Eines steht fest: Es ist nicht wie weiland die Cholera im Jahr 1866, die derzeit die Bevölkerung von Rothenfels dezimiert. Zum 30. Juni vergangenen Jahres wies das Statistische Landesamt nur noch 956 Rothenfelser aus – und da sind die „Bercher“ schon einbezogen. Rothenfels untermauert mit weniger als 1000 Seelen sein Dasein als kleinste Stadt im Freistaat ausgesprochen nachhaltig.
Immerhin: Am 31. Dezember 2010 wohnten nur noch 955 Rothenfelser in den Mauern der Stadt und rund um die trutzige Burg. Ob der verzeichnete Ein-Personen-Zuwachs ein halbes Jahr später einen dauerhaften optimistischen Aufschwung signalisiert, darf getrost bezweifelt werden.
Die Bezeichnung „Stadt“ ist nicht abhängig von der Zahl ihrer Einwohner. In Deutschland sind Städte bekannt, die noch weniger Menschen beherbergen als Rothenfels. Die kleinste Stadt bundesweit ist Arnis in Schleswig-Holstein mit gerade mal 283 statistisch erfassten Seelen. Zwischen ihr und Rothenfels liegen noch genau zwei Handvoll Kommunen, denen ebenfalls vor langer Zeit das Stadtrecht von der damaligen Herrschaft verliehen worden war. Von wem und wann Rothenfels zur Stadt „befördert“ wurde, darüber löst sich der Nebel der Geschichte nicht auf. In einer Urkunde vom 12. November 1342 ist allerdings erstmals von der Stadt Rothenfels die Rede.
Windheim, Hafenlohr und Zimmern gehörten damals zu Rothenfels, und die Zahl der Bürger lag in den vergangenen Jahrhunderten zwischen 250 und weit unter 1000. Auch Bergrothenfels zählte schon damals zur Stadt. Wie Windheim sagte es sich aber 1822 los – gegen den Willen der Städter. Die Rothenfelser Chronik von Peter Kolb gibt umfassend Aufschluss darüber.
Die Gebietsreform vermählte Rothenfels und „Berch“, wie der Stadtteil heute mundartlich genannt wird, abermals. Seinerzeit brachte Bergrothenfels oben auf dem Berg stattliche 581 Männer, Frauen und Kinder mit in die Ehe. Das waren genau 25 mehr als die Stadt selbst, die 556 Seelen zum neuen kommunalen Zwangsgebilde beisteuerte.
Die „Tausender-Schallmauer“ wurde also erst dank des bevölkerungstechnischen Turboladers „von oben“ erreicht. Immerhin blieb Rothenfels auch danach die kleinste Stadt Bayerns – womit sie gerne kokettiert und was sie sich nicht nur auf die redensartlichen Fahnen, sondern auch auf ihre Briefbogen schreibt.
Nun, da die echten Rothenfelser und die „Bercher“ zahlenmäßig immer mehr abnehmen, zieht das nach derzeitiger Gesetzeslage auch administrative Konsequenzen nach sich: Die Zahl der Stadtratsmitglieder verringert sich unterhalb von 1000 Einwohnern von zwölf auf acht, allerdings erst ab der übernächsten Amtsperiode, also ab 2020.
Auch für den nebenamtlichen Bürgermeister wird die „Lohntüte“ in Form der so genannten monatlichen Entschädigung erheblich dünner. Hat der Stadt- beziehungsweise Gemeinderat bei Kommunen von 1001 bis 3000 Einwohnern einen Ermessensspielraum von 1830 bis 3307 Euro für dieses Salär, so liegt er bei Orten mit bis zu 1000 Bürgern nur noch zwischen 430 und 1907 Euro – so sagt es das bayerische Gesetz über kommunale Wahlbeamte (KWBG). Diese Veränderung tritt allerdings schon 2014 in Kraft.
„Es gibt zu wenige Babys.“
Rosemarie Richartz Bürgermeisterin von Rothenfels
Festgeschrieben auf alle Zeiten sind diese Fakten aber keineswegs. Das KWBG wird derzeit nämlich novelliert. Es befindet sich zurzeit schon in der Lesung im Landtag. „Derzeit ist also alles im Fluss“, erklärte dazu das Landratsamt. Einzelheiten seien in nicht allzu ferner Zeit zu erwarten.
Was aber sind die Gründe für das Schrumpfen der Einwohnerzahl? Eine Flucht aus Rothenfels kann man keineswegs feststellen. Seit 2008 halten sich Zu- und Wegzüge mit jeweils 149 exakt die Waage. Auffallend ist aber, dass im selben Zeitraum 48 Menschen starben (ohne die Zahlen des damals in Rothenfels beheimateten Juliusspitals), aber nur 27 Rothenfelser geboren wurden.
Bürgermeisterin Rosemarie Richartz bringt es auf den Punkt: „Es gibt zu wenige Babys!“ Diese Tatsache könne auch die gute Verkehrsverbindung an Marktheidenfeld und Lohr nicht ausgleichen. Richartz sieht ein Manko darin, dass so gut wie kein Bauland in öffentlicher Hand ist. In „Berch“ werden deshalb gerade private Bauplatzeigner wegen eines eventuellen Verkaufs befragt.
Freilich zögen immer wieder Leute nach und sie fühlten sich auch recht wohl in der Stadt. Aber umgekehrt verlassen immer wieder Rothenfelser ihre Heimat wegen Heirat oder Studiums. Michael Gram, Dritter Bürgermeister aus Bergrothenfels, erinnert fast wehmütig daran, dass 1983 das letzte Baugebiet ausgewiesen wurde.
So dümpeln die Rothenfelser wohl auch in Zukunft knapp unterhalb der 1000-Einwohner-Linie entlang. Ganz aussterben werden sie dennoch nicht. Richartz ist zuversichtlich, dass immer wieder Leute nach Rothenfels zurückkehren oder andere neu ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlegen. „Wer hier hinzieht, der mag die besondere Eigenheit, den Charme unserer Altstadt und die Ruhe von Gottes freier Natur in Berch“, sagt sie. „Und der lebt auch gerne hier. In der Vergangenheit haben viele Leute den Weg zu uns gefunden, und das wird auch weiterhin so sein.“