In nur 35 Minuten gelang es der Filmemacherin Nicole Scherg aus Partenstein beim Lohrer Filmwochenende am Samstag mit ihrem Dokumentarfilm „Grosseltern“ ihr Publikum auf eine emotionale Achterbahnfahrt zu entführen. Die etwa 100 Besucher im restlos ausverkauften Kulturkeller des Weinhaus Mehling lachten, weinten, wurden gegen Ende der Aufführung mucksmäuschenstill, um dann nach dem Abspann in ein minutenlanges Klatschen überzugehen und so ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Die elementare Frage des Älterwerdens
Diese Gefühle hatte Scherg mit ihrem ersten Projekt, das sie am Ende ihrer Studienzeit in fünf Wochen im Haus ihrer Großeltern drehte, geweckt. Es geht um die elementare Frage des Älterwerdens. Darum, welche Symbiose ein Ehepaar nach Jahrzehnten der Ehe eingeht und um das Verständnis, mit einer Demenzerkrankung zu leben. Vor allem aber zeigt der Film die ehrlichen Gefühle zwischen einer Enkelin und ihren Großeltern, die sie in ruhigen Bildern unaufgeregt vermittelt.
Während der Dreharbeiten wurde der Filmemacherin bewusst, wie es wirklich um ihre Großeltern steht, was es für die eigene Oma bedeutet, mit der Demenz ihres Mannes zu leben und wie krank sie selber ist. Die Zuschauer leiden mit.
Berührende Alltagssituationen
Der Film wird langsam erzählt, die beiden Protagonisten werden minutenlang in Alltagssituationen festgehalten: Der Opa reinigt im Badezimmer sein Gebiss. Die sich auf ihn richtende Kamera und das ausgeleuchtete Zimmer scheinen ihn zu verunsichern, er versteckt sich kurz hinter der Tür. Nicole Scherg möchte von ihrem Großvater wissen, ob er jeden Abend zur gleichen Zeit sein Gebiss reinigt. Die Antwort fällt ihm schwer, er ringt nach den passenden Worten. Seine Frau hilft ihm bei der Wortsuche, so wie sie es seit seiner Erkrankung immer tut.
Immer wieder sind es diese alltäglichen Gegebenheiten aus dem Leben ihrer Großeltern, die Scherg in ihren Aufnahmen zeigt. Die Schnitte sind sparsam, die Kameraführung ruhig. Die Großeltern beim Betten machen, beim Frühstück und beim heiteren Rückblick in die Jugend. Wie sie Opa kennengelernt hat, fragt Scherg die Großmutter. „Das war nicht schwer“ erinnert sich ihre Oma lächelnd. „Der ist dann einfach mitgekommen.“ „War er besonders für Dich“ möchte Scherg wissen. „Der hat geschafft und war bei der Musik“ berichte die Großmutter liebevoll.
Durch die Demenz „alles“ verloren
Szenen wie diesen erfasst das Publikum den Pragmatismus dieser Generation, aber auch die daraus entstehende Liebe und Abhängigkeit zueinander. „Was würde der Opa ohne Dich machen“, fragt die Filmemacherin. „Nichts“ sagt die Großmutter „er käme nicht zurecht.“ Die Demenz wird sensibel thematisiert. „Es ist nicht schön, wenn er alles vergisst, aber es könnte schlimmer sein.“ Scherg hakt nach, was er alles zu früher verloren habe? „Alles.“
Ausführende Erklärungen braucht es nicht, jeder versteht die Aussagen hinter den kurzen Dialogen. Den Besuchern bleibt teilweise das Lachen im Halse stecken, wenn der Großvater vollkommen andere Antworten auf die Fragen seiner Enkelin gibt und die Großmutter ihn verbessern muss.
Eine wunderbare Aufnahme zeigt die Oma beim Kochen, ihr fällt es schwer, das Kochbesteck fest in der Hand zu halten. Erschöpft sitzt sie ihrer Enkelin gegenüber in der Küche, die merkt, dass ihre Großmutter Schmerzen hat. „Geht es“ fragt Scherg. „Es muss gehen.“ Die Filmemacherin nimmt eine ungewollte Rolle in ihrem Film ein, die das ganze Projekt noch lebhafter und authentischer gestaltet.
Zuschauer ergriffen und aufgewühlt
Am Schluss bietet sie unter Tränen ihrer Oma Hilfe an, die immer wieder beteuert, dass niemand helfen könne. In ihrer Verzweiflung versucht die alte Dame immer wieder abzulenken, deutet auf den Kameramann. Und der Opa, mit dem sie seit Jahren nicht mehr reden kann? „Er ist wenigstens da“ sagt sie „und ich bin nicht alleine.“ Die Zuschauer sind ergriffen und aufgewühlt. Sie haben den Alltag als Spiegel vorgehalten bekommen. Jeden kann das so treffen.
Anschließend steht Nicole Scherg auf der Bühne und beantwortet die vielen Fragen aus dem Publikum, bedankt sich für das viele Lob. Eine Besucherin sagt: „Sie haben einer ganzen Generation ein Denkmal gesetzt.“