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KARLSTADT: Geliebt und geachtet – Pfarrer Paul Steinert

KARLSTADT

Geliebt und geachtet – Pfarrer Paul Steinert

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    Sein verschmitztes Lächeln verriet den jugendlichen Schelm, sein Wissen um menschliche Schwächen und die Nachsicht eines weisen Seelsorgers.
    Sein verschmitztes Lächeln verriet den jugendlichen Schelm, sein Wissen um menschliche Schwächen und die Nachsicht eines weisen Seelsorgers. Foto: FOTO Anja Wischer

    Paulchen Steinert, wie ihn die Karlstadter liebevoll nannten, hatte Ecken und Kanten. Er war starrköpfig, gütig, bescheiden, konnte schimpfen, weinen und granteln. Er war gefürchtet als waghalsiger Opel-Manta-Fahrer, tüftelte an seiner Druckmaschine und verlegte die elektrischen Leitungen im Kirchendachstuhl und im Marienpfarrheim selbst.

    Steinert hatte einen feinsinnigen, aber auch jugendlich-schelmischen Humor. Er war ein bisschen Don Camillo und ganz viel Streiter Gottes und Verfechter der alten Liturgie. Er war ungeduldig, wenn etwas nicht so lief, wie er wollte, und geduldig, wenn er spürte, dass ein Mensch ihn brauchte als Zuhörer, Ratgeber und als Seelsorger. Er liebte Kinder, und die Kinder liebten ihn. Sie hatten noch die reinsten Seelen. Die Heuchelei und Bigotterie mancher erwachsenen Gläubigen waren Pfarrer Steinert zuwider.

    Mehrere Generationen Karlstadter, die Paul Steinert taufte, zur Erstkommunion führte, verheiratete und zu Grabe trug, erlebten die vielen Facetten seines Charakters. Diese Priesterpersönlichkeit mochte keine Ehrungen. Er fühlte sich unbehaglich, wenn er ins Rampenlicht geschoben wurde – bei der Ernennung zum Ehrenbürger und bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes und der Silbernen Stadtplakette. Über seine schrecklichen Erlebnisse als Soldatenpfarrer im Zweiten Weltkrieg und dem handschriftlichen Dankschreiben Winston Churchills sprach er nie.

    Paul Steinert wurde am 2. Oktober 1909 in Heidingsfeld geboren. Der feinsinnige Jesuitenzögling lernte ab 1942 als Wehrmachtspriester die unmenschlichen Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs in Frankreich kennen. „Franziskus von Fresnes“ nannten ihn die Kriegsgefangenen im damals größten Gefängnis Europas bei Paris, wo Steinert Häftlinge zur Hinrichtung begleiten musste, unter ihnen 82 französische Geiseln, die von der SS umgebracht wurden.

    Dank von Winston Churchill

    Obwohl die Todesstrafe drohte, hielt Steinert heimlich nachts Messen, trug unter seinem Talar Brot, Tabak und Medizin ins Lager und schmuggelte unzählige Abschiedsbriefe der zum Tode Verurteilten hinaus für die Hinterbliebenen in Frankreich und England. Später machte Steinert nie ein Aufhebens von der Auszeichnung durch Papst Pius XII. und dem persönlichen Dankschreiben des britischen Premierministers Churchill, weil er dessen inhaftiertem Neffen beigestanden war.

    Auf einem Motorrad rollte Pfarrverweser Paul Steinert am 15. Oktober 1947 in Karlstadt ein. Am 29. Juni 1949 trat Steinert die Nachfolge von Pfarrer Josef Stangl in der Pfarrei St. Andreas an. Er war nicht nur Pfarrer für St. Andreas und die Spitalkirche St. Jakobus und später in Mühlbach und Gambach, sondern auch Religionslehrer und Vorsitzender und Präses vieler katholischer Verbände und Institutionen. Er gründete das Gemeindezentrum St. Maria und 1980 die Sozialstation St. Sebastian. Steinert war ein talentierter Handwerker, Planer und engagierter Bauherr ab der ersten Kirchenumgestaltung 1951. Er beleuchtete die Bühne für das „Jedermann“-Spiel auf dem Marktplatz zur 750-Jahr-Feier Karlstadts und baute die Lautsprecheranlage in St. Andreas ein. Mit seiner Unterstützung wurde die Siedlungspfarrei „Zur Hl. Familie“ realisiert. Dort auch Pfarrer zu werden, blieb ihm allerdings verwehrt.

    Paul Steinerts Tag begann um 6 Uhr und endete kurz vor Mitternacht. Unermüdlich und nicht auf seine Gesundheit achtend war er für seine kleinen und großen Schäfchen unterwegs.

    Sein unfreiwilliger Abgang aus dem aktiven Priesterdienst hatte ihm nicht gefallen. „Ich bin gegangen worden, offiziell abgesetzt“, soll er geschimpft haben. Bis ein Jahr vor seinem Tod verrichtete er noch den Dienst in der Gambacher Pfarrei St. Bartholomäus. Dass er herzkrank war, verdrängte Steinert beharrlich. Trotzdem fühlte er das Ende nahen, denn er bat die Kreuzwegwallfahrer im August 1997, für ihn zu beten. Nur wenige Tage später, am 19. August, starb Paul Steiner, 88-jährig, im Lohrer Krankenhaus.

    Der längste Trauerzug

    Die Karlstadter nahmen Abschied von Steinert, der in der Kirche unter einem durchsichtigen Sargdeckel aufgebahrt war. Die Feuerwehr hielt Ehrenwache. Wie sehr die Karlstadter ihr Paulchen Steinert liebten und verehrten, zeigte der lange Zug mit 800 Trauernden hinter dem Sarg von der Stadtpfarrkirche zum Stadtfriedhof – der längste Trauerzug in der jüngeren Geschichte Karlstadts. Zuvor hatten sich 4500 Menschen aller Konfessionen in Karlstadt ins Kondolenzbuch eingetragen, darunter viele Jugendliche und Türken. Steinert fand am 23. August 1997 seine letzte Ruhe im Priestergrab.

    Neben vielen privaten Erinnerungen an den Menschen und Priester Paul Steinert und einer Gedenktafel an der Kirchenwand hinterließ er den Karlstadter Bürgern ein weithin sichtbares Vermächtnis. 1979 hatte der Pfarrer kurzerhand die aus einem Weinberg an der Bundesstraße 27 „entführte“ Madonna gekauft. Er ließ sie restaurieren und mit einem Brunnen versehen auf den nördlichen Kirchplatz stellen. Seit 1966 schon plante Steinert auf „seinem Kirchplatz“ einen Brunnen. Es war ihm egal, dass der Stadtrat nur ungern die Genehmigung zur Aufstellung gab und sich auch die Bürger nur zögerlich an die auf einem hohen Sockel thronende Madonna gewöhnten. Die letzten Jahre war auch kein Wasser mehr im Brunnen.

    Doch sie kommt nach der Platzsanierung zurück auf den Kirchplatz. Auch zwölf Jahre nach Paul Steinerts Tod wagt keiner, dem Stadtpfarrer zu widersprechen und seinem Wunsch zu entgegenzuhandeln.

    Buchtipp

    Stefanie Popp hat Leben und Wirken von Pfarrer Paul Steinert für die Schriftenreihe des Stadtgeschichtlichen Museum aufgeschrieben.

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