Farblose Dörfer, wenig Kultur und einfach gestrickte Menschen: Der Begriff "Provinz" hat oft einen negativen Beigeschmack. Der in Karlstadt und Aschaffenburg aufgewachsene Autor und Künstler Martin Oswald will das so nicht stehen lassen. Für sein neues Buch, das er auf der Leipziger Buchmesse vorstellen wird, hat der selbsternannte Ortsumgehungsethnologe und Nebensächlichkeitsforscher die Menschen in der "Provinz" genau beobachtet. Es erscheint in der ersten Märzwoche.
Respektvoll, aber nicht immer ernsthaft, versucht der 65-Jährige mit feinem Humor zu beantworten, was eigentlich diese Provinz ist. Dabei stellt er unter anderem fest, dass der Sinngrund ein Hotspot für Philosophen ist und der fränkische Witz vielschichtig. "Ich versuche, die Dinge so zu beschreiben, wie sie sind. Mit einem ironischen, süffisanten, liebevollen Blick. Die Wertung überlasse ich den Leserinnen und Lesern", sagt Oswald im Gespräch mit dieser Redaktion.
Frage: Herr Oswald, was ist für Sie Provinz?
Martin Oswald: Provinz findet man überall. In Köln genauso wie in Berlin, aber auch in Karlstadt, oder kleinen Dörfern. Als Provinz würde ich das überschaubare Leben bezeichnen, wo die Kommunikationswege kurz sind und die Menschen sich kennen, egal ob im Kiez oder im Dorf. Ohne negative Wertung, im Gegenteil. Provinz ist für mich etwas Positives. Die regionalen Eigenheiten, die lokalen Mikroorganismen wird man als Außenstehender allerdings nie ganz verstehen.
Wie unterscheidet sich die Provinz in Franken?
Oswald: Weingegenden haben andere Mentalitäten als reine Biergegenden. Etwa sind die Bamberger schon etwas anders als die Würzburger. Und zwischen Lohr und Aschaffenburg liegt die alte Bistumsgrenze von Mainz und Würzburg. Das ist eine alte Kulturgrenze bis heute, erkennbar zum Beispiel am Dialekt. Auch die Menschen sind verschieden.
Inwiefern?
Oswald: Die Aschaffenburger ähneln mit ihrer Offenheit mehr den Mainzern, während östlich davon der Witz eher trocken und zurückhaltend ist. Man muss zweimal nachdenken über die Pointe. Als Außenstehender sowieso. Der alte Besitzer der Steinfelder Brauerei hat mir einst gesagt, nachdem ich ihn gefragt hatte, wie lange sein Bier hält: "Unser Bier ist nicht zum Lagern da." Dabei lächelte er verschmitzt.
"Die Menschen schätzen es, wenn man sich für sie interessiert und das, was passiert, wahrnimmt."
Martin Oswald, Autor und Künstler
Sie waren 2023 Turmschreiber der mittelfränkischen Kleinstadt Abenberg bei Roth. Dafür waren Sie einen Monat lang im Ort unterwegs. Herausgekommen ist Ihr Buch. Was ist ihr Fazit?
Oswald: Die Menschen schätzen es, wenn man sich für sie interessiert und das, was passiert, wahrnimmt. Wenn Politiker nur zu Wahlkampfzeiten aufs Land fahren, fühlen sich die Menschen draußen zurecht abgehängt und ausgegrenzt.
Wie hat Sie das Aufwachsen in Karlstadt geprägt?
Oswald: Ich hatte das Glück einer wunderbaren Kindheit. Wir waren täglich am Saupurzel, unserem Hausberg, und später bis Schönarts unterwegs. Das Leben hier hat mich insofern geprägt, als dass ich später stets lieber in Kleinstädten wohnen wollte. Und so weit sind die größeren Städte ja nicht weg. In den Kleinstädten und Dörfern hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten unheimlich viel geändert.
Zum Beispiel?

Oswald: Einerseits sind die Menschen durch das Internet und die Medien genauso informiert wie im Rest Deutschlands. Auch kann ich mir aufs Land alles bestellen. Doch viele Kleinstädte wuchern an den Rändern und veröden im Zentrum. Geht man dann tagsüber auf Dörfern spazieren, ist oft keine Menschenseele zu sehen. Die sind wie ausgestorben, da herrscht kein Leben, weil die Menschen auswärts arbeiten und es kaum mehr Bauernhöfe oder Gaststätten gibt. Das ist kein abschätziges Urteil, sondern schlichtweg eine Beobachtung – und traurig, wenn man weiß, welches Leben hier einst geherrscht hat. Es ist in den letzten Jahrzehnten versäumt worden, diese Orte noch mehr zu integrieren.
Könnten Sie einem Museum drei Dinge übergeben, die für Sie sinnbildlich für die Provinz stehen – was wäre es?
Oswald: Das erste wäre eine Bierkiste mit alten Schnappverschlussflaschen. Als zweiten Gegenstand würde ich das verwaiste Hüpf-Trampolin wählen, das mittlerweile in so vielen Gärten zu finden ist. Und schließlich: In Mittelfranken bauen Jugendliche anlässlich der Kirchweih ganz verrückte Flöße für ein Rennen auf der fränkischen Rezat. So ein buntes Floß würde ich als Museumsstück spenden.
Martin Oswald: Kafka hat am Sonntag geschlossen. Beobachtungen eines Flaneurs. 140 Seiten. 22 Euro. Kröner Verlag Edition Klöpfer. Auch als E-Book erhältlich. Am Sonntag, 23. März, liest Oswald um 18 Uhr im Spitäle in Würzburg und am 16. Oktober um 19 Uhr in der Uhrenstube im Historischen Rathaus in Karlstadt.
Über den AutorMartin Oswald ist als Sohn eines Lehrers in Karlstadt und Aschaffenburg aufgewachsen. Der Autor lebt heute im Bodenseeraum und am Rande des Spessarts und ist außerdem Kabarettist, Galerist, Künstler, Kurator. Er trat wiederholt mit der Karlstadter Band "Schleifstein" auf. Oswald hat Germanistik und Kunst in Augsburg studiert. Er ist Hausautor des Musikkabaretts "Die Mehlprimeln". Seit 21 Jahren hat er eine Professur für Kunst in Weingarten. 2023 war er Turmschreiber der Stadt Abenberg.Quelle: Oswald