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MAINBERG/HAUSEN: Mastgeheimnis und fliegende Fische

MAINBERG/HAUSEN

Mastgeheimnis und fliegende Fische

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    Unter Vollzeug: Die „Thor Heyerdahl“, gebaut 1930 in Holland, heute Schulschiff für das Projekt „Klassenzimmer unter Segeln“.
    Unter Vollzeug: Die „Thor Heyerdahl“, gebaut 1930 in Holland, heute Schulschiff für das Projekt „Klassenzimmer unter Segeln“. Foto: Foto: Thor Heyerdahl e.V.

    170 Jugendliche haben sich beworben, 52 wurden zum Probetörn eingeladen, 32 dürfen nun mit. Und zwei dieser 32 sind Johanna Freunek aus Hausen und Eva-Lina Langhammer aus Mainberg: Sie werden ab Oktober für gut sechs Monate Crewmitglieder auf der „Thor Heyerdahl“, einem knapp 50 Meter langen traditionellen Dreimaster – genauer: Dreimast-Toppsegelschoner. Und zwar im Rahmen von „KUS – Klassenzimmer unter Segeln“, einem Projekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Institut für Sportwissenschaft und Sport und dem Institut für Lern-Innovation. Dass zwei aus der gleichen Gemeinde es geschafft haben, sei purer Zufall, sagen sie. Eva-Lina geht in Gaibach aufs Gymnasium, Johanna aufs Celtis. Beworben haben sie sich völlig unabhängig voneinander.

    Die Reise beginnt am 20. Oktober in Kiel und folgt den Routen der großen Entdecker wie Alexander von Humboldt oder Christoph Columbus. Sie führt zu den Kanarischen Inseln und weiter über den Atlantik nach Mittelamerika. Neben dem Besuch einiger Inselstaaten in der Karibik sind mehrwöchige Landaufenthalte in Panama und Kuba geplant. Wobei die Jugendlichen nicht etwa in Hotels untergebracht werden, sondern in Gastfamilien oder – in Kuba – in einer Militärakademie mit deutlich weniger Komfort als in der Heimat und sogar auf dem Schiff. Sie sollen ausdrücklich Erfahrungen mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Gastländer machen. Die Rückreise führt über die Bahamas, Bermudas und Azoren – die Ankunft in Kiel ist für den 27. April 2013 geplant. Weihnachten werden die Jugendlichen zum Teil in Grenada verbringen (am 25. laufen sie in St. George's aus), Silvester auf Hoher See (erst am 2. Januar laufen sie in San Blas, Panama, ein).

    Ein Großteil des zehnten Schuljahrs von Johanna (16) und Eva-Lina (15) wird also auf See und in fernen Ländern stattfinden, das Kultusministerium erkennt das KUS-Projekt als Auslandsjahr an. Sie werden Segeln und Navigieren lernen, Dienst in der Kombüse schieben und an Deck. Neben einer Fülle seemännischer Arbeiten werden sie putzen, kochen, Wäsche waschen. „Wir sind da immer eingespannt“, sagt Eva-Lina. Handys, Spielkonsolen und dergleichen werden weggesperrt, viel Zeit bliebe ohnehin nicht für deren Benutzung. Immerhin: Einmal die Woche gibt es einen gemeinsamen Fernsehabend, das Programm wird demokratisch festgelegt.

    Unter der 15 Erwachsenen an Bord sind fünf Lehrer, sie werden Unterricht in den gymnasialen Kernfächern halten, wobei natürlich maritime Umgebung und Landaufenthalte auf vielfache Weise genutzt werden. Johanna nennt ein anschauliches Beispiel: „Wenn ein fliegender Fisch an Deck landet, können wir uns gleich in Biologie mit ihm beschäftigen.“ Johanna und Eva-Lina sind offensichtlich gute Schülerinnen, sie mögen Naturwissenschaften, Mathe und Physik schrecken sie nicht. Aber die Aussicht auf richtig anschaulichen Unterricht, auf eine echte Integration von Leben und Lerninhalten ist für sie eine faszinierend Alternative zum nicht immer sonderlich praxisorientierten Schulalltag an Land.

    Der einwöchige Probetörn in den Pfingstferien, begleitet von Lehrern und Psychologen, sollte zeigen, welche Jugendlichen das Zeug für die lange gemeinsame Zeit auf engstem Raum haben. Wer fähig ist, sich in die Gemeinschaft einzufügen, wer in der Lage ist, mit sehr wenig Komfort und Freizeit, dafür aber mit viel Arbeit, körperlicher Anstrengung und komplexen Aufgaben zurechtzukommen. Die Kammern an Bord teilen sich vier bis sechs Jugendliche. „Die Sechserkammer ist vielleicht halb so groß wie mein Zimmer daheim“, sagt Johanna fröhlich.

    Eva-Lina und Johanna trauen die KUS-Leute offenkundig zu, all diese Belastungen zu meistern. Das ist nicht schwer nachzuvollziehen, wenn man sich mit den Mädchen unterhält. Beide wissen offensichtlich genau, was sie wollen. „Ich muss hier weg“, sagt Johanna. Eva-Lina nickt heftig und ergänzt: „Ich wollte schon immer weg.“ Nicht weil sie hier besonders unzufrieden wären. Aber sie wollen raus aus dem Alltag und fremde Kulturen kennenlernen. Sie wollen sich an neuen Aufgaben messen und ihre Grenzen erfahren. „Ich weiß, ich werde mich verändern. Ich weiß noch nicht, wie, aber es wird gut sein“, sagt Eva-Lina bestimmt.

    KUS ist Johannas Traum, seit vor zwei Jahren eine Reihe von Berichten über eine Euerbacherin in der Zeitung stand, die mitmachte. Sie hat in der 8. Klasse schon bei „Summerschool unter Segeln“ mitgemacht, einem dreiwöchigen Ferienprogramm auf der „Thor Heyerdahl“. Dort hat sie auch das Segeln lieben gelernt. Eva-Lina hat sich spontan beworben, als ihr ein Flyer des Projekts in die Hände fiel. „Meine Eltern haben sofort gesagt, mach das“, erzählt sie. Claudia Langhammer, Eva-Linas Mutter, bestätigt das von ganzem Herzen. Ihr ist auch nicht mulmig, ihre 15-jährige Tochter für ein halbes Jahr in die weite Welt zu schicken: „Weil ich es ihr zutraue, und weil ich ihr vertraue. Sie soll sich ausprobieren und Erfahrungen machen, zu dieser Art Offenheit haben wir sie erzogen. Leben ist mehr als Schule und Noten.“

    Richtig teure Kinder

    Johanna und Eva-Lina sind fest entschlossen, die einmalige Chance KUS optimal für sich zu nutzen. Schließlich bringen ihre Eltern für das Projekt fast 20 000 Euro auf. „Wir sind richtig teure Kinder“, sagt Johanna. Vor den Unwägbarkeiten einer Weltreise unter Segeln hat sie keinerlei Angst. Eher schon vor der Rückkehr in den trockenen Alltag der Landratten. Aber die ist noch weit weg.

    Vorerst beschäftigt die beiden Mädchen ein anderes Problem: Ob es ihnen an Bord wohl gelingen wird, das Mastgeheimnis zu lüften. Was das ist, wissen sie nicht. Aber es gibt es. „Die, die es gelüftet haben, wissen es natürlich, aber die sagen nichts“, sagt Johanna.

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