Es waren nur gut zwei Monate im Jahr 1990, die Uwe Holmer weltweit bekannt machten. Der Pastor und damalige Leiter der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal in Brandenburg bot Erich Honecker und seiner Frau Margot in seinem Pfarrhaus Asyl.
Am Sonntagnachmittag war Holmer zu Gast bei der evangelischen Kirchengemeinde in Marktheidenfeld und er präsentierte sich, den „Mann, bei dem Honecker wohnte“, als das, was er wirklich ist: ein veritabler, missionarischer Prediger. Pfarrer Bernd Toepfer freute sich, dass zur ersten größeren Veranstaltung im neuen evangelischen Gemeindezentrum an der Marktheidenfelder Friedenskirche so viele Gäste gekommen waren.
Der 1929 geborene Pfarrer Holmer begann seine Lesung und Erzählung bei der christlichen Prägung, die er durch seine Mutter erfuhr, seine anfängliche Hingezogenheit zur Hitlerjugend, seine Zweifel, seine Weigerung, sich freiwillig als Soldat zu melden. Holmer entschloss sich, evangelische Theologie zu studieren, als dies in der frühen DDR nicht gefragt war. Als junger Landpfarrer im mecklenburgischen Leussow erlebte er die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Es sei ihm darum gegangen, einfach nicht mitzumachen und der kommunistischen Diktatur etwas positiv Christliches entgegenzusetzen.
1967 wurde Holmer Direktor der Bibelschule Falkenberg in Brandenburg und ab 1983 kümmerte er sich als Leiter und Bürgermeister der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal vor allem um die Patienten eines psychiatrischen Fachkrankenhauses.
Tränen der Freude bei der Wende
Die Wende habe er, Vater von zehn Kindern, mit Tränen der Freude und des Danks erlebt. Schließlich kam jener Januar 1990, als die Kirchenleitung bei ihm anfragte, ob er bereit sei, Erich und Margot Honecker bei sich aufzunehmen. Der einst mächtigste Mann der DDR war mit der Aufgabe der Waldsiedlung von Wandlitz heimatlos geworden. Niemand wollte ihn bei sich wohnen lassen aus Angst, eventuellen Attacken ausgesetzt zu sein.
Holmer bekannte sich zur christlichen Pflicht, Schuld zu vergeben und wollte eine neue Gesellschaft nicht auf dem Hass aus der vormaligen begründen. Friedrich von Bodelschwingh hatte einst die Arbeiterkolonie Hoffnungstal für Obdachlose aus Berlin gegründet. War Honecker auf seine Weise nun nicht auch zu einem solchen geworden?
Am 30. Januar 1990 zogen Erich und Margot Honecker ins Pfarrhaus ein. Holmer beschreibt die Dinge sachlich und belässt dem schwer kranken Politiker dessen Würde. Er belächelt die Sensationspresse, die damals titelte: „Honni lernt beten!“ Der frühere Staatsratsvorsitzende hatte sich drei Wochen zuvor einer schweren Nierenoperation unterziehen müssen. Täglich machte der Pfarrer die vom Arzt angeratenen Erholungsspaziergänge mit dem einstigen „Christenverfolger“.
Holmer erntete auch schlimme Reaktionen für sein Werk christlicher Barmherzigkeit. Er wurde beschimpft und geschmäht. Etwa 3000 Briefe habe seine Sekretärin gelesen; am Anfang überwog der Hass, aber am Ende machte sich doch mehr Zustimmung Platz.
Genesungsspaziergänge
Auf den Spaziergängen erzählte Honecker zum Beispiel von seiner langjährigen Zuchthaushaft in Brandenburg während der NS-Zeit oder von dem schwer zu ertragenden Tod seines Enkels. Die christlichen Überzeugungen, die Holmer ihm vortrug, ließ der Atheist unbeantwortet.
Schließlich verließen die Honeckers am 3. April 1990 die Pfarrersfamilie wieder. Der weitere Weg führte Honecker über Stationen wie Moskau und das Gefängnis in Berlin am Ende ins ferne Santiago de Chile, wo er am 23. Mai 1994 starb. Im Gefängnis hat Holmer Honecker nochmals besucht, zu Margot Honecker pflegt er noch heute höflichen Briefkontakt zu besonderen Anlässen.
Im Ruhestand ist Uwe Holmer nach Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt. Er lebt in Serrahn am Krakover See und arbeitet dort an einer Suchtklinik. Der Pastor hatte sein Marktheidenfelder Publikum im Blick. Hauptsächlich ältere Menschen waren gekommen. Als Großvater von 49 Enkeln zu denen nochmals zehn Enkelkinder von den fünf Kindern seiner zweiten Frau hinzugekommen sind, will Holmer seine christlichen Werte fröhlich weitervermitteln. Jedes Jahr veranstaltet er deshalb mit möglichst vielen aus seiner Enkelschar ein Zeltlager.
Buchtipp: Holmer, Uwe; Der Mann, bei dem Honecker wohnte, Hänssler Verlag Holzgerlingen 2009; ISBN 978-3-7751-4582-4.