Die deutsch-türkische Integration hat in Lohr eine treibende Kraft verloren: Hanifi Oymak, langjähriger Vorsitzender des türkisch-islamischen Kulturvereins, ist am 19. Mai unerwartet nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Der 62-Jährige ist am vergangenen Wochenende nach muslimischem Ritus in seiner Ursprungsregion Aksaray in der Türkei beerdigt worden.
In der Öffentlichkeit ist Oymak vor allem durch das jährliche deutsch-türkische Freundschaftsfest und das gemeinsame Fastenbrechen im Ramadan bekannt geworden. Im Hintergrund hat er seit Jahrzehnten eine prägende Rolle für die Entwicklung der muslimischen Gemeinde in Lohr und der deutsch-türkischen Beziehungen gespielt.
Als Hanifi Oymak 1977 im Alter von 17 Jahren mit seinem Bruder nach Lohr zog, wo sein Vater als Gastarbeiter angestellt war, kam er in die Fremde. In einem Gespräch mit der Redaktion anlässlich der Ankunft syrischer Flüchtlinge 2015 erinnerte er sich, wie schwer die erste Zeit für ihn gewesen war. Er sprach kein Deutsch, kannte die Sitten nicht, hatte keinen Gebetsraum, um seinen Glauben auszuüben und traf auf das Misstrauen der örtlichen Bevölkerung. Doch der junge Mann schuf sich seinen Platz. 2010, bei seinem Antrittsbesuch als Vorsitzender des Kulturvereins beim damaligen Bürgermeister Ernst Prüße, stellte er sich und sein Vorstandsteam mit den Worten vor: "Wir sind Lohrer."
"Wir wollen keine Distanz"
Der Gedanke der Integration zieht sich durch Hanifi Oymaks Wirken. Immer wieder betonte er, dem deutsch-türkischen Kulturverein gehe es darum, das gemeinschaftliche Zusammenleben in Lohr, Respekt und Toleranz zu fördern. "Wir wollen keine Distanz." Als der Wahlkampf um das türkische Verfassungsreferendum 2017 zu Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis sorgte, legte Oymak Wert darauf, gerade jetzt unbelastet von den politischen Umständen die Gemeinschaft zu pflegen und unvoreingenommen miteinander zu leben. "Wir sehen uns als Teil von Lohr und Deutschland und wir wissen das zu schätzen", sagte er anlässlich der Eröffnung des deutsch-türkischen Freundschaftsfestes in jenem Jahr.
Diese Haltung hat der Lohrer Bürgermeister Mario Paul sehr geschätzt. Wichtig seien die Menschen vor Ort, darin seien Oymak und er sich immer einig gewesen, erklärt Paul im Gespräch mit der Redaktion. Mit Oymaks Tod fehle jemand "in unserer Stadt, der sich stark gemacht hat wie kein Zweiter für die deutsch-türkischen Beziehungen". Oymak sei "herzensgut, gütig, ganz ruhig und offenherzig" gewesen. Für sein ehrenamtliches Engagement hat die Stadt Lohr Hanifi Oymak 2020 im Rahmen des Neujahrsempfangs geehrt.

Hanifi Oymak sei "ein Mann des Ausgleichs" gewesen, sagt auch Mathilde Lembach, die als Pädagogin im Lohrer Jugendzentrum bei vielen Gelegenheiten mit Oymak zusammengearbeitet hat und die Familie aus der Schulzeit der gleichaltrigen Kinder kennt. Sein Engagement habe dazu beigetragen, dass Türken und Deutsche ein gutes Zusammenleben erreicht haben. Er sei ein Beispiel dafür, dass sich auch Menschen, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind, für die hiesige Gesellschaft engagieren.
Oymak hatte die Schule nur bis zur fünften Klasse, damals endete dann die Schulpflicht in der Türkei, besucht. Eigentlich habe er Journalist werden wollen, aber das sei aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht möglich gewesen, berichtet sein Sohn Emre. Er habe deshalb "tonnenweise Bücher und Zeitungen gelesen", um sich weiterzubilden. Sein Vater habe nicht die Absicht gehabt, schnell in die Türkei zurückzukehren, sondern wollte sich in Lohr ein besseres Leben aufbauen. Dazu gehörte auch die Möglichkeit, seinen Glauben und seine Kultur leben zu können.
