie sollte im August 1998 wieder zurück in ihre nordbosnische Heimatstadt Modrica – die Aufenthaltsgenehmigung war abgelaufen. Weil die Stadt aber inzwischen serbisch war und ihnen als Kroaten dort nicht wohl gewesen wäre, zogen sie zunächst zu einer Tante in die kroatische Hauptstadt Zagreb. Nur Onkel Tado Karlovic, der mittlerweile Tado Lehmann heißt, blieb hier.
Abschied aus heiterem Himmel
„Am Anfang war es in Zagreb sehr schwer“, sagt Marina Zelic, „ich musste viele Freunde in Karlstadt zurücklassen und hatte Probleme mit der kroatischen Sprache. Ich habe ja auch den Slang nicht gekonnt.“ Andererseits habe sie gewusst, dass sie irgendwann zurückmüssten und sich sogar auf Kroatien gefreut. Ihr Bruder Mario, für den die Abschiebung wie aus heiterem Himmel kam, vermisste ebenfalls seine Freunde. „Zuerst, als ich nach Deutschland kam, wollte ich heim“, erzählt er, „aber nach einer Weile fühlt es sich wie dein Zuhause an.“
Nachdem der Bescheid kam, dass sie zurückmüssen, zogen die Zelics vor Gericht. Mario Zelic: „Wir sind keinem zur Last gefallen, mein Vater hat bei Schwenk im Labor gearbeitet und Steuern gezahlt.“ Der damalige Bürgermeister Karl-Heinz Keller unterstützte das Anliegen der Familie zwar, aber letztlich vergebens.
Marina war Klassenbeste
Marina, die gerade die elfte Klasse der Fachoberschule in Marktheidenfeld absolviert hatte und zuvor an der Hauptschule Karlstadt Absolventenbeste in der neunten und freiwilligen zehnten Klasse gewesen war, musste ihre Schulausbildung unterbrechen. Bruder Mario war gerade mit der Realschule in Karlstadt fertig geworden. In Zagreb, wo sie ein Jahr bei ihrer Tante wohnten, bis sie ein eigenes Haus gebaut hatten, besuchten beide ein allgemeines Gymnasium, mussten mühsam Latein und andere Fächer wiederholen.
Marina wollte „eigentlich Medizin studieren, aber Sprachen sind auch gut“, dachte sie sich und studierte anschließend Deutsch und Englisch. Die sportliche junge Frau musste wegen des großen Lernaufwands auch mit dem Volleyballspielen kürzer treten. In Karlstadt hatte sie den Spitznamen „Mila“ – nach einer Volleyball spielenden Zeichentrickheldin.
Bruder Mario hingegen, dem sie „größeres Talent“ bescheinigt, begann leistungsorientiert Volleyball zu spielen. Zwar hat ihn sein Onkel Tado, der im ehemaligen Jugoslawien in der ersten Liga und später als Spieler und Co-Trainer beim Bundesligisten SG Eltmann Erfolg hatte, schon in Karlstadt mit zum Volleyball genommen und Mario war nach nur einem Jahr in der Bayernauswahl. Aber „wir haben mehr Fußball gespielt“, so der inzwischen 2,02 Meter große Hüne.
Zelic wurde zu einem der besten Spieler Kroatiens. Mit Zagreb wurde er kroatischer Meister, spielte auch in der Champions League. Bisherige Stationen seiner Profikarriere waren neben Kroatien und der kroatischen Nationalmannschaft Friedrichshafen, Frankreich, Polen, Italien und Zypern. „Du gehst zu dem, der mehr bezahlt“, sagt der 29-Jährige. Momentan ist er ohne Verein, aber sein Manager „checkt die Lage“.
Jetzt studiert er außerdem BWL, hat gerade die ersten beiden Semester hinter sich. Das erste Jahr, „nach zehn Jahren ohne Bleistift in der Hand und ohne zu lernen“, war „härter als Volleyballspielen“, findet er. Seit drei Monaten ist er zudem verheiratet.
Treffen bei Döner und Almdudler
Marina, die gerne deutsches Fernsehen schaut, hat Bücher aus dem Deutschen übersetzt und arbeitet seit jetzt drei Jahren als Übersetzerin und Journalistin beim Fernsehen und Radio. Sie leitet sogar eine Radiosendung mit deutschen Nachrichten. Nebenbei studiert Marina Projektmanagment. In Zukunft möchte sie investigativ journalistisch tätig werden, etwa Fälle von Korruption aufdecken.
Seit sie aus Karlstadt weg mussten, sind die Geschwister nicht wieder in Karlstadt oder Wiesenfeld gewesen. „Deutschland war wie ein wunder Punkt“, sagt Marina. Gereist ist sie lieber in andere Länder. Jetzt hat sie, wie ihr Bruder, vor, endlich einmal ihren Onkel und dessen drei Kinder in Waldbüttelbrunn zu besuchen.
Vielleicht ergibt sich dabei ja die Gelegenheit, mit Mario ein Weizen zu trinken. Marina bekommt dann einen Döner und einen Almdudler – „typisch deutsche“ Dinge, die sie in Kroatien vermisst.