Jede Menge Flaschen und Fläschchen, Trinkgläser und weitere Glasprodukte sind derzeit im Spessartmuseum im Lohrer Schloss zu sehen. Sie alle wurden in der Lohrer Glashütte hergestellt, die vor 125 Jahren in Betrieb ging.
Spessart ist eine Kulturlandschaft
Bei der Ausstellungseröffnung am Donnerstagabend erläuterte Museumsleiter Herbert Bald, dass der Spessart seit dem Mittelalter eine Kulturlandschaft sei. Schon früh habe der Mensch die im Spessart vorhandenen Rohstoffe wie Holz, Sandstein, Schwerspat, Ton, Eisen und Silber für seine Zwecke genutzt.
Eine herausragende Bedeutung hatte laut Bald seit dem Mittelalter die Glasmacherei. In diesem Zusammenhang diente das Holz des Waldes seinen Worten nach zum einen der Pottascheherstellung, vor allem jedoch als Brennstoff für die Glasöfen. Auch die ehemaligen Hausherren des Lohrer Schlosses, die Grafen von Rieneck, betrieben laut Bald Glashütten.
Als 1889 die letzte Glashütte inmitten des Spessartwaldes, die Karlshütte in Einsiedel, stillgelegt wurde, begann nach Balds Worten die Geschichte der Lohrer Glasfabrik. Weil der von Gustav Woehrnitz und Ludwig Pflug angestrebte Kauf der Karlshütte scheiterte, gründeten die beiden Männer in Lohr in der ehemaligen Papierfabrik Schellenberger an der Partensteiner Straße die Spessarter Hohlglas-Hüttenwerke Woehrnitz & Cie., die 50 bis 60 Leute Arbeit bot.
Der in der Lohrer Glasfabrik eingesetzte Gasgenerator für die Öfen wurde anfangs noch mit Holz betrieben. Spätestens 1914 wechselte die Glasfabrik laut Bald zu Braunkohlebriketts, später zu Öl und Erdgas, welches heute ausschließlich eingesetzt werde. Die Arbeit der Glasmacher sei zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Halbautomatik umgestellt worden; heute laufe die Produktion vollautomatisch mit Computersteuerung.
Glasbehältnisse im Mittelpunkt
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die in Lohr hergestellten Glasbehältnisse. Aber auch die Besitzverhältnisse des Werkes, die Arbeit der Belegschaft und die technische Entwicklung der Glasherstellung werden anschaulich erklärt. Zwei Spielstationen – ein Ratespiel und ein „Chor singender Flachmänner“ – ergänzen die von Leonhard Tomczyk, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Spessartmuseum, konzipierte Ausstellung.
Eisen und Glas seien bis heute „Hauptsäulen der Lohrer Wirtschaft geblieben“, sagte Landrat Thomas Schiebel. Aus diesem Grund seien in der Ausstellung, die sich zwar primär mit Glas befasse, auch Gusseisenplatten symbolisch einbezogen, die um 1900 herum – „eigentlich als Eisenschrott“ – im Lohrer Eisenwerk Rexroth angeliefert worden waren. Sowohl Rexroth als auch die Lohrer Glasfabrik wirkten laut Schiebel schon frühzeitig „weit über den regionalen und nationalen Raum hinaus“.
Mit Blick auf das viele in der Ausstellung zu sehende „Hohlglas“ meinte Schiebel, dass da auch etwas hineingehöre – zum Beispiel ein Landratsschoppen, zu dem er die rund 100 Eröffnungsgäste einlud.
Beginn einer Erfolgsgeschichte
Mit der Gründung der Lohrer Glashütte vor 125 Jahren habe eine Erfolgsgeschichte begonnen, sagte Andreas Kohl, Geschäftsführer der Gerresheimer Lohr GmbH. Kontinuierliche Innovation durchziehe die Unternehmensgeschichte wie ein roter Faden. Als Museumsleiter Bald mit der Idee einer Sonderausstellung im Spessartmuseum über die Lohrer Glasfabrik auf ihn zugekommen sei, sei es für ihn „Ehre und Freude“ gewesen, die Sache zu unterstützen, so Kohl. Sein besonderer Dank galt Leonhard Tomczyk für dessen umfassende Recherchen über die Lohrer Glashütte.
Glas, so meinte Lohrs Bürgermeister Mario Paul, sei ein besonderes Produkt: es gewähre Durchblick und lasse Licht und Wärme in die Räume. Dass der Spessart einst das Zentrum der Glasherstellung war und Lohr noch heute ein wichtiger Glas-Standort sei, sei kein Zufall: für die Glasherstellung benötige man viel Energie– „aber auch Menschen, die gut zusammenarbeiten“.
Musikalisch umrahmt wurde die Ausstellungseröffnung von den Spessart-Spielleut' Hans und Lissy Heilgenthal – unter anderem mit dem Volkslied „Mir senn halt die Glasmacherleut'“ aus dem Kahlgrund und einem Instrumentalstück mit Glas-Psalter und Akkordeon.
Die Ausstellung „Spessartglas in aller Welt – 125 Jahre Lohrer Glasfabrik“ ist im Spessartmuseum noch bis 27. September 2015 zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10 – 16 Uhr; Sonn- und Feiertage 10 – 17 Uhr.
Die Lohrer Glashütte
Als die von dem Kaufmann Gustav Woehrnitz und dem Chemiker Dr. Ludwig Pflug gegründete Lohrer Glashütte vor 125 Jahren in Betrieb ging, befand sie sich in einer ehemaligen Papierfabrik an der Partensteiner Straße. 1951 erfolgte der Umzug an den jetzigen Standort an der Rodenbacher Straße. Seit 1971 gehört sie zum Gerresheimer-Konzern.
Seit ihrer Gründung stellt die Lohrer Glashütte bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich farbloses und braunes Verpackungsglas für Großabnehmer her. Einer der wichtigsten Produktionsposten war damals – und ist es bis heute – das „Apothekerglas“, also Flaschen für pharmazeutische Erzeugnisse. Von Anfang an bis heute ist auch die Maggiflasche dabei.
Vor 100 Jahren gehörten zu den Hauptprodukten Maggiflaschen, Oxoflaschen, Haarwasser- und Essigflaschen sowie teilweise Einmachgläser. Nach 1947 kamen Bocksbeutel, Flaschen für Sechsämtertropfen sowie Wasser- und Bierflaschen hinzu.
Aktuell werden in Lohr pro Tag 500 Tonnen Glas verarbeitet und im Jahr rund eine Milliarde Glasbehälter hergestellt, ihr Fassungsvermögen bewegt sich zwischen drei Millilitern und vier Litern. Das Produktspektrum der 365 Mitarbeiter zählenden Glasfabrik umfasst die Bereiche Pharmazie (Tropfflaschen, Tablettengläser usw.), Getränke (unter anderem Bier-, Wein- und Sektflaschen sowie Trinkgläser) und Kosmetik (Cremetiegel, Parfümflakons usw.). wde