Der letzte Sonnenschein des Tages beleuchtet am Sonntagabend das kleine Wohngebiet am Pfaffenäcker in Pflochsbach: Notenständer werden platziert, Anwohner stimmen ihre Instrumente oder platzieren sich mit Gitarren auf der Bank vor ihrem Haus. Die etwa zwei Dutzend heute anwesenden Nachbarn stehen mit großem Abstand zueinander. Vorfreude auf das nunmehr sechste Nachbarschaftskonzert ist den Pflochsbachern anzumerken: Seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen im März musizieren sie jeden Sonntag gemeinsam.
Eine Oboe, gespielt vom elfjährigen Kontantin Schlensok – dem jüngsten der heutigen Instrumentalisten – eine Klarinette, eine Querflöte und mehrere Gitarren beginnen mit der "Ode an die Freude", besser bekannt als die "Europahymne" von Beethoven. Wer kein Instrument spielen kann, singt mit.
Das etwa zehnminütige Konzert hat begonnen – und sorgt einmal mehr für strahlende Gesichter in der Pfaffenäcker-Gemeinschaft. Aus der Ferne wird mit Prosecco zugeprostet.
"Ode an die Freude" als Zeichen der Einigkeit
"Der Zusammenhalt untereinander ist uns sehr wichtig", erklärt die Initiatorin und Dirigentin des außergewöhnlichen Straßen-Ensembles, Christel Schlensok. Aus Musikerkreisen habe sie im März über Nachbarschaftskonzerte erfahren, erklärt die studierte Kirchenorganistin. Anfangs habe Schlensok vom Haus aus bei offenen Türen am Flügel gespielt. "Das hat aber kaum einer gehört", sagt die 51-Jährige schmunzelnd. Nachdem sie wusste, dass es unter den Nachbarn mehrere Instrumentalisten gäbe, sei ihr Vorschlag auf ein gemeinsames Musizieren auf Begeisterung gestoßen.
Immer wieder kommen auch neue Instrumente unter den 35 Anwohnern hinzu, berichtet die vierfache Mutter. Neben der immer gespielten Europahymne, die laut Schlensok für Vielfalt und Einigkeit in dieser Zeit stehe, variiere die zweite Darbietung je nach Wunsch. An diesem Abend wird abschließend "Das kleine Senfkorn" intoniert.
Nachbarin Cornelia Völker erzählt, dass auch die Geburtstage vor den Haustüren besungen werden. "Selbst für eine ausgefallene Hochzeit haben wir mit Abstand musiziert", sagt die ehemalige Lohrer Grundschullehrerin.
Für Sonja Köhl und ihren Mann Alexander sind die musikalischen Treffen sehr wichtig: "Wir können uns alle hier sehen und die Musik dient dem Zusammenhalt."
Maffay-Text an die Corona-Situation angepasst
Nur wenige Meter weiter am Rubenäcker folgt am gleichen Abend ein weiterer musikalischer Höhepunkt dieser umtriebigen Nachbarschaft: Gerhard Wiesner hat auf seinem Grundstück einen kleinen Verstärker für Gesang und Gitarre aufgebaut. Etwa 30 Zuhörer haben sich auf ihren Grundstücken eingefunden um einem außergewöhnlichen Privatkonzert zu folgen.

Wiesners Songauswahl passt perfekt in diese Zeiten der eingeschränkten Freiheit: "Irgendwann bleib i dann dort" von STS, Maffays "Über sieben Brücken" und "Eiszeit". Letzteres ergänzt um den eigens zur Krise ergänzten Text: "Wir sind im Kampf gegen die Viren."
Eigentlich sollte Wiesner für eine große Geburtstagsfeier im März singen, erinnert er sich an die Entstehung seiner Privatkonzerte zurück. Diese fiel aufgrund der Ausgangsbeschränkungen aus. "Da habe ich mich auf mein Grundstück gestellt und ein paar Lieder für unsere Bekannte gesungen." Immer mehr Nachbarn seien aus den Häusern gekommen um zu lauschen, sagt der gebürtige Pflochsbacher, der früher auch in einer Band spielte. Seine einstündige Aufführung sieht er als Geste für den Zusammenhalt in der Nachbarschaft. "Wir sind untereinander für uns da", wirft seine Frau Sandra ein: "Die sozialen Kontakte fehlen uns allen."
Solange die Ausgangsbeschränkungen gelten, möchte Wiesner weiter musizieren – genauso wie das sonntägliche Nachbarschaftskonzert am Pfaffenäcker auch in den kommenden Wochen für ein bisschen Normalität und Gemeinschaftsgefühl unter den Anwohnern sorgen soll.