Die Freeway Rider's sind angekommen. Mitten im Neustadter Altort haben die Mitglieder des Motorradclubs ein ziemlich verwahrlostes Anwesen gekauft und es in tausenden Arbeitsstunden in ein beachtliches Clubhaus mit einer Nutzfläche von knapp 300 Quadratmetern verwandelt.
Am vorvergangenen Wochenende wurde Eröffnung gefeiert – mit rund 150 Gästen, darunter neben Nachbarn, Freunde und Familienmitgliedern reichlich Rocker. Nicht wenige hatten eine weitere Anreise. Denn die einzelnen Regionalgruppen des Motorradclubs, im Rockerslang Chapter genannt, sind über weite Teile des Bundesgebietes verstreut.
Gut 30 dieser Gruppen zählen die 1974 in Hagen in Nordrhein-Westfalen gegründeten Feeway Rider's aktuell, die meisten davon im Ruhrgebiet. Das nun in Neustadt ansässig gewordene Chapter „Southside“ gibt es seit fünf Jahren. Es bildet derzeit den südlichsten Außenposten des insgesamt mehrere Hundert Mitglieder zählenden Motorradclubs.
Mit einem solchen verbinden viele Menschen wohl eher negative Eigenschaften. Das liegt vor allem an Schlagzeilen, die Rocker von Clubs wie Hells Angels oder Bandidos durch kriminelle oder gewalttätige Aktivitäten in den vergangenen Jahren immer wieder fabriziert haben.
Doch die nun in Neustadt ansässigen Freeway Rider's versichern, dass von ihnen solche Schlagzeilen nicht zu erwarten sind. Das liegt nicht etwa daran, dass ihr Chapter momentan nur vier Mitglieder zählt. Vor allem liegt es an der Einstellung dieser vier Mitglieder: „Wir verdienen unser Geld alle durch ehrliche Arbeit und wollen niemandem etwas tun“, sagt President Jörg, der szenetypisch wie seine Rocker-Brüder die Nennung eines Nachnamens als überflüssig erachtet.
Die Neustadter Freeway Rider's gehen allesamt normalen Berufen nach. Der President ist Lagerist, sein Vize Etze Gemeindearbeiter, „Secretary“ Mike Bürohengst.
Was die Freeway Rider's eint, ist ihre Leidenschaft für das Motorradfahren, daneben auch das Gefühl, durch eine Art Bruderschaft mit Hunderten Gleichgesinnten verbunden zu sein.
Fast jedes Wochenende sind sie unterwegs, besuchen Motorradtreffen oder andere Clubs. Dabei legen sie an einem Wochenende schon mal 1000 Kilometer im Sattel ihrer Maschinen zurück. Bis vor fünf Jahren gehörten die vier nun in Neustadt ansässig gewordenen Freeway Rider dem Bad Kissinger Chapter des Motorradclubs an, bevor sie sich entschlossen, einen eigenen Ableger für die Region Main-Spessart/Würzburg/Tauber zu gründen, aus der die vier Freeway Rider's kommen.
Nach Neustadt sind die vier eher zufällig gekommen. Genauer: Über eine Zwangsversteigerung. Das Anwesen in der Spessartstraße, in dem früher eine Bäckerei, dann ein Lebensmittelladen und zuletzt ein Sicherheitsdienst untergebracht war, passte in den finanziellen Rahmen, den sich die Clubmitglieder für Clubhaus gesteckt hatten.
Der vergleichsweise überschaubare Preis hatte jedoch seinen Grund: Das zuvor längere Zeit leerstehende Gebäude mitsamt 1000 Quadratmetern Grund befand sich beim Kauf im Sommer des vergangenen Jahres in einem desolaten Zustand. Um aus dem maroden Anwesen ein vorzeigbares Clubhaus zu machen, investierten die vier Mitglieder seit dem Kauf allerhand Zeit und Geld. „Jede freie Minute“ habe man über Monate hinweg auf der Baustelle verbracht, erzählt Vize Etze. Allein das Entrümpeln des Anwesens habe mehrere Monate gedauert.
