In den 1960er Jahren waren auch im Spessart etliche Menschen längst motorisiert. Doch der Leichenwagen wurde noch von Pferden gezogen. Der letzte Trauerzug mit dem kutschenartigen Gefährt an der Spitze war in Frammersbach nach der Erinnerung von Gottfried Anderlohr 1968.
Bevor in den 1960er Jahren die Leichenhäuser gebaut wurden, war es üblich, die Toten zuhause aufzubahren. »Zum Kühlen hat man Eis in der Brauerei geholt«, erzählt der 88-jährige Anderlohr. Die Nachbarn kamen, um Anteil und Abschied zu nehmen, haben den Leichnam hergerichtet und die Trauernden von Arbeiten entlastet. Davon erzählen noch, je nach eigenem Alter, Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Gottfried Anderlohr weiß noch, dass der Pfarrer am Haus des Verstorbenen die Aussegnung vornahm und der Rosenkranz gebetet wurde.
Mit Spitze und Sarg
Am Tag des Begräbnisses versammelte sich die Trauergemeinde am Trauerhaus. Der Sarg wurde in den Leichenwagen gehoben. Von Pferden gezogen, führte er den Trauerzug zum Friedhof.
Früher war es üblich, dass pro Haushalt mindestens ein Vertreter an jeder Beerdigung teilnahm. Wenn ein Mensch aus dem Ort gestorben war, eine oder einer der ihren, war es selbstverständlich, ihm oder ihr das letzte Geleit zu geben. Damit die Bräuche nicht in Vergessenheit geraten, hat Gottfried Anderlohr den alten Leichenwagen nachgebaut. »Irgendwann, kommt er weg, wird verkauft, dann weiß niemand mehr, wie er ausgesehen hat.« Der Modellbauer hat das Gefährt, das verstaubt in einer Garage steht, vermessen.
Für seinen Nachbau hat er den Maßstab 1:10 gewählt. Fast alles an dem Modell ist aus Holz und originalgetreu gefertigt: Die Speichen verjüngen sich nach außen, Spitzen hängen innen vom Dach herunter. Bremsklötze sind dran, ebenso die Federung. Die von Anderlohr geschnitzten Pferde tragen schmucke Decken. Der Kutscher hat einen Zylinder auf dem Kopf und die Peitsche in der Hand. Auch der Sarg fehlt nicht.
Rund eineinhalb Monate habe er daran gearbeitet. »Wie ich halt Lust hatte.« Den Wagen hat er aus Sperrholz ausgesägt. Die Reifen sind aus Metallstreifen, die Gottfried Anderlohr aus einer Wurstdose herausgeschnitten hat. Als Achse hat er eine Gewindestange verwendet.
Flieger und 3-D-Bilder
Der Leichenwagen ist nicht das erste Werk des 88-Jährigen. Eine Reisekutsche gehört zu seinen Nachbauten ebenso wie der Frammersbacher Fuhrmannswagen und eine Eisenbahn. Ein Modell der Frammersbacher Senfmühle hat er 2006 der Schule geschenkt.
Bis zu seinem 80. Lebensjahr war die Modellfliegerei sein Hobby. »Dann ist mein Modellflieger abgestürzt und ich habe ihn nicht mehr repariert.« Stolz zeigt er einige der von ihm gemalten und gebastelten 3-D-Bilder: die Frammersbacher Kirche, Neuschwanstein und das Frammersbacher Seniorenheim.
Er zeigt eine Holzschale und einen Kerzenständer. Beides hat er als Lehrling gedrechselt. Anderlohr erklärt, wie man filigrane Säulen drechseln kann, indem man das Werkstück ins Bohrfutter der Bohrmaschine einspannt. Er bastelt Dekoartikel, ob Blumentöpfchen mit Inhalt oder Kerzenmodelle aus Holz, denen er eine Flamme aufmalt. Außerdem gestaltet er seit etlichen Jahren einen Kalender mit Motiven aus Frammersbach. Beschriftet ist er im Dialekt.
