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KARLSTADT: Schaffen wir das? Schüler diskutieren über Flucht

KARLSTADT

Schaffen wir das? Schüler diskutieren über Flucht

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    Podiumsdiskussion zum Thema Flucht und Vertreibung im Karlstadter Johann-Schöner-Gymnasium.
    Podiumsdiskussion zum Thema Flucht und Vertreibung im Karlstadter Johann-Schöner-Gymnasium. Foto: Foto: Markus Rill

    Einen besonderen Schultag verbrachten die rund 110 Schüler der elften Jahrgangsstufe des Karlstadter Gymnasiums am Montag. Der Bildungsverein „Die Multivision“ aus Hamburg organisierte gemeinsam mit Florian Burkard, Fachbetreuer für Geschichte sowie Politik/Gesellschaft, den Thementag „Zeichen der Zeit – Flucht und Migration damals und heute“, an dem sich die Jugendlichen engagiert beteiligten.

    Los ging's mit einem Quiz, das den Schülern Informationen zu Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bildern und Filmbeiträgen näherbrachte. Eine Schülerin berichtete über ihren Einsatz in der Hausaufgabenbetreuung für Flüchtlingskinder an der Karlstadter Grundschule.

    Bewegender Vortrag

    Sehr bewegend war der folgende Vortrag des 51-jährigen Mario Röllig, der auf Einladung des Bildungsvereins „Die Multivision“ nach Karlstadt gekommen war. Röllig erzählte von einer behüteten, linientreuen Kindheit in der DDR. Als Kellner am Berliner Flughafen Schönefeld lebte er sogar in einer privilegierten Situation, da er Trinkgeld oft in West-Mark erhielt. Als junger homosexueller Mann hatte er eine Beziehung zu einem West-Berliner Politiker; die Stasi wollte ihn als Spitzel gewinnen. Im Frühjahr 1987 wollte er dem Druck entkommen und über Ungarn in den Westen fliehen.

    Doch die Flucht misslang, Röllig wurde geschnappt und kam ins Stasi-Gefängnis Höhenschönhausen. Er erzählte eindringlich von der Folter durch Essensentzug, Isolationshaft, psychologischen Druck und körperliche Gewalt. Im März 1988 durfte er in den Westen ausreisen; der auf der Berlinale prämierte Dokumentarfilm „Der Ost-Komplex“ schildert Rölligs Leben. Seit 19 Jahren erzählt Röllig nun seine Geschichte. Eigentlich habe er vor einigen Jahren damit abschließen wollen, doch die Ressentiments gegenüber Flüchtlingen hätten ihn bewogen weiterzumachen. „Es ist wichtig, dass die Leute verstehen, warum Menschen fliehen“, so Röllig.

    Rund 300 Flüchtlinge in Karlstadt

    Er nahm auch an der abschließenden Podiumsdiskussion mit der städtischen Integrationsbeauftragten Sakine Azodanlou, Melissa Silva, die sich an der Uni Würzburg mit dem Thema Flucht beschäftigt, Klaus Oßwald von der Caritas-Flüchtlingsberatung in Main-Spessart und Günter Rösch vom Karlstadter Helferkreis teil. Jannes Umlauf und Patric Dujardin von „Multivision“ moderierten die Diskussion.

    „In Karlstadt leben jetzt 307 anerkannte Flüchtlinge“, sagte Azodanlou. Sie werden in der Integrationsstelle und vom Helferkreis, dem laut Rösch „der Enthusiasmus der Anfangsphase etwas abhanden gekommen“ sei, betreut. Rund 800 Geflüchtete mit und ohne Status als Asylberechtigte gebe es zurzeit im Landkreis Main-Spessart, erklärte Oßwald.

    Ein Schüler fragte, ob denn das berühmte Merkel-Zitat „wir schaffen das“ zutreffe. Azodanlou sagte, Karlstadt sei „auf einem guten Weg“. Für alle Kinder gebe es Kindergarten- oder Schulplätze, „einige Familienväter haben wir in Arbeit gebracht“. Essenziell für gelungene Integration sei der Spracherwerb, um den sich die Integrationsstelle und die Vhs bemühen. Oßwald sagte, viele Flüchtlinge hätten sich keine Unterbringung in kleineren Kommunen gewünscht, sie sei aber vorteilhaft. Überall in Main-Spessart gebe es Helferkreise. Er betonte, dass Integration eine Aufgabe beider beteiligter Seiten sei. Rösch appellierte an die Schüler, dazu beizutragen und sich beispielsweise in der Hausaufgabenhilfe einzubringen.

    Langfristiger Prozess

    Melissa Silva wies darauf hin, dass die Formulierung „wir schaffen das“ ungenau sei. „Was genau wollen wir schaffen? Wer ist mit ,wir‘ gemeint?“ Vielleicht könne erst die nächste Generation beantworten, ob die Integration tatsächlich gelungen sei. Es handele sich dabei um einen langfristigen Prozess.

    Mario Röllig erklärte, dass zwischen Migration und Flucht ein Unterschied bestehe. Deutschland benötige deshalb ein Einwanderungsgesetz. Als CDU-Mitglied sei er nicht zufrieden mit den drei Kandidaten zur parteiinternen Merkel-Nachfolge. Er habe als Flüchtling viele Vorteile gehabt: Er konnte die Sprache sprechen und wurde gleich als Staatsbürger anerkannt. Trotzdem sei ihm die Umsiedlung in den Westen nicht leicht gefallen. Röllig appellierte an die Schüler, ihre Freiheit zu schätzen und offen auf Flüchtlinge zuzugehen.

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