„Soll ich noch einen Hund nehmen?“ – Der ältere Herr steht etwas unentschlossen zwischen den Regalen und führt Selbstgespräche. Einen Esel hält er schon in der Hand. Doch vielleicht könnte die heimatliche Weihnachtskrippe noch eine weitere Auffrischung vertragen?
Szenen wie diese erleben Barbara Gabel und Kathrin Emmert in der Weihnachtszeit täglich. Sie haben im Lohrer Haushaltswarengeschäft Söder den Verkauf der Weihnachtskrippen unter ihren Fittichen. In den Tagen um Weihnachten herrscht dort der meiste Betrieb. Rechtzeitig vor dem Fest wollen viele noch geschwind den Figurenbestand der heimischen Krippe aufstocken. Zwischen den Jahren kommen dann die, bei denen das Birnchen im Lagerfeuer den Dienst versagt oder ein Schaf einen Beinbruch erlitten hat.
„Es ist ein schönes, weil persönliches Geschäft“, sagt Chefin Barbara Gabel. Viele Kunden kommen seit Jahrzehnten, nicht wenige auch aus dem weiteren Umkreis. Manche bringen Bilder oder gar Videos von ihren Krippen mit. Andere arbeiten Schaltpläne für eine besonders durchdachte Krippenbeleuchtung aus. Und wieder andere schildern, wie es ihnen gelungen ist, in der Krippenlandschaft einen tatsächlich fließenden Wasserlauf zu installieren. Die Weihnachtskrippe weckt eben nicht nur die Emotionen der Menschen, sondern auch den Erfindergeist.
Bei Söder hat man mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung damit. Es war der vor fünf Jahren im Alter von 82 Jahren verstorbene Seniorchef Anton Gabel, der die Krippenfiguren vor 50 Jahren ins Sortiment nahm und die Sparte danach mit Leidenschaft betreute. Er wusste auch nach vielen Jahren noch, welcher Kunde schon welche Figuren gekauft hat.
Wie in den vergangenen Jahrzehnten ist es nach Aussage von Barbara Gabel auch heute noch so, dass für viele Menschen die Gründung einer Familie der Auslöser ist, um sich mit dem Thema Weihnachtskrippe zu befassen. Die klassische Kombination, die sich Krippenneulinge zulegten, sei die Heilige Familie mitsamt Ochs und Esel. Danach folgten meist Hirten und die Schafe.
Danach wachse die Krippe entsprechend der Lebenssituation der Familien. Nicht zuletzt von der Finanzsituation dürfte die Wachstumsgeschwindigkeit abhängen. Denn gerade bei hochwertigen handgeschnitzten und -bemalten Figuren kommt schon mal ein vierstelliger Betrag zusammen, bis die Krippenlandschaft etwas dichter besiedelt ist.
Wobei der Trend heute gerade hin zu diesen hochwertigen Figuren gehe, so Gabel. Das von ihr und ihrem Mann Julius geführte Lohrer Geschäft bezieht die Figuren sein fünf Jahrzehnten von den gleichen Lieferanten, die meist in Südtirol sitzen.
„Der Klassiker ist der Klassiker“, macht Gabel deutlich, dass den Käufern von Krippenfiguren der Sinn eher weniger nach Moderne steht. Zwar sind unter dem guten Dutzend an verschiedenen Krippen, die im Lohrer Geschäft aufgebaut sind, auch solche aus Ton oder Kunstharz, auch manche mit moderner anmutenden Gestalten oder Bekleidung aus Stoff. Am häufigsten würden jedoch noch immer die aus Holz geschnitzten, von Hand bemalten und um die 13 Zentimeter großen Krippenfiguren klassischer Prägung gekauft.
„Die Frauenquote steigt“
Kathrin Emmert zu Weihnachtskrippen im Wandel
Wobei laut Gabels Mitarbeiterin Kathrin Emmert dennoch ein Trend zu beobachten ist: „Die Frauenquote steigt.“ Wo in früheren Jahren Maria die einzige Frau in der stark männerdominierten Krippenwelt war, halten zunehmend Mägde oder Mütter mit Kindern Einzug in das Figurensortiment.
Das, so Gabel, unterliege ohnehin einem stetigen Wandel. Manche Figuren würden aus dem Programm gestrichen, andere neu hinzukommen. An einem dieser Neuzugänge hat das Personal des Lohrer Fachgeschäfts sogar maßgeblich mitgewirkt: Auf den aus der Spessartstadt gemachten Vorschlag hin, hat der Hersteller Lepi seit einiger Zeit Rhönschafe im Sortiment.
Es ist ohnehin die Tierwelt, die die größte Vielfalt in die Krippen bringt. Neben Ochs und Esel gibt es Schafe in fast allen Körperhaltungen und Altersstadien. Doch damit längst nicht genug: Füchse, Mäuse, Truthähne, Rehe, Hirsche, Dachse, Pfaue, Wildschweine, Wölfe, Kamele, Hühner, Elefanten, Hasen und sogar ein Frosch warten in den Söder'schen Regalen auf ihren Umzug in eine Weihnachtskrippe.
Neben den Tieren und dutzenden verschiedenen menschlichen Figuren gibt es noch allerhand weitere Möglichkeiten der Staffage, insgesamt rund 400 verschiedene Figuren und Gegenstände sind bei Söder auf Lager, vom Klohäuschen über eine Sackkarre und die Sitzbänke bis hin zu Feuerstelle oder Bienenstock. Ein Bildstock mit Kruzifix macht es gar möglich, in der Krippengestaltung den Lebensweg des nebenan im Stroh liegenden Jesuskindes in gewisser Weise vorzuzeichnen.
Darüber, wann die Weihnachtskrippe aufzubauen ist, gehen die Meinungen traditionell auseinander. In vielen Haushalten werden die Figuren erst an Heiligabend aus der Verpackung geholt. Im Hause Gabel hingegen steht die private Krippe schon seit dem ersten Advent. Allerdings noch ohne die Heilige Familie und das Jesuskind, das erst an Heiligabend in die Krippe gelegt wird.
Doch wie lange bleibt die Krippe aufgebaut? „Mindestens bis Dreikönig, bei manchen auch bis Lichtmess, also bis zum zweiten Februar“, weiß Barbara Gabel. Dann verschwinden die Krippenfiguren auch aus dem Schaufenster des Lohrer Geschäftes. Zu tun gibt es danach freilich auch noch. Zum einen muss das Sortiment aufgefüllt werden. Zum anderen werden Figuren oder Krippenteile ins Geschäft gebracht, bei denen Reparaturen erforderlich sind. Kleinere Arbeiten erledigt Emmert selbst. „Schwere Fälle werden eingeschickt“, sagt sie – auf dass die Krippenwelt im kommenden Jahr wieder in ihrer ganzen Pracht erstrahlen kann.