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"Lotto spielen ist wie Hasch rauchen"

Marktheidenfeld

"Lotto spielen ist wie Hasch rauchen"

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    Zitterpartie beim Ankreuzen: Sechs
Richtige genügen nicht; wer
wirklich viel gewinnen will, braucht
auch die passende Superzahl.
    Zitterpartie beim Ankreuzen: Sechs Richtige genügen nicht; wer wirklich viel gewinnen will, braucht auch die passende Superzahl.

    D ie Wahrscheinlichkeit, beim Lotto Millionär zu werden, liegt bei 1:14 Millionen. Die Wahrscheinlichkeit von einem Blitz getroffen zu werden, ist hundertmal höher, doch das scheint kaum jemanden zu jucken. Ja, zugegeben, es gibt sie. Diese wenigen Menschen, die irgendwann mal das große Los gezogen haben, wie zum Beispiel der Handwerker aus Unterfranken, der 2003 auf einen Schlag 7,3 Millionen Euro gewann oder die 35-jährige Arbeiterin aus der Oberpfalz, die im Juni 2005 noch eine Million mehr mit nach Hause nehmen durfte - den höchsten Einzelgewinn in der Geschichte der Lotterie überhaupt, wie ein Anruf bei der Staatlichen Lotteriestelle in München ergab.

    Wenn der Jackpot anschwillt, zieht es selbst Lotto-Neulinge an die Tippstellen wie die Bienen an den Honig. Der Jackpot lag vor rund zwei Wochen bei 21, dann bei 24 Millionen Euro, als er endlich geknackt wurde. Es war der zweithöchste, den es in Deutschland je gab. Doch allem Wohlwollen zum Trotz: Woher kommt diese fanatische Glücksleidenschaft, die doch so selten befriedigt wird? Eine Spurensuche in Sendelbach.

    Das Sonnenlicht spiegelt sich auf dem Kotflügel eines silber-grauen Opels. Ein Mann dahinter im Mercedes parkt frech neben dem Bürgersteig, mitten auf der Hauptstraße, genauer gesagt direkt vor der Lotto-Toto-Annahmestelle von Vera Heinz aus Sendelbach. Er steigt aus dem Auto und läuft zielstrebig auf die Eingangstüre der Lottostelle zu. Im Schaufenster des Ladens verheißt eine prall gefüllte Schatztruhe mit bunten 100- und 200-Euro-Papierscheinen den absoluten Super-Wahnsinns-Reichtum.

    Wir folgen ihm ins Geschäft. An der Wand hängen lila Luftballons, rote, gelbe und blaue Lose liegen und stehen verstreut auf dem Ladentisch und versprechen alles Glück dieser Erde. Für flüchtige Blicke wirken die gläsernen Urnen mit den Losen wie Erdnuss-Schalen. Der Mercedesfahrer legt wortlos seinen Lottoschein auf die Ladentheke. Besitzerin Vera Heinz, die wie jeden Tag hinter der Ladentheke sitzt, wirft einen Blick darauf und sagt: "War wohl nix." Der Mann geht wieder. Grußlos. Nicht alle Kunden, die Veras Reich betreten, sind so sprachlos. Manche schauen extra nur zum Tratschen vorbei. Eine Kundin erzählt zwischen Tür und Angel von dem Knoten in ihrer Brust, den der Doktor bei der letzten Untersuchung entdeckt hat. Die nächste plaudert von einem Sorgenkind namens Thomas. Der Junge weigere sich seit Monaten in die Schule zu gehen, seufzt die Frau. "Ganze Bücher könnte ich über meine Kundschaft schreiben", sagt Vera Heinz. Was sie natürlich nie machen würde. Nur wer auch Sachen für sich behalten kann, wird bei den Leuten geschätzt. Die 46-Jährige weiß fast immer einen Rat. Gegen Rückenschmerzen empfiehlt die Lottofee Globuli, bei einer verschnupften Nase ein Erkältungsbad. Schreibt das Kind schiefe Buchstaben in der Schule, braucht's einen neuen Füller.

    Die meisten, die hereinschneien, sind aus der Nachbarschaft. Alles ganz normale Leute, versichert sie. Menschen, die beim Lotto keine Unsummen einsetzen. Keine Profi- oder System-Spieler, die hohe Einsätze wagen. "Die, die richtig viel Geld ins Lotto spielen stecken, kommen nicht zu mir", sagt sie. Die gehen in die Städte, wo keiner den anderen kennt oder gar mit Du anspricht. Was aber nicht heißt, dass auf dem Land nur kleine Beträge gewonnen werden. Hoher Einsatz ist nicht gleich hoher Gewinn. Im Gegenteil.

