Es sind gut zweieinhalb Monate vergangen, seit Jürgen Lang vom Bund Naturschutz Gemünden/Sinngrund die versteinerte Fährte eines Archosauriers in Gössenheim fand. Der Experte für Geologie im Spessart, Joachim Lorenz aus Karlstein, begutachtete die drei handtellergroßen Abdrücke auf einem Buntsandsteinblock. Seit damals hat die Gemeinde den zum Schutz eines Trinkwasserschachts abgelegten Steinblock in Sicherheit gebracht und ein sieben Seiten umfassendes Gutachten eingeholt.
Der emeritierte Professor für Paläontologie an der Martin-Luther Universität Halle/Saale, Hartmut Haubold, vermutet ähnlich wie Lorenz, dass die Abdrücke am Ende der Buntsandsteinzeit entstanden, also vor etwa 243 Millionen Jahren. Professor Haubold beschreibt in dem Gutachten anhand der ihm überstellten Fotos die Entstehungsbedingungen der Fährten in den Wechsellagen von Tonen und Sanden, die in der als Rötquarzit bezeichneten Gesteinsschicht erhalten sind. „Die vorliegenden Chirotherien (Spurenfossilgattung „Handtier“) sind Spuren von Archosauriern, einer im Erdzeitalter Trias weltweit verbreiteten Tiergruppe.“
„Da sind vermutlich mehrere Saurier über dieselbe Stelle gelaufen.“
Prof. Dr. Gerd Geyer Geologe am Landesamt Hof
Mit Professor Dr. Gerd Geyer vom Geologischen Dienst des Bayerischen Landesamtes für Umwelt in Hof hat Bürgermeister Theo Gärtner einen weiteren Geowissenschaftler beauftragt, eine Stellungnahme abzugeben. Geyer, der auch an der Universität in Uppsala (Schweden) tätig ist und früher an der Universität Würzburg lehrte, gilt als umfassender Kenner der Geologie von Unterfranken. Zur präzisen Bestimmung der Fährte und ihrer Fundsituation kam Geyer in der vorigen Woche nach Gössenheim und untersuchte das Material.
Der Geowissenschaftler bestätigte die Bestimmung als Art der Spurengattung Chirotherium, und zwar vermutlich Abdrücke von Vorder- und Hinterextremitäten, die unterschiedlich groß sind. Spuren werden nicht nach den erzeugenden Tierarten benannt, weil von ihnen nahezu keine Körperversteinerungen existieren, sondern erhalten eigene Namen, um Verwechslungen zu vermeiden. Diese Fährten, so Geyer, erzeugen Saurier aus einer Gruppe der Archosaurier, die sogenannten Rauisuchier. Körperliche Hinterlassenschaften dieser Saurier sind bisher – zumindest aus Mitteleuropa – nicht bekannt. Die Vertreter dieser Gruppe seien im Übrigen keine Vorläufer oder Ahnen der Dinosaurier, bemerkte Geyer.
Zur Spurenfossilgattung Chirotherium gehören verschiedene Formtypen, die unter unterschiedlichen Namen kursieren. Die ersten Fährten dieser Art weltweit habe man 1833 im Buntsandstein bei Hildburghausen in Thüringen entdeckt. Eine relativ große Steinplatte mit vielen Abdrücken steht heute, zusammen mit einem Modell eines Archosaurus, dort auf dem Marktplatz. Auch in der Gegend um Gössenheim, Seifriedsburg und anderen Orten der Region, vor allem bei Gambach, seien bereits im 19. Jahrhundert Fußstapfen solcher Saurier bekannt gewesen. Interessant sei für ihn die Erkenntnis, dass gerade aus solchen Orten oft Heldensagen überliefert sind, in denen Drachen und andere Untiere eine Rolle spielen, was wohl auf die unerklärten versteinerten Fußstapfen zurückzuführen ist.