Wohl der Kinder im Fokus
Als 1989 eine erste Moschee in Lohr entstand, sei sein Vater zunächst zum Beten dort gewesen, erzählt Emre Oymak. Ab 1991 habe er sich dann in verschiedenen Funktionen für den Kulturverein engagiert, bis er 2010 den Posten des ersten Vorsitzenden übernahm. Hanifi Oymak begleitete den Weg von der ersten Moschee zum Gebets- und Kulturzentrum in der Partensteiner Straße, den Um- und Ausbau der Räumlichkeiten und die Öffnung der Gemeinde nach außen. Sehr wichtig sei seinem Vater immer das Wohl der Kinder gewesen. "Sie sollten in der Moschee nicht nur was über die Religion lernen, sondern sich auch wohlfühlen und miteinander spielen können." Oymak hinterlässt neben seiner Frau drei Kinder und fünf Enkelkinder.
In der türkisch-islamischen Gemeinde reißt Hanifi Oymaks Tod eine große Leerstelle. Die Vorstandschaft des Kulturvereins ist durch den plötzlichen Tod des Vorsitzenden sichtlich geschockt. Oymak habe mit seinem Team "die Grundsteine gelegt" für die Entwicklung des Kulturvereins, sagt Melike Kaya, Jugendvorstand des Kulturvereins, im Gespräch mit der Redaktion. Er habe "immer ein Lächeln im Gesicht gehabt", sei ein "Problemlöser" gewesen und optimistisch an Hürden herangegangen. "Er hat an die Kleinigkeiten gedacht", erinnert sich Kaya. Rosen für alle Frauen zum Weltfrauentag am 8. März, kleine Geschenke für die Kinder zum islamischen Kindertag.
Wie es im Verein jetzt weitergeht, ist noch nicht klar. Oymak sei erst Ende Februar für eine weitere Amtszeit von drei Jahren gewählt worden, erklärt Adnan Altin, 2. Vorsitzender. Man müsse jetzt sehen, ob neugewählt werden muss oder ob es einen kommissarischen Vorsitzenden gibt.
Engagement weit über die islamische Gemeinde hinaus
Hanifi Oymaks Engagement ging weit über die islamische Gemeinde und die deutsch-türkischen Beziehungen hinaus. Ende April sei er mit dem Dachverband des Kulturvereins Ditib nach Kenia gereist, um kurz vor dem Fastenmonat Ramadan Essenspakete und Spenden an Bedürftige zu verteilen, so Emre Oymak. Den Abschluss eines weiteren Projekts in Afrika, das Oymak mit seinen Vorstandskollegen angestoßen hat, wird er nicht mehr erleben: Sechs Vereine aus der Nachbarschaft hätten Spenden gesammelt für ein Brunnenbauprojekt in Afrika, berichtet Melike Kaya. Der Bau solle im Juli fertig sein.
Wie im muslimischen Ritus vorgeschrieben ist Oymak nach seinem Tod so schnell wie möglich begraben worden, in der Stadt Aksaray in der Nähe seines Heimatdorfes. Menschen seiner Generation wollten meistens nah bei ihren Wurzeln begraben werden, erklärt Emre Oymak die Entscheidung seines Vaters. Oymak und die Vorstandschaft des Kulturvereins hätten allerdings das Ziel verfolgt, einen kleinen Teil des Lohrer Friedhofs für Muslime zu organisieren. Das bedeutet ein Begräbnis ohne Sarg, eingeschlagen in ein Leichentuch und eine Ausrichtung der Gräber nach Mekka. Eine Anfrage dazu sei kurz vor dem Tod seines Vaters an die Stadt Lohr gegangen. "Für die Antwort hat seine Lebenszeit leider nicht mehr gereicht", sagt der Sohn. Der verbleibende Vorstand des Kulturvereins wird das Thema hingegen weiterverfolgen, damit künftige Generationen Muslime in Lohr begraben werden können.