    "Die leidenschaftlich spielen, verlieren auch leidenschaftlich"

    Vera Heinz, Lotto-Annahme Sendelbach

    Die Chancen, Millionär zu werden, sind minimal. Dennoch machen die Leute - trotz Wirtschaftsflaute - fast gleichbleibend häufig ihre Kreuze auf den Tippschein. Allerdings mit immer niedrigeren Einsätzen. "Auch beim Lotto spielen wird gespart", sagt Astrid Kramny, Bezirksstellenleiterin der staatlichen Lotterieverwaltung. Das Zahlenlotto "Sechs aus 49" feierte im vergangenen Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Das Glücksspiel in Bayern ging mit drei anderen Bundesländern am 9.    Oktober 1955 an den Start. Seitdem wurden insgesamt 64 Milliarden Euro von der Lotterie ausbezahlt. 4400 Menschen wurden dabei zu DM- beziehungsweise Euro-Millionären. Wie eifrig das Geld bei Lotto, Toto, Spiel 77, Super 6.  .  . in unterfränkischen Gefilden umgesetzt wird? Im Bereich der Bezirksstelle Würzburg, die sich vom Kitzinger Raum über den Würzburger bis in die Kreise Main-Spessart und Miltenberg erstreckt und für die Kramny zuständig ist, leben an die 500 000 Menschen. Rund 60 000 Lottoscheine gehen wöchentlich über den Ladentisch, berichtet sie.

    In Unterfranken gibt es insgesamt 153 Lotto-Annahmestellen, alleine 25 davon im Spessart. "Der Pro-Kopf Umsatz in der Woche liegt hier bei 1,47 Euro", sagt Kramny. Er ist etwas niedriger als der Durchschnittswert in Bayern, der rund 40 Cent höher liegt. Die Stammkundschaft kommt aus allen Altersschichten. 80 Prozent der Spieler geben ihren Schein in Sendelbach jede Woche ab. Die restlichen spielen nur ab und an. "Freitag und Samstag sind für die Lotto-Spieler heilig", sagt Vera Heinz. Da werden die Lottozahlen gezogen. Das sind immer Tage, an denen sich die Kunden die Klinke in die Hand geben.

    "Bevor ich nicht bei der Vera war, geh' ich net heim", erzählt ein älterer Mann. Und jetzt, wo der Jackpot so hoch liegt, erst recht nicht. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit besucht der Bauarbeiter immer noch schnell den Laden an der Hauptstraße. Und das seit 25 Jahren. Zack, zack muss das dann gehen. Alten Schein abgeben, neuen einpacken, Lose aussuchen. "Heute geht's hier zu wie im Hühnerstall", sagt Vera Heinz.

    "Bei dem kleinen Jackpot lohnt es sich ja fast nicht zu spielen", witzelt ein Mann im Motorradanzug und legt seinen Lotto-Schein auf den Tresen, wo ein Neon-Schild verkündet, dass Bayern im Glück ist. "Pffff, nur läppische 24 Millionen", schäkert er. Vera Heinz nimmt das Los und steckt es neben sich in eine schwarze Maschine. Es rattert und knattert kurz und binnen Sekunden spuckt das Terminal einen Beleg aus. Gleich kann sie sagen, ob die getippten Zahlen den Traum von den Millionen wahr machen. Manchmal muss sie auch gar nichts sagen, dann legt sie nur kopfschüttelnd den Beleg auf den Ladentisch. So wie heute. "Wieder nix", seufzt der Mann im Motorradanzug, knüllt das ausgespuckte Papier wie trockenes Laub zusammen und spickt es in den Mülleimer vor der Türe. "Die leidenschaftlich spielen, verlieren auch leidenschaftlich", sagt Vera Heinz mit einem Augenzwinkern. Früher hat sie nie gespielt. Nicht mal dran gedacht, sagt sie. Obwohl sie das Glücksfieber praktisch mit der Muttermilch aufgesogen hat. Ihr Vater, ein ehemaliger Schuster, war 1965 einer der ersten, der eine Lotto-Toto-Annahmestelle aufmachte. "Lotto war Arbeit, kein Spiel."

