Am Donnerstagnachmittag hat das Landgericht Würzburg einen 92-jährigen Mann, der in Gemünden (Lkr. Main-Spessart) seine schwer kranke Frau getötet hat, zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wegen Totschlags in einem minderschweren Fall wird zur Bewährung ausgesetzt. Dem Vorsitzenden Richter Hans Brückner zufolge handelt es sich um "einen sicherlich außergewöhnlichen Fall".
Rechtlich sei das Verhalten des Angeklagten als Totschlag zu werten, gleichwohl sei dem Gericht das Urteil nicht leicht gefallen. Brückner begründete die Bewährungsstrafe unter anderem mit dem hohen Alter des Angeklagten, seinem Geständnis und dem außergewöhnlichen Motiv. Zudem ist der Mann nicht vorbestraft. Das Urteil sollte aber nicht als "Freibrief für Nachahmungstäter" verstanden werden, so der Richter.
Der 92-Jährige hatte zu Prozessbeginn gestanden, im November 2019 seine demente und körperlich kranke Frau im Bett mit einer Hasenfell-Decke erstickt zu haben. Nach eigenen Worten war er mit der nahezu alleinigen Pflege der 91-Jährigen überfordert und handelte aus Liebe. Nach der Tat versuchte der Rentner vergebens, sich umzubringen.

Pflege bedarf bis zu zehn Stunden täglich
Der Prozess in Würzburg wirft ein Schlaglicht auf die Situation pflegender Angehöriger. Rund vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland, drei Viertel werden zuhause gepflegt – meist von nahen Angehörigen, in der Mehrzahl Frauen. Laut einer Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ist ein Viertel mehr als sieben Stunden täglich mit der Pflege beschäftigt, im Falle von dementen Menschen sind es häufig sogar zehn Stunden.
Laut der Umfrage empfinden 26 Prozent der Pflegepersonen die Betreuung als "hohe Belastung", 43 Prozent sehen sich mittelschwer belastet. Jeder Vierte sagt, er könne die Pflegesituation "nur noch unter Schwierigkeiten" oder "eigentlich gar nicht mehr" bewältigen. Die Bedürfnisse sind laut der Untersuchung sehr heterogen. Nicht zuletzt dank der Pflegeversicherung mangele es nur selten an finanzieller Unterstützung, gefragt seien vor allem praktische Hilfen und emotionale Begleitung. Abhilfe will die AOK unter anderem mit dem "Familiencoach Pflege" schaffen, ein niederschwelliges Angebot im Internet, das Tipps und Übungen beinhaltet, um mit den seelischen Herausforderungen in der Pflege besser zurechtzukommen.
Pflegestützpunkte sollen helfen
Als "Weckruf", um bei der häuslichen Pflege "endlich" genauer hinzuschauen, sieht die bayerische SPD den Prozess in Würzburg. Die Politik dürfe Menschen, die sich um ihre Angehörigen kümmern, nicht im Stich lassen. Marietta Eder, die stellvertretende Landesvorsitzende aus Schweinfurt, räumt ein, dass es eine ganze Reihe von Angeboten gibt, die theoretisch helfen könnten, Pflegende zu entlasten. Allerdings wüssten die Betroffenen davon häufig nichts.
Für Abhilfe könnten Pflegestützpunkte in allen Kreisen und kreisfreien Städten Bayern sorgen. Ihnen komme eine "Lotsenfunktion" zu, um bedarfsgerechte Hilfsangebote zu finden oder die Pflegenden durch den "Formular- und Bürokratie-Dschungel" zu begleiten. Zudem fordert die SPD-Politikerin einen Ausbau von Kurzzeit- und Tagespflegeplätzen, wenn pflegende Angehörige eine Verschnaufpause benötigen.
Derweil nahm der 92-jährige Angeklagte aus Gemünden das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.
Hinweis der Redaktion: In der Regel berichten wir nicht über Selbsttötungen, außer die Umstände erlangen besondere Bedeutung in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.
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