Markus Söder hat Neuigkeiten mitgebracht. Nicht aus das Münchner Staatskanzlei, nicht von der Zugspitze, nicht aus dem Marktheidenfelder Kino. Eine Nachricht aus Lohr ist es, mit der er die Lohrer im Festzelt überrascht. Er gratuliert zu dem „außerordentlich produktiven Bürgermeister“ der Stadt: „Er ist gestern erst wieder Vater geworden“, gratuliert er auch Mario Paul und nickt anerkennend zum Applaus der Besucher, die gut zwei Drittel des Festzeltes füllen.
Paul und Söder kindermäßig gleichauf
Mit jetzt vier Kindern hat der promovierte Soziologe (Thema: „Räume der Angst und Gewalt in der modernen Gesellschaft“) aus Lohr nunmehr gleichgezogen mit dem promovierten Juristen (Thema: Von altdeutschen Rechtstraditionen zu einem modernen Gemeindeedikt.Die Entwicklung der Kommunalgesetzgebung im rechtsrheinischen Bayern zwischen 1802 und 1818) aus Nürnberg.
Diana Paul hat Edith, ihr viertes Kind nach Max (11), Luise (8) und Frieda (5), tags zuvor um 8.51 Uhr in der Würzburger Uniklinik geboren. 50 Zentimeter groß brachte das erste Festwochenbaby des Bürgermeisters 3290 Gramm auf die Waage. Doch das erzählt Paul erst später, nachdem Söder längst weg ist, beim Austrinken seiner Maß alkoholfreies Mönchshof-Bieres.
Lokale Schmeicheleien
10 bis 20 Minuten waren für die Rede Söders eingeplant. Doch der bayerische Landesvater hat Erbarmen, legt nur einen kleinen Zettel vor sich aufs Rednerpult, nachdem er zum Bayerischen Defiliermarsch der Lohrer Stadtkapelle einmarschiert ist und jeden der Musiker von Manyana auf der Bühne mit Handschlag begrüßt hat. Um die Temperaturen im Zelt zu beschreiben, genügt ein Vergleich: Sauna. Dennoch behält Söder seinen dezenten Trachtenjanker, den er zu schwarzer Hose und weißem Hemd trägt, an.
Erbarmen zeigt er, weil seine Rede kürzer ausfällt. München ist schön, Franken noch schöner, frotzelt der Mittelfranke, um damit natürlich auch den potenziellen Wählern aus Unterfranken den Bauch zu pinseln. Das funktioniert einigermaßen. Das funktioniert eigentlich immer. Dann die großzügige Gabe von 100 Millionen Euro für das Lohrer Klinikum. Extra dafür war Klinikreferent Gregor Bett zuvor zur Stadthalle gekommen, um diese gewaltige Summe mit einem Banner vor der Schneewittchenskulptur ins rechte Bild zu setzen. Ein Dutzend Fotografen und Handyfummler, vielleicht sogar derer zwei, drängen sich um die beste Perspektive.
100 Millionen Euro fürs Klinikum
„Wir haben uns wahnsinnig gefreut als wir aus dem Bayerischen Ministerrat erfahren haben, dass unser Projekt, das Klinikum Main-Spessart in Lohr neu zu bauen, mit knapp 100 Millionen Euro in das Krankenhausbauprogramm 2020 aufgenommen wurde“, verkündet Bett tags darauf in einer Pressemitteilung. Das medienwirksame Banner war quasi das Dankeschön an Söder und auch für den „unermüdlichen Einsatz“ von Thorsten Schwab, der sich ebenso freut: „Die zahlreichen Gespräche in München und auch mit den Vertretern des Klinikums Main-Spessart haben Früchte getragen. Das Projekt hat damit eine entscheidende Hürde genommen“, wird der Landtagsabgeordnete aus Hafenlohr in der Pressemitteilung zitiert.