Das Besondere am Gössenheimer Steinblock: Darauf sind mehrere Fährten zu erkennen. „Da sind vermutlich mehrere Saurier über dieselbe Stelle gelaufen.“ Obwohl die Abdrücke nicht mehr gut erhalten sind, könne man neben den Saurierfußabdrücken noch kleine Spuren von wirbellosen Tieren entdecken. Diese stammen von krebsartigen Tieren, vermutet Geyer. Daneben erkannte er eng gekrümmte Windungen im Stein, die nach seiner Meinung von wurmartigen Organismen beim Kriechen durch den noch weichen Schlamm verursacht wurden.
Somit dokumentiere der Gesteinsblock zwei unterschiedliche Zeit- und Lebensbereiche: Zunächst haben die Saurier Hohlformen im Tonschlamm hinterlassen, anschließend wurde die Schlammebene überflutet und von Flüssen mit Sand bedeckt, in denen die Würmer und Krebse ein Süßwasserbiotop bewohnten.
Vor einigen Jahren hat das Bayerische Landesamt für Umwelt die geologische Karte Gemünden im Maßstab 1:25 000 veröffentlicht. Nun arbeitet der Geologische Dienst an der Herausgabe der Erläuterungen zu diesem Kartenblatt, auf dem auch Gössenheim liegt.
„Ich kann dem Stück einige Bedeutung zuerkennen.“
Prof. Hartmut Haubold Paläontologe
Somit kann der aktuelle Fund gerade noch vermerkt werden. Aufgrund der Fundsituation in der Gössenheimer Gemarkung und dem Gesteinsaufbau dort ist es sogar wahrscheinlich, dass noch weitere Versteinerungen dieses Typs gefunden werden können. Geyer bewertete die Spuren als bemerkenswert und bedeutsam. Ähnlich argumentierte sein Kollege Haubold in der schriftlichen Stellungnahme: „Auch wenn das Gössenheimer Exemplar relativ klein und die Erhaltung nicht sonderlich günstig ist, kann ich dem Stück einige Bedeutung zuerkennen.“
Bürgermeister Gärtner bat Geyer, seine Erkenntnisse schriftlich festzuhalten, um sie für die Internetseite und später für eine kleine Informationstafel verwenden zu können, die neben dem endgültigen Standort des Steins angebracht werden soll. Es stehe fest, dass man den Steinblock behalten will, darum gelte es, eine geeignete Präsentationsmöglichkeit für die prähistorischen Spuren des „Ur-Gössenheimers“ zu finden.
Gärtner denkt dabei an eine bei der Dorferneuerung und an einen für alle Bürger und Interessierte zugänglichen, „würdevollen und wettersicheren Platz“. Anträge der Gemeinde Eußenheim, den Stein in die Ausstellung der Kirchenburg zu übernehmen, sowie das Interesse eines Aschaffenburger Museums lehnte die Gemeinde ab.
Chirotherium
Die Spurenfossilgattung Chirotherium wird den Archosauriern zugeordnet. Der Name leitet sich vom altgriechischen cheiros (Hand) und therion (wildes Tier) ab und kann in etwa mit Handtier übersetzt werden. Er rührt von der Ähnlichkeit der Fußabdrücke mit menschlichen Händen her. Der Verursacher der Abdrücke lebte im Trias vor etwa 249 bis 200 Millionen Jahren.
Zoologieprofessor Johann Jakob Kaup aus Darmstadt beschrieb ihn zum ersten Mal 1835 anhand der Fährten, die 1833 Gymnasialdirektor Friedrich Carl Ludwig Sickler bei Hildburghausen auf einer Sandsteinplatte (sogenannter Fährtensandstein) gefunden hatte. Eine der größten bekannten Fährtenplatten Deutschlands befindet sich bei Eiterfeld in der Vorderrhön. Die Fundstelle wurde jedoch als Müllkippe genutzt und ist nicht mehr zugänglich. Quelle: Wikipedia