Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Gemünden
Icon Pfeil nach unten

GEMÜNDEN/WÜRZBURG: Gemündener Asylbewerber hungern für die Anerkennung

GEMÜNDEN/WÜRZBURG

Gemündener Asylbewerber hungern für die Anerkennung

    • |
    • |
    Kein Mensch ist illegal: das Zelt der protestierenden Asylbewerber in der Würzburger Innenstadt.
    Kein Mensch ist illegal: das Zelt der protestierenden Asylbewerber in der Würzburger Innenstadt.

    Seit heute hungert Reza Almassi Moghaddam. Am Samstag hatte er noch wie im Vorjahr beim Fußball-Turnier des ESV Gemünden mitgekickt. Mit dem Hungerstreik in Würzburg wollen der 36-Jährige und fünf weitere Asylbewerber ihrem Protest Nachdruck verleihen. Schon seit Ende Mai leben die Sechs in einem orange-roten 21- Quadratmeter-Zelt in der Fußgängerzone am Kürschnerhof neben dem Marktplatz und demonstrieren.

    Reza Almassi Moghaddam hat traurige dunkle Augen. Ein wenig erinnert sein Gesicht an den verstorbenen Komiker Dirk Bach. Aber dem groß gewachsenen, kräftigen Iraner ist nicht zum Spaßen zumute. Er wirkt müde, sein Blick melancholisch. Auf und in dem Zelt in Würzburg hängen Parolen: „Flüchtlinge anerkennen“, „Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall“ und „Flüchtlinge schützen – nicht ertrinken lassen“ steht da etwa.

    Neben Moghaddam sind drei weitere der sechs iranischen Protestierenden eigentlich in der Gemündener Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Einer von ihnen hat Ende April versucht, sich selbst zu töten – aus Perspektivlosigkeit, wie der 36-jährige Moghaddam und auch Hermann Burkard vom Gemündener Netzwerk Asyl glauben.

    Wir haben uns mit Reza Moghaddam darüber unterhalten, warum er Asyl sucht und was er sich von der Protestaktion erhofft. Der 36-Jährige spricht ganz gut deutsch, das hat er sich in großen Teilen selbst beigebracht. Zum Termin mit der Presse hat er aber einen Landsmann als Dolmetscher mitgebracht, dem bereits Asyl gewährt wurde.

    Moghaddam erzählt, dass er aus der 1,5-Millionen-Stadt Schiras im Süden des Iran stammt. Als Bauingenieur habe er ein gutes Leben gehabt, sei auch Bauleiter auf Baustellen westlicher Firmen, darunter Siemens, gewesen. Er hatte eine Frau und einen kleinen Sohn, eine Wohnung, zwei Autos. „Es war für mich wie im Paradies“, sagt er.

    „Einen Euro fürs Arbeiten, drei Euro für einen Deutschkurs. Ist das gerecht?“

    Reza Moghaddam Asylbewerber

    Doch vor vier Jahren hätten die Probleme angefangen. Seine Frau, inzwischen von ihm geschieden, sei eine Anhängerin einer Derwischvereinigung, einer laut Wikipedia „muslimischen asketisch-religiösen Ordensgemeinschaft, die im Allgemeinen für ihre Bescheidenheit und Disziplin bekannt ist“. Mit den Derwischen hätten die schiitischen Mullahs jedoch ihre Probleme. Als vor vier Jahren ein Derwisch umgebracht worden sei, sei seine Frau mit anderen auf die Straße gegangen. Die Demonstranten seien überwacht und zum Teil verhaftet worden. Seiner Frau sei verboten worden, zu Derwischversammlungen zu gehen.

    Aus Angst verließ die kleine Familie, Moghaddam selbst war damals noch Schiit, ihre Wohnung und floh in den Norden Irans, in die Nähe des Kaspischen Meers. In dieser Zeit habe die Polizei ihre verlassene Wohnung in Schiras untersucht und dabei unter anderem das verbotene Buch „Neu geboren“ gefunden, das islamfeindlich sei. Auf den Besitz stehe die Todesstrafe, was man Verwandten seiner Frau in Schiras auch deutlich gemacht habe.