Das heiße Bad in der Menge
Im Festzelt ist das Gedränge noch größer. Vor allem ist es dort ungleich heißer, stickiger. Doch eine erkleckliche Schar Neugieriger ist zu den sonstigen Festgästen hinzugekommen, sind sich Beobachter einig. Söder erzählt noch, wie wichtig ihm die Stärkung des ländlichen Raums ist, dann wagt er sich in die Höhle des Löwen, in Box 6. Der Weg dorthin ist – wie vorher schon beim Einmarsch und nachher beim Geschiebe durch den Biergarten (von ganz hinten bis nach vorne) – am ehesten vergleichbar mit einem Spießrutenlauf: Selfie hier, Händeschütteln da, Schulterklopfen dort. Bad in der Menge nennen das viele. Wenn schon, dann ist es kein angenehmes. Für die Personenschützer sind das die Momente höchster Aufmerksamkeit.
In Box 6 ist es nicht viel anders. Mittlerweile hemdsärmelig, eingeklemmt zwischen Schwab und Dirk Rieb, dem Vorsitzenden des CSU-Ortsverbands Lohr, sitzt er vor einem langen, schmalen Brett mit Wurst und Käse. Dazu gibt's Brezn. Nichts davon rührt Söder an. Er kommt gar nicht dazu: Bierdeckel-Autogramme schreiben, Hände schütteln über die Köpfe anderer hinweg, freundlich lächeln, nicken, winken – stets beobachtet von einer Meute bildgieriger Gäste. Deretwegen nimmt der Sitzenkandidat der CSU das wohl auch in Kauf: Die Verbreitung auf sozialen Netzwerken ist wichtig im Wahlkampf.
B 26n und Windkraft in die Hand gedrückt
Mit Eselsgeduld hört sich Söder das ein oder andere an, lächelt, nickt, nippt Radler aus seinem Maßkrug (auf der Bühne hat er schon mit Paul angestoßen und seinen Durst mit ein paar kräftigen Schlucken Festbier gelöscht), plaudert kurz mit Paul ihm gegenüber, während die Band Manyana schon auf den Partymodus umgeschaltet hat. Viel kann man da nicht reden, noch viel weniger verstehen. Drum hat ihm Paul sein dringlichstes Anliegen in einem Umschlag gesteckt: Söder möge sich unbedingt für die Verbindung von Lohr zur B 26 neu einsetzen, hat ihm der parteilose Bürgermeister ans Herz gelegt, wie Paul später auf Anfrage der Redaktion erklärt.
Schon in Marktheidenfeld bekam der Ministerpräsident vor dem Kino etwas in die Hand gedrückt, nämlich die Bitten etlicher Bürgerinitiativen aus Unter- und Oberfranken, die sich für eine Beibehaltung der sogenannte 10H-Regelung bei Windkrafträdern einsetzen. Nach der muss der Mindestabstand eines Windrads zur nächsten Wohnsiedlung mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen. Und diese Regelung könnte nach Aussagen potenzieller Koalitionspartner der CSU nach der Landtagswahl kippen, fürchten die Bürgerinitiativen. Dann gäbe es mehr Windräder und die näher an den Gemeinde. Söder nahm die Unterlagen entgegen und sagte ruhig:„Die Regelung bleibt, das verspreche ich ihnen.“ Auch in Lohr bekam er dazu von einer Spessarter Abordnung Unterlagen in die Hand gedrückt.
Söder und Schneewittchen
Zurück im Festzelt: Von dem gebratenen Hähnchen vor sich nimmt Söder nur ein paar Bissen zu sich. Bundestagsabgeordneter Alexander Hoffmann am Nebentisch und seine schwarzgelockte Gattin, die mit einem strahlend weißen Hosenanzug (modern ausgedrückt: Jumpsuit) besticht, lassen es sich in Ruhe schmecken.
Begonnen hat Söders Gastspiel mit zehnminütiger Verspätung gegen 19.10 Uhr in der Stadthalle, wo ihn die Stadtkapelle mit dem Frankenlied begrüßte. Dann setzte er seine Unterschrift ins Goldene Buch der Stadt – eine Seite hinter seinem Vorgänger Horst Seehofer, der sich anlässlich des Bezirksparteitages vor einem Jahr eingetragen hatte. „Viel Glück und Gottes Segen“, hatte er der Stadt gewünscht. Söder hingegen setzte ein P. S. unter seine Signatur: „Es ist mir eine Ehre, bei Schneewittchen zu sein.“
Um 20.22 Uhr ist sein Gastspiel in Lohr beendet. Die Söder-Gucker haben das Festzelt nach und nach verlassen. Die Bühne gehört jetzt Manyana allein, die Bänke den feiernden Gästen.