Das Resultat der Mühen kann sich nicht nur in Rockerkreisen sehen lassen. Die rund 100 Quadratmeter große ehemalige Verkaufsfläche dient nun als Partyraum.
Im benachbarten Haus haben sich die Freeway Rider's neben Clubraum, Küche und Sanitärräumen für jedes der vier Mitglieder ein Schlafzimmer eingerichtet, daneben ein mit Billardtisch und Dartautomat bestücktes „Wochenendwohnzimmer“.
Nicht zu vergessen: Ein Spiel- und Kinderzimmer. Denn die vier Neustatder Freeway Rider's im Alter zwischen 42 und 52 Jahren haben allesamt Familie. Die Kinder sollen sich ebenso in dem Clubheim wohlfühlen wie die Partnerinnen. Nur Clubmitglied werden, das können Frauen bei den Freeway Ridern nicht. „Motorradclubs sind eine Männerdomäne“, erklärt President Jörg. Für männliche Neuzugänge und Interessierte sei das Chapter Southside der Freeway Rider's jedoch aufgeschlossen: „Unsere Türen stehen offen.“
Allerdings sei die Aufnahme in den Motorradclub an gewisse Bedingungen geknüpft. Die erste und wichtigste ist natürlich, dass ein Rocker ein Motorrad fahren muss. Mindestens 500 Kubikzentimeter Hubraum muss es haben, um bei den Ausfahrten Schritt halten zu können. Mindestens ebenso wichtig sei, dass Interessenten für eine Mitgliedschaft menschlich in die Runde passten, betonen die vier Neustadter Freeway Rider.
Spaß am Motorradfahren müsse man natürlich haben, und zwar nicht nur bei schönem Wetter, daneben die Bereitschaft, sich im Club zu engagieren. „Man muss Zeit haben“, weiß Secretary Mike. Und auch den Willen, sich in die Gemeinschaft und deren Spielregeln einzufügen. Denn: „Verschenkt wird bei uns nichts“, beschreibt Mike, dass sich Rocker-Nachwuchs stets erst beweisen muss. Die Wunschvorstellung der Neustadter Rocker ist es, dass ihr Chapter irgendwann auf eine Größe von acht bis zwölf Mitglieder anwächst. Eile oder gar Zwang haben sie dabei jedoch nicht.
Gänzlich ungezwungen wollen die Freeway Rider's auch mit den Neustadtern umgehen. Den Kontakt zu den Nachbarn ihres Clubhauses haben sie längst gesucht. Etliche waren am Wochenende zur Eröffnungsfeier gekommen. „Da konnten wir sehr viele Bedenken ausräumen“, sind sich die Rocker bewusst, dass ihre Ankunft im Ort auch argwöhnisch beäugt wurde.
Das nachbarschaftliche Verhältnis wollen die Freeway Rider weiter pflegen. Auch der Neustadter Jugend gegenüber wollen sie offen sein. Denkbar sei beispielsweise, dass Jugendliche den Billardtisch oder den Dartautomaten im Clubheim nutzen könnten. „Wir wollen aber niemanden in den Club reinziehen“, sind die vier Mitglieder sichtlich bemüht, womöglich herrschende Befürchtungen gleich im Keim zu ersticken.
Bei den Neustadter Kindergartenkindern ist es dem Rocker-Quartett bereits gelungen, Punkte zu sammeln. Die alte, einst an der Fassade angebrachte und schon deutlich angerostete Ritterrüstung haben sie dem örtlichen Kindergarten geschenkt. Dort sind die Kinder damit beschäftigt, die Rüstung bunt anzumalen, um sie anschließend zur Zierde im Hort aufzustellen.
Die Fassade des Anwesens in der Spessartstraße ziert unterdessen eine neue Rüstung – als ein auch nach außen sichtbares Zeichen für die Veränderung, die sich im Innern des Gebäudes vollzogen hat.