Innovative digitale Geschäftsideen können überall entstehen: Auf dem Land genauso wie in der Metropole. Um professionelle Hilfe bei deren Umsetzung zu bekommen, war es früher jedoch meist nötig, in eine Großstadt zu gehen. Seit das Starthouse Spessart vor fünf Jahren in Lohr geöffnet hat, gehören lange Wege für angehende Gründerinnen und Gründer im Kreis Main-Spessart der Vergangenheit an. Die lokale Start-up-Szene hat mit dem Digitalen Gründerzentrum eine nahe Anlaufstelle bekommen, deren Anziehungskraft so groß ist, dass selbst Würzburger Firmen sich hier engagieren.
Bei vielen jungen Gründern aus der Region schwingt noch immer Verwunderung mit, wenn sie bei der Jubiläumsfeier zum fünfjährigen Bestehen des Starthouse am Montag über ihren Erstkontakt mit der Einrichtung sprechen. Der 29-jährige Florian Zaschka aus Stetten hat mit zwei Mitstreitern aus Arnstein die IT-Projektschmiede aus der Taufe gehoben. Sie entwickeln Software für Kommunen und andere Start-ups und haben ihr Büro im Würzburger Gründerzentrum eingerichtet. Im Lohrer Starthouse, das sie durch viele Veranstaltungen kennen, fühlen sie sich laut Zaschka aber daheim. "Wir hätten nicht gedacht, was es hier für eine lebhafte Gründerszene gibt. Die findet sich hier seit fünf Jahren im Starthouse zusammen", sagt er.
Vom Angebot überwältigt
Auch Julian Lübeck aus Lohr war nach eigener Aussage erst einmal "überrascht und überwältigt vom Raum und der Technik hier". Vor dreieinhalb Jahren mietete er sich im Digitalen Gründerzentrum in seiner Heimatstadt ein, um sich mit media-scope selbstständig zu machen, wo er für seine Auftraggeber Videos dreht und Fotos schießt. Er hätte nie gedacht, hier auf dem Land Berater, Unterstützung und "so ein gigantisches Netzwerk" zu finden, erzählt der 22-Jährige.
Gefunden hat er im Starthouse auch Martin Ludwig, mit dem er zwischenzeitlich ein zweites Start-up ins Leben gerufen hat. Bei Live on Tape produzieren die beiden Gründer Podcasts für Firmen und geben ihr Wissen dazu in Workshops weiter. Der 39-jährige Birkenfelder, der lange in einer Bank gearbeitet hatte, bevor er sich für den Schritt in die Selbstständigkeit entschied, hatte Lohr als Gründungszentrale auch nicht auf dem Radar. "Wo spielt die Musik für Start-ups? In Berlin und im Silicon Valley, dachte ich immer", sagt Ludwig und lächelt. Jetzt weiß er es besser: "Ohne das Starthouse wäre die Idee nicht entstanden, denn hier haben wir uns erst getroffen."
Knapp 100 Menschen beraten
Solche Erfolgserlebnisse sind Musik in den Ohren von Anja Güll, die das Digitale Gründerzentrum in Lohr seit 2021 leitet. Knapp 100 Gründungsinteressierte hat das Starthouse nach eigenen Angaben in den fünf Jahren seines Bestehens betreut. Manche von ihnen kamen nur zu einer Erstberatung oder orientierten sich wieder um, andere verfolgten ihre Gründungsidee weiter und profitierten von der professionellen Unterstützung. Aktuell haben sich laut der 31-Jährigen acht Start-ups dauerhaft in den Räumen des Gründerzentrums eingemietet, acht weitere werden eng betreut, ohne allerdings einen Arbeitsplatz vor Ort zu haben.

Auch das Unternehmensnetzwerk hat sich stetig erweitert: Waren es anfangs noch zwölf Partner, so stehen dem Starthouse aktuell 27 Unternehmen zur Seite, von denen es 22 auch finanziell unterstützen, wie Anja Güll berichtet. Den konkreten wirtschaftlichen Nutzen des Digitalen Gründerzentrums in Lohr nach seinen ersten fünf Jahren zu beziffern, findet Güll schwierig. Sie sieht das Starthouse als Investition in die Zukunft und geht davon aus, dass erst nach zehn bis 15 Jahren "greifbare Veränderungen zu spüren sind, wenn unsere Arbeit gut ist".
Positive Bilanz gezogen
Die Starthouse-Leiterin zieht trotzdem eine positive Bilanz: "Die Gründungszahlen, die dem Ministerium bei Antragsstellung als Messlatte gemeldet wurden, überschreiten wir sogar. Wir haben immer zwischen acht und zwölf Teams, die vor Ort arbeiten. Das ist für uns als ländliches Gründerzentrum eine tolle Quote", betont Güll. Der Erfolg lasse sich auch am Unternehmensnetzwerk ablesen, das mehr als verdoppelt wurde. Das gebe dem Starthouse einerseits finanzielle Sicherheit, andererseits zeige es, dass die Unternehmen zufrieden mit der Arbeit des Gründerzentrums seien, erklärt die 31-Jährige. "Es ist nicht so leicht, in Zeiten wirtschaftlicher Krise Unternehmen dafür zu gewinnen, einen Jahresbeitrag in einem Gründerzentrum zu zahlen", betont sie.
Dass die Arbeit des Starthouse Früchte trägt, lässt sich auch an zwei Erfolgsgeschichten ablesen: Eine davon betrifft das Würzburger Start-up Includo, dessen Ziel es nach Aussage Gülls ist, "zum Amazon für soziale und nachhaltige Produkte zu werden". Es hat voriges Jahr bei einer Veranstaltung in Lohr einen Geldgeber gefunden. Ronny Denk, der im Beirat des Starthouse Spessart sitzt, hat einen mittleren fünfstelligen Betrag in die junge Firma investiert.
Glossar für Fachbegriffe nötig
Im Start-up-Jargon hört sich das dann in etwa so an: Beim Pitch-Programm "Höhle der Keiler" hat ein Business Angel für den ersten größeren Deal Flow gesorgt. Da ist es nicht verwunderlich, wenn Ronny Denk erzählt, dass man beim Starthouse ein Glossar für wichtige Szene-Begriffe angelegt hat, in dem bei Bedarf nachgeschlagen werden kann.
Der 45-Jährige, der mit seiner Firma Salescraft Ventures mit Sitz in Hausen bei Würzburg nach Angaben auf der Firmen-Internetseite bereits 80 Millionen Euro in Start-ups investiert hat, ist für Gründer im Starthouse Spessart auch als Mentor tätig. "Ich sehe hier viel Potenzial und die Möglichkeit, Potenzial mitzugestalten", betont er.
Peter-Marc Droste, der sich seit vier Jahren im Netzwerk des Lohrer Gründerzentrums engagiert, hat einen Traum: Er wolle aus der Region ein kleines Silicon Valley machen, "um Start-ups zu veredeln". Der 77-Jährige aus Rieneck hat sich mit Gleichgesinnten bei Impact 51 zusammengetan, um erfolgversprechende Start-ups schon in frühen Phasen mit seiner Expertise und Geld zu unterstützen. Droste lobt die Gründerszene in Main-Spessart: Im Gegensatz zu Berlin, wo "alles ein bisschen abgerockt" sei und er immer wieder auf Arroganz treffe, seien die Leute hier "bodenständig und ehrlich".
Christian Maier aus Lohr gehört gewissermaßen schon zum Inventar des Starthouse Spessart: Der 48-Jährige hatte bereits mit der ehemaligen Leiterin Lisa Straub Kontakt aufgenommen, bevor das Digitale Gründerzentrum überhaupt eingeweiht war. Hier hat der Lohrer sein Start-up cherry-click vorangebracht und unter anderem eine App entwickelt, über die Eltern mit Kindergärten und Schulen kommunizieren können. Die Bestellung des Mittagessens, Terminvereinbarungen und die elektronische Bezahlung von Klassenfahrten sind nur einige der Funktionen, die das Programm bündelt.
Kikom: Idee aus Lohr weiterverkauft
Seine App hat Maier kürzlich an ein Würzburger Start-up verkauft, die eine ähnliche Software zur Digitalisierung von Kita, Hort und Mittagsbetreuung anbieten. Denen fehlte jedoch eine Bezahlfunktion, mit der Maiers App aufwarten konnte. Für "eine hohe fünfstellige Summe, eine Umsatzbeteiligung und eine Festanstellung" trat der Lohrer seine Erfindung ab.
Das Geld stand für ihn bei dem Deal nach eigener Aussage nicht im Vordergrund: "Wichtig ist mir, dass meine Idee weiterlebt und das, was ich erschaffen habe, zur Anwendung kommt". Die Kikom genannte App sei laut Maier bereits in rund 3500 Kindergärten in Österreich, Deutschland und der Schweiz im Einsatz. Sein Start-up cherry-click betreibt er weiter. Ideen habe er noch genug, sagt der Lohrer.
Das zarte Pflänzchen namens Starthouse Spessart, das vor fünf Jahren in Lohr gesetzt wurde, gedeiht offenbar prächtig. Es treibt weiter Wurzeln, was sowohl an der Zahl der Gründer, die sich dort beraten lassen, als auch und an der Verbreiterung des Partnernetzwerks abzulesen ist. Die meisten Start-ups, die das Digitale Gründerzentrum begleitet, werden übrigens nicht von jungen Menschen geführt. "Die Mehrheit der Gründungsanfragen sind Leute, die über viele Jahre im Angestelltenverhältnis sind und sich nebenberuflich selbstständig machen", berichtet Güll. Mit einer guten Idee könne man auch mit 75 gründen. "Da gibt es keine Altersbeschränkung", betont sie.