Das Braun-Werk Marktheidenfeld hat in seiner 47-jährigen Geschichte schon gravierende Wechsel erlebt – sowohl bei der Produktpalette als auch bei den Besitzern. 1967 aufgegangen im US-Konzern Gillette, gehört Braun seit 2005 zum US-Unternehmen Procter & Gamble (P & G). Zum Juli bestimmte der Mutterkonzern einen neuen Werksleiter. Arndt Miersch kam aus der Konzernzentrale Cincinnati nach Marktheidenfeld und stellt sich erstmals einem Interview.
Frage: Herr Miersch, Gillette hat die drei Braun-Produktionsstandorte zu einem Campus zusammengefasst, weil man sich davon Synergien versprach. P & G macht die Werke wieder selbstständig. Warum?
Arndt Miersch: Bei Gillette war Braun ein Geschäftsfeld, bei P & G haben wir globale Geschäftseinheiten. Dabei gehört das Werk Marktheidenfeld zur Einheit Oral Care (Mundpflege). Deshalb war es notwendig, die Werke organisatorisch wieder zu trennen. Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass wir nicht weiterhin zusammenarbeiten.
Die Führungsebene in Marktheidenfeld war unter Ihrem Vorgänger und jetzigem Chef, Herrn Debus, gewohnt, viel Verantwortung selbst zu übernehmen. Halten Sie die Fäden allein in der Hand?
Miersch: Nein. Ich bin kein Führungstyp, der alles allein machen will und kann. Ich lege Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit meinem Führungsteam. Jeder Einzelne im Team wird auch in Zukunft viel Verantwortung haben.
„Das Werk, das ich übernehme, steht auf einem sehr guten Fundament“
Arndt Miersch Werksleiter Braun Marktheidenfeld
Sie kommen von P & G: Welchen Eindruck haben Sie vom Werk Marktheidenfeld?
Miersch: Einen sehr guten Eindruck. Das Werk, das ich übernehme, steht auf einem sehr guten Fundament. Wir mussten uns schon in der Vergangenheit globalen Herausforderungen stellen, und das ist eine gute Ausgangsposition, um uns noch weiter zu verbessern. Teil des P & G-Konzerns zu sein, heißt auch, in einer anderen Liga zu spielen: Jetzt sind wir Teil einer globalen Geschäftseinheit.
Welche Veränderungen kommen auf das Werk und die Mitarbeiter zu?
Miersch: Da wir einerseits zu einer globalen Geschäftseinheit gehören und andererseits Teil von Deutschland sind, müssen wir uns ganz anderen Herausforderungen stellen, um weiterhin in Deutschland produzieren zu können. Das bedeutet: Wie können wir unsere Kosten weiter reduzieren, unsere Lieferfähigkeit verbessern, flexibler werden, mit niedrigeren Beständen operieren?
Wird es Veränderungen in der Arbeitszeit oder beim Lohn geben?
Miersch: Wir sind gebunden an den Tarifvertrag und wollen auch nicht unter den Tarifvertrag gehen. Aber wir müssen uns immer fragen: Was kriegen wir für das Geld zurück, das wir bezahlen? Was sind also die Anforderungen der Zukunft für alle Mitarbeiter? Wir müssen mehr als in der Vergangenheit über den bisherigen Tellerrand schauen und uns auch mehr mit der englischen Sprache beschäftigen, damit nicht nur einige wenige im internationalen Umfeld agieren können.
Wird sich an der Anzahl der Mitarbeiter etwas ändern?
Miersch: Aus heutiger Sicht sind keine gravierenden Änderungen geplant – weder in die eine noch in die andere Richtung. Standortsicherung heißt aber auch, produktiver zu werden, flexibler zu produzieren – den Verbraucherwünschen entsprechend – bis hin zur Sieben-Tage-Woche.
Könnte die Sieben-Tage-Woche der Regelbetrieb werden?
Miersch: Zum einen hilft uns die Sieben-Tage-Woche derzeit, um auf Schwankungen im Markt reagieren zu können. Zum anderen binden Produktionsanlagen viel Kapital, welches bestmöglich genutzt werden muss.
Welche Aufgaben haben Sie sich persönlich vorgenommen?
Miersch: Als erstes die Integration in den P & G-Konzern möglichst bald abzuschließen, ohne die Vergangenheit zu verlieren. Äußerlich sichtbar ist das schon am Werkseingang: Oben ist das P & G-Logo und darunter steht der Braun-Oral B-Schriftzug. Für mich geht es darum, beides zu verbinden. Wie kann man das produktspezifische Fachwissen von Braun auf andere Bereiche übertragen? Und umgekehrt: Wie kann der Standort Marktheidenfeld am besten vom P & G-Wissen profitieren? Um als Werk noch effizienter zu werden, übernehmen wir das weltweit angewandte Standard-P & G-Produktionssystem. Das bedeutet unter anderem – stärker als in der Vergangenheit –, alle Mitarbeiter aktiv einzubinden. Jeder soll Notwendigkeiten verstehen und Initiative entwickeln. Das ist wie im Ruder-Achter. Da rudern auch nicht nur vier, sondern alle acht. Wenn wir das ausschöpfen, haben wir Erfolg.
Das habe ich bei Braun und Gillette auch schon gehört. Ist das so neu?
Miersch: Was wir machen, ist sicherlich kein Hexenwerk. Das könnte jeder. Wobei wir bei P & G unser Produktionssystem integrativ anwenden, nicht nur einzelne Teile betrachten, sondern das Gesamtbild – einschließlich der Organisation – wie bei einem Puzzle. Jede Maschine kann noch so perfekt sein – sie richtig zu bedienen, mit Material zu versorgen und zu warten, das können nur gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter.
Bei Gillette war Marktheidenfeld immer das Vorzeigewerk. Welche Rolle spielt der Standort bei P & G?
Miersch: Wir sind heute das Schlüsselwerk im Bereich elektrische Zahnbürsten. Das wollen wir bleiben und darüber hinaus in der globalen Geschäftseinheit Mundpflege der beste Produktionsstandort werden. Mein Ziel ist: Jeder im weltweiten Konzern kennt das Werk Marktheidenfeld, weiß, wo es ist und wie man es ausspricht. Wenn das jeder kann, dann haben wir gewonnen.
„Mein Bestreben ist es, die Produktion hier zu halten“
Arndt Miersch
Wie sehen Sie den Vergleich mit P & G-Werken in anderen Staaten und wird es mittelfristig Produktionsverlagerungen geben?
Miersch: Mein Bestreben ist es, die Produktion hier zu halten. Deutschland ist ein Hochlohnland. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Aber wir können dagegen halten: erstens ohne Verluste produzieren, zweitens liefern, wenn der Handelspartner das Produkt abruft, drittens neue Produkte schneller entwickeln, viertens Arbeitsprozesse verbessern. Das ist unser Trumpf im internen Wettbewerb mit Schwesterwerken in China und Mexiko, die elektrische Zahnbürsten für die dortigen Märkte fertigen. So können Transportkosten und Lieferzeiten reduziert werden.
In Marktheidenfeld sind Sie weitgehend unbekannt: Welchen Führungsstil pflegen Sie? Welcher Typ sind Sie?
Miersch: Mein Stil ist kooperativ. Aber das heißt nicht, dass ich alles laufen lasse und alles erlaube. Die Entwicklung der Mitarbeiter steht für mich an vorderster Stelle. Ich begrüße es, wenn Fragen gestellt werden und Mitarbeiter Verantwortung übernehmen. Dabei können auch Fehler passieren, denn man kann nur dazulernen, indem man etwas ausprobiert. Ich persönlich bin jemand, der sehr offen ist und auf Leute zugeht. Der eine oder andere Leser der MAIN-POST hat mich vielleicht auf der Laurenzi-Messe gesehen.
Sind Sie im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger täglich im Werk präsent?
Miersch: Normalerweise ja. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit der Braun-Zentrale in Kronberg.
Wollen Sie in der Region wohnen?
Miersch: Wir wohnen in Liederbach am Taunus, dort, wo meine Familie vor meinem USA-Aufenthalt schon gelebt hat. So war es für unsere Kinder leichter, an alte Freundschaften anzuknüpfen und in das deutsche Schulsystem zurückzufinden. Dafür nehme ich dann jeden Tag die Fahrt hierher in Kauf.
Wie gut kennen Sie Marktheidenfeld und das Umland bereits?
Miersch: Es gefällt mir sehr gut hier. Immerhin weiß ich, dass wir hier in Franken sind. Ich kenne den Main, den Wein, die Laurenzi-Messe. Aber es ist noch nicht so, dass wir schon Ausflüge gemacht haben. Das haben wir uns als Familie für das nächste Jahr vorgenommen.
Zur Person
Arndt Miersch Der neue Marktheidenfelder Werksleiter von Braun, Arndt Miersch, ist 1960 in Hamburg geboren und dort aufgewachsen. Miersch studierte Maschinenbau an der Universität in Hannover. Er begann seine Karriere 1988 als P&G-Prozessingenieur im Pampers-Werk Crailsheim und sammelte in den P&G-Werken Euskirchen (Pampers), Witzenhausen (Bounty) sowie in Groß-Gerau (Wick) Erfahrung. Von Oktober 2005 bis Juli 2007 war Miersch als Operations Director in Mason bei Cincinnati (USA), der P & G-Konzernzentrale, zuständig für die Vernetzung der Produktionsabläufe in zwölf Werken aus dem Bereich Gesundheitspflege. Der Maschinenbau-Ingenieur hat zum 1. Juli 2007 die Leitung des Werks Marktheidenfeld übernommen und berichtet nun an seinen Vorgänger Wolfram Debus, der in der Konzernzentrale Cincinnati weltweit die Leitung des Bereichs Zahnpflege innehat. Mit seiner Familie – Miersch ist verheiratet und hat zwei Söhne – wohnt der neue Werksleiter seit seiner Rückkehr nach Deutschland im Taunus, in der Nähe der deutschen Stammsitze von P & G und Braun. Seine Hobbys: Modelleisenbahn, Trompete spielen, mit dem Hund joggen und Formel-1-Rennen schauen. Der US-amerikanische Konsumgüter-Konzern Procter & Gamble erzielte im abgelaufenen Geschäftsjahr umgerechnet 52 Milliarden Euro Umsatz mit 135 000 Mitarbeitern in mehr als 80 Ländern.