In keiner anderen Region im Landkreis Main-Spessart vollzieht sich die demografische Entwicklung so dramatisch wie im Sinngrund. Der 18-jährige Janik Fleißner wollte genau wissen, wie sich das auf seinen Heimatort Mittelsinn auswirkt, und machte den Bevölkerungsrückgang zum Thema seiner Seminararbeit im Fach Geografie.
„Mittelsinn auf dem Weg zur Wüstung?“ unter diesen provokanten Titel hat der Schüler des Friedrich-List-Gymnasiums (FLG) Gemünden seine Arbeit gestellt. Fleißner stellt in der Einleitung fest, dass man sich seit 40 Jahren mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auseinandersetze, doch meistens sei der Blick auf die Ballungszentren und weniger auf kleine Kommunen gerichtet. Daher hat Fleißner versucht, mit eigenen Erhebungen, Interviews und Befragungen die Entwicklungen in seiner Heimatgemeinde zu beleuchten und Tendenzen der Dorfentwicklung sichtbar zu machen. Große Unterstützung erhielt er dabei von Gemeinderat Reinhard Mielke.
Nachdem die Grenzen Richtung Osteuropa gefallen waren, fanden Anfang der 1990er Jahre 73 Menschen in Mittelsinn eine neue Heimat und die Einwohnerzahl stieg auf 1058 an. Dies ist für Fleißner der Grund dafür, dass der dramatische und bis heute andauernde Bevölkerungsrückgang erst ab dem Milleniumswechsel spürbar wurde. 2001 lebten noch 967 Bürger in Mittelsinn, bis 2011 sank die Einwohnerzahl auf 847. Da setzen Fleißners Nachforschungen an. Weshalb hat sein Heimatdorf in den vergangen zehn Jahren so viele Einwohner verloren wie kein anderer Ort im Landkreis Main-Spessart?
Zum einen gibt es seit 2002 ein Geburtendefizit von 40 Personen. Dramatisch war besonders das Jahr 2011, als in Mittelsinn nur vier Geburten, aber 16 Sterbefälle registriert worden sind. Wichtigster Grund für den rasanten Bevölkerungsrückgang sind aber die Verluste durch Wegzug von Bürgern. Insgesamt hat Fleißner 16 Personen nach ihren Gründen für den Wegzug befragt. Der Schüler schränkt ein, dass diese Befragung nicht wissenschaftlich repräsentativ sei, trotzdem ermöglicht sie die Klärung der Frage, warum viele Menschen Mittelsinn den Rücken kehren.
Ein Ehepaar zog wegen eines attraktiveren Arbeitsplatzes nach Würzburg. Ein junger Mann fand nach abgeschlossenem Studium keinen ansprechenden Arbeitsplatz in der näheren Umgebung und zog nach Frankfurt. Ein weiterer Grund ist, in die Nähe der nicht mehr in Mittelsinn lebenden Kinder zu ziehen. Hauptsächlich sind die Befragten aus beruflichen oder Ausbildungsgründen aus Mittelsinn weggezogen.
In Mittelsinn gibt es derzeit nur etwa 150 Arbeitsplätze, was zur Konsequenz hat, dass viele Personen pendeln müssen. Wegen der schlechten Straßeninfrastruktur und steigender Kraftstoffpreise ist das für diese Pendler mit psychischen und ökonomischen Stress verbunden, weshalb ein Umzug schnell in Erwägung gezogen wird. Daher hält Fleißner die vom Landkreis Main-Spessart veröffentlichte Bevölkerungsprognose für relativ sicher. Diese prognostiziert für Mittelsinn einen weiteren Einwohnerrückgang auf 753 im Jahr 2022 und auf 629 im Jahr 2035.
Im Vergleich zu anderen Kommunen im Landkreis fällt Fleißner der hohe Anteil der über 79-Jährigen in Mittelsinn auf, was die Lage noch dramatischer macht, da die Senioren die Einwohnerzahlen nicht mehr positiv beeinflussen können. Daraus resultiert eine nachteilige wirtschaftliche Lage, da die Einnahmen aus der Einkommensteuer sinken.
Im Gegensatz dazu verweist Fleißner darauf, dass kostspielige Projekte in Betracht gezogen werden müssten wie die Einrichtung eines Mehrgenerationenhauses oder eines Seniorenheimes. Weiter müssen die Bedürfnisse alter Menschen stärker berücksichtigt werden als die der Jungen. Das birgt laut Fleißner die Gefahr, dass Mittelsinn gerade für junge, dynamische Menschen weiter an Attraktivität verliert. Diese geht aber auch durch zunehmende Leerstände verloren. Zwar sei dies im Augenblick in Mittelsinn noch nicht wahrzunehmen, das Leerstandsproblem gibt es aber, stellt Fleißner fest. So wohnen in Mehrfamilienhäuser oft nur noch ein oder zwei Personen, manche Häuser sind nur noch zeitweise bewohnt.
Sollte die Kommune nicht handeln, dann sehe die Zukunft düster aus. Es werde ein unzusammenhängend bebautes, desorganisiertes Dorf entstehen. „Im Zuge dessen kann man auch von einer Perforierung des Ortes sprechen“, folgert Fleißner und meint damit verfallene Häuser oder gar verfallene Straßenabschnitte. Besonders betroffen sind kleine Straßen wie etwa der Hof- und Gresselweg sowie der Götzberg. Außerdem gefährdet sind Teile der Brunnen- und Hauptstraße“, erläutert der Schüler.
Das gehe mit einer infrastrukturellen Veränderung einher. Noch sei die Nahversorgung mit Lebensmitteln sichergestellt, doch habe die Schließung der Sparkassenfiliale im Herbst älteren Menschen schon den Zugang zu ihren Konten eingeschränkt. Die Grundschule musste 2005 geschlossen werden und der Kindergarten ist aktuell nur schwach ausgelastet. Zwar ist die ärztliche Versorgung noch gewährleistet, aber auch in diesem Bereich sieht es für die Zukunft nicht gut aus. Dies alles führt dazu, dass Mittelsinn sowohl für Familien mit Kindern sowie auch für alte Menschen unattraktiv wird.
Die Verkehrsinfrastruktur sieht Fleißner noch durch die Erschließung über die Staatsstraße als gut an, zudem ist Mittelsinn mit dem Zug und dem Bus gut zu erreichen. Doch bei sinkenden Einwohnerzahlen und Gebäudeleerständen ist ein Rückbau von Straßen in schwach oder nicht mehr besiedelten Bereichen sehr wahrscheinlich. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wird ein Rückbau oder zumindest eine einschlägige Straßenänderung dann in Betracht gezogen werden müssen.
Der von dem Schüler gewählte Begriff Wüstung beschreibt eine ehemalige, aufgegebene oder zerstörte Siedlung. Janik Fleißner meint dazu in seiner mit der höchstmöglichen Punktzahl bewerteten Seminararbeit: „Aus diesem Grund ist die etwas pessimistische Frage – Mittelsinn auf dem Weg zur Wüstung? – verbunden mit der Hoffnung, dass sie sich nicht bewahrheiten wird.“