    Mithilfe eines Schleusers floh der heute 36-Jährige mit Frau und Kind deshalb in die Türkei und von dort weiter nach Griechenland, wo sie drei Tage im Gefängnis gesessen hätten. Nach einer sechs Monate dauernden Flucht kamen sie vor drei Jahren am Nürnberger Flughafen an, kamen von dort in ein kleines Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft in Aschaffenburg, wo, so der Iraner, 400 weitere Asylbewerber leben. Sein Sohn sei jeden Tag nervöser und trauriger geworden und seine Frau habe sich irgendwann scheiden lassen wollen.

    Moghaddam hat schließlich selbst um Verlegung gebeten und kam so vor eineinhalb Jahren alleine ins Asylbewerberheim Gemünden. In Gemünden hat er an ehrenamtlich vom Netzwerk Asyl angebotenen Deutschkursen teilgenommen. Als er beim Landratsamt Main-Spessart um einen Deutsch-Intensivkurs angefragt habe, habe es geheißen, er müsse pro Stunde drei Euro aus eigener Tasche zahlen. Dabei habe er, als Bauingenieur, eine Zeit lang für einen Euro die Stunde die linksmainische Gemündener Kläranlage geputzt. Einen Euro fürs Arbeiten, drei Euro für einen Deutschkurs. „Ist das gerecht?“, fragt Moghaddam. Eine andere Arbeit habe er bisher vergeblich gesucht, daran sei sein ungewisser Status schuld, ist er sich sicher.

    Vor allem Iraner müssten lange auf Bescheide vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) warten, klagt nicht nur der 36-Jährige. „Wir können nicht mehr warten“, sagt er. „Irgendwann bist du fertig.“ Zweimal hat er einen negativen Bescheid bekommen, aber er glaubt, das BAMF habe verkannt, dass ihm tatsächlich Gefahr drohe. Inzwischen sei er auch getaufter Christ – und Konvertiten drohe im Iran die Todesstrafe. Für Behörden ist ein Übertritt nach der Flucht jedoch ein nachgeschobener Asylgrund.

    Um nicht länger in Gemünden in trüber Stimmung vor dem Fernseher zu versauern, hat sich Moghaddam mit anderen Iranern zum Protest in der Würzburger Fußgängerzone entschieden. Im Zelt stehen drei Betten für sechs Protestierende. Geschlafen wird in Schichten. Hier fühlen sie sich trotz der dürftigen Unterkunft als Handelnde, wollen ausharren, bis das BAMF auf einen offenen Protestbrief reagiert. Das Asylbewerberheim sei für sie zuletzt wie ein Gefängnis gewesen.

    Auf einer ausliegenden Unterschriftenliste können sich Passanten solidarisch mit den Forderungen der Protestierenden zeigen. Duschen und kochen können die Iraner bei Sympathisanten, Unterstützer bringen Essen vorbei. Ein paar Tage lang hatten sie als Gast eine verletzte Taube. Ein schönes Bild: Asylsuchende gewähren einer Taube Asyl. „Wir sind auch Menschen“, sagt der 36-Jährige. Als Menschen möchten sie auch behandelt werden.

    Forderungskatalog

    Mit dem Hungerstreik in Würzburg wollen die Asylbewerber eine Antwort des Bundesamts für Migration und Flucht auf ihren offenen Brief vom Mai erzwingen. Die Forderungen darin lauten: Anerkennung der streikenden Flüchtlinge; Abschaffung der Residenzpflicht; Abschaffung der unmenschlichen Asyllager; keine weitere Abschiebung von Geflüchteten; Abschaffung der „Dublin-Gesetze“, der Verordnung, die regelt, welcher Mitgliedstaat für einen im Geltungsbereich gestellten Asylantrag zuständig ist. Alles ist besser als im Heim zu sitzen und auf den Fernseher zu starren, sagt Reza Almassi Moghaddam. Mit der Geduld am Ende, hungert er ab morgen in Würzburg.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden