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MARKTHEIDENFELD: Mülltaucher: Abenteuerlust, die satt macht

MARKTHEIDENFELD

Mülltaucher: Abenteuerlust, die satt macht

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    Günstiger geht es nicht: Wer in Müllbehältern nach Essbarem sucht, findet oftmals eine Fülle an Lebensmitteln. Das Foto entstand 2014 bei einer Tour in Würzburg.
    Günstiger geht es nicht: Wer in Müllbehältern nach Essbarem sucht, findet oftmals eine Fülle an Lebensmitteln. Das Foto entstand 2014 bei einer Tour in Würzburg. Foto: Archivbild: Wunderatsch

    Eine Kiste voller Äpfel, kiloweise Kartoffeln, ein paar Orangen, Salatköpfe, Champignons, Drachenfrüchte und Paprikas. Mehr konnte Julia* in dieser Nacht nicht tragen. Das war schon mehr, als in ihrem Zwei-Personen-Haushalt verschafft werden kann. „Es ist Wahnsinn, was die alles wegwerfen!“, ereifert sich die Main-Spessarterin, die zum ersten Mal containerte. Wer jetzt denkt, das sei eine neue Trendsportart, der liegt falsch. Julia war mit zwei Freundinnen im Raum Main-Spessart unterwegs, um nach weggeworfenen Lebensmitteln in den Müllcontainern der Supermärkte zu suchen. Sie will weder mit ihrem richtigen Namen genannt werden, noch soll jemand erfahren, wo sie containerte.

    Am fehlenden Geld liege es nicht, sagt sie. Sie sieht eine ethische Verpflichtung; ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung. „Ich mache das, weil ich finde, dass zu viel weggeworfen wird.“ Hat nur ein Apfel eine Delle, werde gleich die gesamte Kiste entsorgt. „Und woanders auf der Welt müssen die Menschen verhungern.“

    So ganz will Julia jedoch nicht zu ihrem Tun stehen. Sie hat Angst vor Strafen und vor der Reaktion ihrer Eltern: „Sie sind sehr konservativ und würden es nicht verstehen.“ Auch ihrem Freund, mit dem sie zusammenlebt, wollte sie erst nichts sagen. „Ich habe mich dann anders entschieden. Er hätte sich sicherlich gewundert, warum auf einmal so viele Äpfel in der Küche liegen“, lacht die 28-Jährige.

    Die Verantwortlichen der Lebensmittelläden versuchen, die Abfallmenge möglichst gering zu halten. Denn Abfall kostet Geld. Stella Kircher, Pressesprecherin bei tegut in Fulda, sagt, dass die Bestellungen immer besser an die Verkaufsmengen angepasst werden. Aufgrund frühzeitiger Preisreduzierungen und der Zusammenarbeit mit den örtlichen Tafeln bleibe kaum noch etwas übrig. Dies bestätigt auch Lina Unterbörsch von Aldi Süd.

    Das, was übrig bleibt, kann unter Umständen an Tiere verfüttert oder kompostiert werden. Bei den Kupsch- und Edeka-Märkten von Bernd Kühhirt zum Beispiel, bleibt nicht mehr viel übrig. „Alle zwei bis drei Tage wird das Mindesthaltbarkeitsdatum kontrolliert. Was in Kürze abläuft, wird reduziert“, sagt Kühhirt auf Anfrage. Zu 90 Prozent werde die Ware dann auch verkauft.

    Anders war es an einem anderen Supermarkt, an dem Julia und ihre Dumpsterer-Freundinnen (dump: engl. für Müllkippe), wie sich die „Mülltaucher“ bezeichnen, plünderten. Als die junge Frau am späten Abend auf das abgelegene Gelände des Supermarktes kam, war sie nervös. In der Nähe der Container angekommen, ging ein Licht an. „Mir ist das Herz in die Hose gerutscht“, so die Angestellte. Doch ihre Freundinnen, die beide schon öfter auf ihren nächtlichen Streifzügen bei diesem Markt waren, beruhigten sie: „Hier kommt kaum jemand vorbei.“ Drei Müllcontainer standen an der Laderampe des Gebäudes, einer für jede Mülltaucherin. Beim Öffnen der Klappen ertönte ein lautes Quietschen. Noch ein Schockmoment! „Wir haben gelauscht, ob jemand in der Nähe war“, sagt Julia. Doch nichts regte sich.

    Ob der Fülle, die sich ihr beim Anblick des halb vollen Containers bot, war sie versucht, noch viel mehr mitzunehmen, als in ihre mitgebrachte Kiste passte. Obst und Gemüse sehen zwar nicht so appetitlich aus wie im Supermarkt nebenan. Doch mit Handschuhen gehe das. Und die Ware ist kostenlos – zumindest so lange die Mülltaucher nicht erwischt werden.

    Und das wurden sie nicht. „Es kamen zwei Autos vorbei, aber was wir gemacht haben, hat niemanden interessiert“, so Julia. Wer containert, betritt Privatgelände und verschafft sich unter Umständen gewaltsamen Zugang zu Waren. Diese dürfen in der Regel nicht mehr verzehrt werden. Mülltaucher begehen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Diebstahl. Je nachdem, an welchen Supermarktbetreiber man gerät, erhält man Hausverbot oder eine Geldstrafe.

    Wolfgang Gmelch, Dienststellenleiter bei der Polizeiinspektion Marktheidenfeld, kann sich an keinen Fall aus der Region erinnern, bei dem ein Supermarkt Anzeige wegen eines solchen Falles erstattet hätte. Auch Bernd Kühhirt bestätigt, dass es an seinen Läden bisher noch keine Dumpsterer gab. „Bei unseren Märkten sind die Container verschlossen – auch zum Schutz der Menschen“, erklärt Stella Kircher von tegut. Denn in ihnen befinden sich Restmüll oder auch zurückgenommene, verdorbene Waren. Auch bei Edeka in Marktheidenfeld seien die Tonnen eingeschlossen und für fremde Personen nicht zugänglich, sagt eine Mitarbeiterin.

    So manch ein Supermarktbetreiber drückt aber auch ein Auge zu – oder kommt den Mülltauchern gar entgegen, indem er zum Beispiel abgelaufene Joghurts neben den Tonnen abstellt. Wer möchte, kann sich bedienen, weiß Julia. Sie hat sich bei Facebook umgesehen. Dort erfährt man auch, wo es die besten „Schätze“ gibt, wo Tonnen noch frei zugänglich sind oder wann eine Tour besonders ergiebig sein könnte.

    Die Szene in Main-Spessart ist anscheinend nicht besonders ausgeprägt. Während die Mädels auf der Suche nach Essbarem waren, trafen sie keinen anderen Dumpsterer. Anders sieht es dagegen offenbar in Würzburg aus. Gerade bei Studenten ist das Containern beliebt. „Ich habe gehört, dass es Supermärkte gibt, bei denen gleichzeitig bis zu zehn Leute suchen“, sagt Julia.

    Sie werde es auf jeden Fall wieder tun. Sie hoffe, beim nächsten Mal nicht nur Obst und Gemüse zu finden, sondern auch Brot ohne Schimmel und ein paar von Ostern übrig gebliebene Häschen. Denn die kauft jetzt sowieso keiner mehr.

    * Name von der Redaktion geändert

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