Dr. Nätscher ist Chemiker, und die Sprache dieser Branche ist geschwollen, sachlich und staubtrocken. Schön, dass die Partensteiner Mundart mit handfesten Bildern arbeitet: "Oh, geh zuh, äss! Do schëist-de a ni nüettern nëis Bett." Das sagt man in Partenstein bis heute, um jemanden aufzufordern, der sich sträubt, etwas zu essen. Die Übersetzung: "Geh zu, iss. Da scheißt du auch nicht nüchtern ins Bett."
Harmlos: "Hahl dëi Fresse"
Dafür liebt Nätscher die Mundart: "Die Sprache ist bildhafter aber deswegen nicht gröber. Wir sind nur zu sehr auf das schriftliche Wertesystem fixiert." Wenn die Partensteiner sagen "Hahl dëi Fresse", dann empfinde das am Stammtisch niemand als beleidigend. Der Satz sei gar alltäglich und habe in gewisser Weise übertragenen Sinn.
Der 57-Jährige ist ein genauer Mensch. Auf seinem Arbeitsplatz liegen Bücher auf akkuraten Stapeln. Zettelwerk findet sich lediglich in der Brusttasche seines Hemdes. Block und Bleistift sind immer am Mann. Bei jeder Gelegenheit schaut er den Partensteinern aufs Maul. Neben dem, was dabei zufällig abfiel und abfällt, hat Nätscher in 600 Stunden 89 Personen befragt, um zu erfahren, wie die Partensteiner zu welchen Dingen sagen. Das können einzelne Wörter sein, Sätze, oder Redensarten, die teilweise auszusterben drohen, teilweise noch von den jüngsten Einheimischen verwendet werden. "E Schbleessle" zum Beispiel ist ein Kind, oder ein Haustier, das dürr ist oder nicht gedeiht. "Ei beh von Höhwaech ah haüt" heißt übersetzt "Ich bin vom Höhenweg ab heute" und bedeutet "Ich bin durcheinander. / Ich weiß nicht mehr weiter."
"In 50 Jahren kann niemand diese Arbeit mehr machen", sagt Nätscher über das Lexikon. "Dieses Fenster in die Vergangenheit geht in 15 bis 20 Jahren für immer zu." Mit Hilfe von Fachliteratur hat der Hobby-Mundartforscher herausgefunden, dass einzelne Wörter über 800 Jahre alt sind. Noch ist der Punkt nicht erreicht, an dem neue Begriffe aus der Dorfsprache ausbleiben. Zwei bis drei Jahre will sich Nätscher in jedem Fall noch Zeit nehmen. "Mich drängt nichts. Die Arbeit ist für mich etwas Ideelles."
Nätscher ist in Lohr geboren und in Partenstein aufgewachsen. Sein Vater Dr. Eugen Nätscher, der 35 Jahre lang Arzt in Partenstein war, befasste sich lange Zeit mit Mundart, Volkskunde und Dorfgeschichte des Orts und fasste seine Erkenntnisse in dem Buch "Ällewäll håt's geschällt" zusammen. Während der Vater Eugen Nätscher ein Lesebuch schrieb, ist das Mundart-Lexikon des Sohns ein Nachschlagewerk. "Da kann man nicht eine Seite nach der anderen lesen. Ich könnte natürlich auch Prosa schreiben. Aber dann würden aus 400 schnell 1000 Seiten."
Das Lexikon ermöglicht eine alphabetische und eine thematische Suche. "Wer ein Wort sucht, soll es auch garantiert finden." Um das zu gewährleisten wälzt und wälzt Nätscher immer wieder den mittlerweile 15. Entwurf des Lexikons, verbessert Schreibweisen oder fügt noch einen Querverweis an. Auf 400 Seiten bündelt Nätscher die aussterbende Dorfsprache, die in dieser Gesamtheit längst kein einzelner Partensteiner mehr kennt.
1000 Worte Löhrerisch
Die Quelle für das Werk waren und sind natürlich die Partensteiner selbst. Manche schrieben ganze Hefte voll, andere lieferten einzelne Worte. Immer wieder zog Nätscher mit Bildern los, um die Partensteiner nach Details zu fragen. Wie heißt der dünne Fladen aus selbstgemachtem Nudelteig? Nudelplåhtz. In welchem Behältnis bietet der Fuhrmann den Pferden Futter an, wenn er unterwegs ist? Fuitterkaste.
Bei den Befragungen sammelte Nätscher allerhand "Abfallprodukte", die sich teilweise in dem Lexikon wieder finden und teilweise für eigene Veröffentlichungen geeignet sind. Kochrezepte oder Anleitungen für Kinderspiel beispielsweise. Interessant soll das Lexikon nicht nur für Partensteiner sein. Hunderte Vergleichsworte geben Einblicke in benachbarte Orte. Auch daraus soll unter anderem ein eigener Band "1000 Worte Löhrerisch" entstehen. Ob die Lohrer bei der Suche nach dem längsten Wort mithalten könne, ist allerdings fraglich. Der Partensteiner Trumpf hat exakt 40 Buchstaben: Kirbkucheblächerzammetrachsdunnerschtich. Das war und ist bis heute der Donnerstag vor der Kirchweih, an dem die Kuchenbleche zusammengetragen und sämtliche Vorbereitungen zum Backen getroffen werden.