    "Ich glaub', mich tritt ein Elch"

    Vera Heinz, nachdem ein Kunde von seinem Gewinn partout nichts wissen wollte

    Seit zehn Jahren führt Vera Heinz den Laden. Wie lange sie das Geschäft noch halten kann, weiß sie - wegen der wirtschaftlichen Flaute - nicht. Um nicht nur von der Spielleidenschaft der Leute abzuhängen, verkauft Vera Heinz in ihrem Laden neben Lotto-Scheinen und Losen auch Schreibwaren und Schulsachen. Die sind minimal teurer als bei einer Riesenkette, sagt sie, weil sie ja nicht in so großen Mengen einkaufen kann. "Jeder Stift, der woanders gekauft wird, tut mir weh."

    An die Schusterei von damals erinnert heute noch ein Regal, das am Eingang steht. Dort liegen ein Paar Lederstiefel, zwei Halbschuhe und ein Wanderschuh. "Ich bin auch die Annahmestelle für kaputte Schuhe", sagt sie lächelnd. Die holt später ein junger Mann ab und bringt sie nach Lohr.

    Die Herren in ihrem Laden greifen gerne zur Glückspirale oder tippen - quasi nebenbei - mögliche Ergebnisse bei den Fußballwetten. Tierisch schnell muss Vera Heinz da sein und flugs rechnen. Die Kunden wollen ja nicht ewig an der Kasse warten. "Da muss man höllisch aufpassen."

    Quer durch den Laden kleben Postkarten und Luftballons, die für die Keno-Million werben. Was wie eine japanische Schuhmarke klingt, entpuppt sich als neue Lotto-Variante. Und verspricht noch mehr Gewinnchancen. "Da kann man viel strategischer spielen", erklärt Vera Heinz und zahlt einem Mann in blauer Arbeitskleidung seinen Gewinn von 17,60  Euro aus. "Man sieht sich", sagt der so routiniert, als würde er jeden Tag körbeweise Geld rausschleppen. Die Kasse rattert und röhrt gemütlich im Hintergrund. "Lotto spielen ist wie Hasch rauchen", sagt ein Kunde und grinst. "Es macht süchtig." Bei Vera gibt es viele Arten, reich zu werden. So viel ist sicher. An Kinder verkauft sie prinzipiell keine Glücksscheine. "Die meinen immer, dass man nur gewinnt und knabbern lange, wenn die Eltern verlieren." Aus der Ruhe bringen lässt sich die Lottofrau nur ungern. Klar, motzt da mal einer, erzählt sie. Oder scheppert mit den Münzen. Oder scharrt wie ein Pferd mit seinen Hufen auf den roten Teppichen herum, wenn zu viele Spieler im Geschäft stehen. Aber die meisten zeigen erstaunlich viel Geduld.

    Gefühlsausbrüche im Laden erlebt Vera Heinz selten. Einmal rubbelte ein Kunde vor ihr das Feld in einem Los frei. Als dann darunter stand, er habe einen funkelnagelneuen Audi gewonnen, konnte der Mann sein Glück kaum fassen. Und bekam wässrige Augen. Solche Momente liebt jeder. "Ich habe mich gefreut wie eine Schneekönigin", sagt Vera Heinz. Und gleich mitgeweint. Dieses Nicht-fassen-Können, dass man tatsächlich gewonnen hat, gehört praktisch zur Standard-Reaktion vieler Menschen. Da sind die Sendelbacher nicht anders als irgendwer sonst auf der Welt. Einen besonders hartnäckigen Fall dieser Art erlebte Vera Heinz mit einem Kunden, der partout seinen Gewinn anzweifelte. Wochenlang blieb der Mann verschwunden, obwohl er die richtigen Zahlen beim Lotto getippt hatte. Und sich auch darüber im Klaren war. Er dachte aber, dass sein Schein längst abgelaufen sei.

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    Als er endlich in ihrem Laden stand, fiel er aus allen Wolken. Schüttelte ungläubig den Kopf. Das nennt Vera Heinz den "freudigen Schock". "Ach Mädle, lass' stecken", sagte er zu ihr. Vera Heinz dachte, sie tritt ein Elch. "Den musste ich zu seinem Glück tragen." Dass er 100 000 Euro gewonnen hatte, erfuhr sie später, weil Kunden, die über 2500 Euro gewinnen, ihren Gewinn erst bei der Zentrale anfordern müssen und dann die Summe mitgeteilt bekommen. Besagter Glückspilz schaute eine Woche später bei ihr im Laden vorbei. Mit einem Blumenstrauß und einem breiten Lächeln im Gesicht. Geredet haben sie dann nichts mehr. Nur gelacht und sich umarmt.

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