Dass diese Männer keine Wanderer sind, die sich an einem Samstagmorgen in der Flurabteilung Grendel verabredet haben, kann man schon an ihrer Ausrüstung, ihren Werkzeugen wie Hacke, Maßband und Stickel erkennen. Es sind zehn Feldgeschworene der benachbarten Gemeinden von Steinfeld, Hausen und Rohrbach, die sich an der Gemarkungsgrenze von Steinfeld und Rohrbach eingefunden haben. Die Obmänner Felix Seufert (Steinfeld) und Helmut Riedmann (Rohrbach) – sie sind rüstige Rentner und schon seit über 20 Jahren Vorsitzende der Feldgeschworenen in ihrer Gemeinde - hatten einige Wochen zuvor ihre "Siewener", wie die Siebener hier im Dialekt genannt werden, zum gemeinsamen Grenzgang eingeladen. Urlaubs- und krankheitsbedingt oder aus beruflichen Gründen konnten nicht alle Steinsetzer aus den drei Ortschaften erscheinen.
Die gemeinsame Grenze von Steinfeld und Rohrbach reicht vom Beslich bis zur Valentinuskapelle und ist etwa vier Kilometer lang. Diese Strecke gehen die Feldgeschworenen an diesem Tag zu Fuß ab und erfüllen damit die Vorschrift, alle ein bis zwei Jahre entlang der gemeinsamen Gemarkungsgrenze von Steinfeld und Rohrbach zu kontrollieren, ob sich die Jahrhunderte alten Grenzsteine noch an ihrem Standort befinden.
"Markungsumgang" geht bis ins 16. Jahrhundert zurück
Der Brauch des "Markungsumgangs" geht in Franken bis auf das 16. Jahrhundert zurück. Damals schrieb Fürstbischof Julius Echter vor: "Die Versteinung der gemeinen Landstraßen und Pfäde betreffend sollen die Feldgeschworenenen jährlich […] im Beisein etlicher aus der ganzen Gemeinde besichtigen. Do etliche Stein umbkommen, dieselben wiederumb im Beisein der daran anstoßenden Parteien uffrichten und setzen."
Pandemiebedingt lag der letzte Grenzgang an der Steinfelder und Rohrbacher Gemarkungsgrenze bereits mehr als zwei Jahre zurück. Mancher Stein wird daher nicht sogleich zwischen den Bäumen und unter Gebüsch und Gras gefunden. So lassen sich auch schon die ersten Grenzsteine im Beslichholz in der Nähe der ICE-Bahnstrecke nicht so leicht finden.
Auf den Zentimeter genau auf der Karte eingetragen
Obmann Riedmann schaut daher auf seine Karte: "Nehmt das Maßband. Laut Karte muss der Stein 20,50 Meter von dem Grenzstein dort entfernt sein". Er weist seine Männer an, den vermeintlichen Ort des Grenzsteins mit der Hacke freizulegen. Auf Riedmanns Karte sind die Abstände zwischen den Steinen auf den Zentimeter genau eingetragen. Zudem ragen die Grenzsteine in der Regel einige Dezimeter aus dem Boden heraus, um für Landwirte beim Ackern und Holzfällen gut sichtbar zu sein.

Nachdem die Steinsuche erfolgreich war, reinigt ihn einer der Siebener mit einer Drahtbürste. Ein anderer schlägt dann mit dem Vorschlaghammer einen rot markierten Holzstickel unmittelbar daneben in den Boden. Zuletzt wird der Grenzstein mit weißer und blauer Farbe gekennzeichnet, um ihn so besser sichtbar zu machen. Die weiße Farbe steht für die Rohrbacher Seite, die blaue für die Gemarkung Steinfeld. Da ein anderer Stein wenige Hundert Meter weiter trotz längerer Suche nicht aufzufinden ist, macht Riedmann sich eine Notiz. Dieser Stein wird, wie der Obmann erklärt, zu einem späteren Zeitpunkt in Absprache mit dem Vermessungsamt durch einen neuen Grenzstein ersetzt.
Flurnamen über Generationen in Mundart weitergetragen
Auf der Höhe am Schmalzhäfele, wo der Blick bis zur Wasserkuppe in der Rhön und zu den Hügeln des Spessarts reicht, legen die Männer eine kleine Trinkpause ein. Dabei kommt die Sprache auch auf alte Flurnamen wie Herroth, Sauruh oder Pfaffenrain. Diese Flurnamen wurden über Generationen hinweg auf dem Land in der jeweiligen Mundart weitergetragen und geben Informationen über das Leben unserer Vorfahren. Riedmann bedauert, dass bei der Flurbereinigung und anderen Bodenordnungsmaßnahmen viele dieser Flurnamen "eingespart" werden, auf neueren Karten nicht mehr erscheinen und somit in Vergessenheit geraten.
Die zweite Etappe des Grenzgangs führt die Grenzgänger über den Heinrichsgraben, durch das Winterstal und am Steinbruch am Rohrbacher Berg vorbei. Dort befindet sich am Karlstadter Pfad ein Dreimärker. Die Buchstaben R, H und S auf dem Stein verweisen darauf, dass hier die alten Gemarkungen von Rohrbach, Hausen und Steinfeld aufeinanderstoßen. Nicht weit davon entfernt ist ein Grenzstein abgebrochen. Auch das notiert Riedmann, damit der Stein demnächst mit einem Spezialkleber repariert wird.
Abschluss traditionell mit einer Brotzeit
Auch wenn bei diesem Grenzgang so manche Scherze gemacht und einige Anekdoten erzählt werden, erledigen die Feldgeschworenen ihre Arbeit ernsthaft und gründlich. Ihnen ist als "Grenzhüter" bewusst, dass sie das älteste Ehrenamt kommunaler Selbstverwaltung innehaben, ein Amt, für das sie bis zu ihrem Lebensende gewählt wurden.
Der Grenzgang wird traditionell mit einer Brotzeit abgeschlossen, so wie es schon unter Julius Echter vor über 500 Jahren war: Den Geschworenen soll "von der Gemeinde wegen […] nach Gelegenheit ihrer gehabten Mühe eine ziembliche Ergötzlichkeit oder Verehrung gegeben werden". Die Brotzeit mit Wurst und Weck findet diesmal an der Valentinuskapelle statt, wo die Gemarkungsgrenzen von Wiesenfeld, Hausen, Rohrbach und Steinfeld aufeinanderstoßen. Die beiden Obmänner bedanken sich bei ihren Siebenern, die allesamt jünger sind als sie und betonen die "traditionell gute Zusammenarbeit" der Feldgeschworenen aus Rohrbach und Steinfeld, wie auch der geladene Gast feststellen konnte.