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Hunger, Elend, Trost im Branntwein

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Hunger, Elend, Trost im Branntwein

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    Hunger, Elend, Trost im Branntwein
    Hunger, Elend, Trost im Branntwein Foto: FOTO ARCHIV

    Rudolf Virchow, 1821 in Pommern geboren, wirkte seit 1849 an der Würzburger Universität. Er wollte wohl hier Gras über seine Rolle in der bürgerlichen März-Revolution 1848 wachsen lassen, auch wenn er selbst diese Rolle als unbedeutend einstufte. Immerhin hatte er selbst auf den Barrikaden gestanden. In Bayern begrüßte man zwar diesen "beträchtlichen Zuwachs an Lehrkraft und Talent" für die Alma Julia, machte aber dem neuen Professor für Pathologische Anatomie ausdrücklich zur Auflage, er dürfe Würzburg nicht zum "Tummelplatz seiner bisherigen bekannt gewordenen radikalen Tendenzen" machen.

    Am, 21. Februar 1821 reiste Virchow mit zwei Regierungsbeamten von Würzburg ab. Sein Auftrag war, "den durch traurige Gerüchte als gefährlich hingestellten Gesundheitszustand der Bevölkerung" zu untersuchen. Dass die "traurigen Gerüchte" bis München gedrungen waren, dafür hatte unter anderen auch der Lohrer Pfarrer, Dekan und Landtagsabgeordnete Pankraz Lambert gesorgt, der mehrfach auf das Elend in seinem Amtsbezirk hingewiesen und Abhilfe gefordert hatte.

    Seine Exkursion führte Virchow unter anderem in die Umgebung von Aschaffenburg, nach Weibersbrunn und Rothenbuch, Laufach und Alzenau bis nach Bad Orb, das damals noch zu Bayern gehörte.

    In seiner "medizinisch-geographischen Skizze" "Die Not im Spessart" beschrieb Virchow auf 56 Druckseiten die Lage der Spessart-Bevölkerung: hungernde und häufig schwindsüchtige Menschen, anfällig für Bauchtyphus und Bronchitis, für Krätze und Kopfgrind, die nicht selten dazu neigten, Trost im Konsum von billigem Branntwein zu suchen.

    Virchow machte unter anderem die Kirche dafür verantwortlich, dass die Leute lieber zu Gebeten, als zu den Ärzten Zuflucht nahmen, ohne die Frage zu beantworten, wie die verarmten Menschen ärztliche Hilfe und Medikamente hätten bezahlen sollen. Er war sich aber darüber im klaren, dass die Ursache für viele Krankheiten in den sozialen Umständen, der schlechten Ernährung und den beengten Wohnverhältnissen zu suchen waren.

    So schildert er unter anderem: "Im Inneren einer Wohnung haust eine fast immer sehr zahlreiche und mit Kindern gesegnete Familie. Insbesonders häufig ist es, dass Seitenverwandte mit Kindern zugleich dieselben Räume mitbewohnen. Die meist sehr schmutzigen, und wo es möglich ist, dicken und heißen Betten stehen in geringer Zahl sowohl im Zimmer selbst als in dem oft dunklen und dumpfen Kämmerchen."

    Dass er die hohe Zahl unehelicher Geburten unter anderem auf den exzessiven Verzehr von Kartoffeln zurückführte, mag heute lächerlich erscheinen, aber Virchow gehörte zu den Pionieren der medizinischen Forschung, auf deren Arbeit spätere medizinische Erkenntnisse erst aufbauen konnten. Die eigentliche Ursache des Übels dürfte eher gewesen sein, dass damals zur Eheschließung eine materielle Grundlage nachgewiesen werden musste, die die wenigsten Heiratswilligen in dieser armen Region besaßen.

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    Foto: FOTO WOLFGANG DEHM

    Virchows Schilderung blieb nicht ohne Wirkung, aber die Lebensverhältnisse der Spessartbevölkerung besserten sich nur langsam. Im Grunde brachte erst nach dem Zweiten Weltkrieg der Anschluss an das Straßennetz Gewerbe in die Dörfer und Verdienstmöglichkeiten als Pendler und damit allgemeinen Wohlstand in die Spessartdörfer.

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