Warum Karlstadt? Hier gab es nie eine Sturmartillerie. Auch gehörte wohl kein Karlstadter dieser Waffengattung an. Trotzdem findet hier seit 1950 mit drei Unterbrechungen ein Veteranen-Treffen statt. Nach zwei Wiedersehen in Volkmarsen (Hessen) und Detmold (Westfalen) und einer Absage des Schweinfurter Stadtrats schlug der Karlstadter Bürger, Oberst a. D. Martin Buhr, der Ende der 1940er Jahren gegründeten Bundesgemeinschaft vor, sich künftig in Karlstadt zu treffen. Die Stadt am Main liegt im Herzen Deutschlands und hatte den Veteranen in „seltener Gastfreundschaft“ eine „neue Heimat geboten“, wie ein Vorstandsmitglied 1958 zitiert wird. In jenem Jahr enthüllte Feldmarschall Erich von Manstein (1887 bis 1973) – „Vater“ der Sturmgeschütze, vom britischen Militärgericht verurteilt und später Berater beim Aufbau der Bundeswehr – einen Gedenkstein im Karlstadter Ehrenhain. Im Katzenturm bezog die Gemeinschaft mit Utensilien ihrer Waffengattung am 10. Juni 1961 ihre „Traditionsräume“. Und 1967 übernahm sie die Patenschaft des Panzerbataillons 354 der Bundeswehr in Hammelburg.
Die Geschichte der ehemaligen Stuarts in Karlstadt ist die eines schwelenden und Ende der 1980er Jahren offen ausbrechenden Konflikts wegen eines großen Missverständnisses, an dem die Führung der Bundesgemeinschaft um den früheren Vorsitzenden Anton Wickelmaier nicht unschuldig war. Er selbst verkündete noch 1992 in Karlstadt, seit 1945 keine politische Partei mehr gefunden zu haben, die mehr als 90 Prozent seiner Anschauungen vertritt. Trafen sich in diesen historischen Mauern Ewiggestrige?
Von den meisten ehemaligen Stuarts stets als reines Kameradschaftstreffen empfunden und deklariert, distanzierten sich die Hunderte Veteranen öffentlich nicht deutlich genug von den flammenden Appellen und Reden ihrer Führung sowie ihrer geladenen Gäste – vor allem der Waffen-SS –, die das deutsche Soldatentum glorifizierten und sich sehr nahe an der Grenze zur Kriegsverherrlichung bewegten.
Dass immer mehr Veteranen – die schweigende Mehrheit – dem Ehrenabend in der Musikhalle Gambach fernblieben, weil sie die teilweise martialischen Auftritte nicht tolerieren wollten, bekam die Karlstadter Bevölkerung nicht mit. Das eigentliche Wiedersehen mit den engsten Kameraden und deren Frauen verlief nämlich in kleineren Kreisen – je nach Einheit – in den Karlstadter Gaststätten. Dort durchlebten sie in Gedanken und Erinnerungen mit ihren ehemaligen Kameraden noch einmal ihre schlimmste Lebensphase, als sie als junge Männer, meist kaum 20 Jahre alt, in Uniform gesteckt wurden, um für ein unmenschliches Regime einen unseligen Angriffskrieg in Europa zu führen.
Die Symbole – der Sturmpanzer der Sturmartillerie auf einem großen Plakat über dem „Meldekopf“ am historischen Rathaus – und die unreflektierte Zurschaustellung von Erinnerungsstücken in Traditionsräumen im Katzenturm provozierten eine Gruppe Nachkriegsgeborener.
Schon am 9. Mai 1975, zum 25. Bundestreffen in Karlstadt, forderten junge Karlstadter die Bevölkerung in Flugblättern auf, sich von militärischen Feiern zu distanzieren. Sie forderten von den ehemaligen Stuarts eine „selbstkritische Reflektierung ihres Soldatenseins im Zweiten Weltkrieg, das sie um ihre Jugend und Tod und Verderben in Europa brachte, sowie ein Eintreten für Frieden und Toleranz“. Das für sie sichtbare Zeichen der Kriegsverherrlichung, der stürmende Panzer im Herzen der Stadt, war nicht nur für das „Bündnis aller, die nicht schweigen“ eine Provokation, sondern für viele, die sich besorgt fragten, welchen Eindruck andere Urlaubsgäste von dieser Stadt wohl haben mussten.
Bei ihrem 40. Bundestreffen 1990 verzichteten die Stuarts auf Panzerplakat, Meldekopf und auf die Waffen-SS, denn Bürgermeister Karl-Heinz Keller hatte gedroht, nicht am Totengedenken teilzunehmen und die Stadt nicht zu beflaggen. Kriegsverherrlichende und politische Äußerungen der Stuarts und ihrer Gäste seien unerwünscht, sagte Keller. Auch das Hammelburger Panzerbataillon kündigte sein Fernbleiben an, sollte die Waffen-SS dabei sein. Danach verliefen auch die meisten Traditionstreffen in der Gambacher Musikhalle unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Man könnte die vielen Aktionen und Reaktionen in den folgenden zehn Jahren nur unter das Etikett „Generationenkonflikt“ einordnen. Doch das wäre zu einfach beim Rückblick auf die damaligen Geschehnisse. Das Thema polarisierte. Die gegenseitigen Beschimpfungen in Leserbriefen, Stellungnahmen und auf Flugblättern, das Traditionstreffen selbst mit dem Marsch durch die Stadt und die „Besetzung“ des Katzenturms mit der unkritischen Darstellung des Krieges, reduziert auf soldatisches Camperleben und Heldentum, spalteten die Bevölkerung in den 1990er Jahren in zwei Lager. Der lauter und schärfer werdende Protest des „Bündnis aller, die nicht schweigen“ unter ihrem Sprecher Wolfgang Tröster bekam eine breitere Unterstützung nun auch von gemäßigten Bürgern, als die Stuarts ab Ende April 1991 im außen frisch restaurierten Katzenturm erstmals offen ihre Militariasammlung zeigten, an der vorbei sich durch mehrere Stockwerke Einheimische und Urlauber bei Stadtführungen in die Turmspitze quälen mussten.
Nur eine Wochen später verlangte Bürgermeister Karl-Heinz Keller vom Bundesgeschäftsführer und Bundeswehr-Hauptmann a. D., Edwin Kapitz, den Katzenturm zu räumen und sich einen anderen nichtöffentlichen Standort in Karlstadt zu suchen. Dabei wollte die Stadt helfen.
Doch im Stadtrat rührte sich verstärkt Widerstand gegen die Räumungsaufforderung. Eine Interessengemeinschaft sammelte Unterschriften für den Erhalt der Militaria-Schau im Katzenturm. Ein Kompromiss musste her. 1993 begannen Bemühungen, die Exponate in ein museales Konzept zu verpacken. Die Konzeption des Militärhistorikers und Politologen Dr. Günther Herbert scheiterte fünf Jahre später am Widerstand der Bundesgemeinschaft und an der Stadt wegen der Kosten von 89 000 DM sowie der Übernahme der Trägerschaft.
Am 27. September 1998 kam es zu einem Ratsbegehren, in dem überwältigende 71,45 Prozent der 8528 Wähler für den Verbleib im Turm stimmten. Dieses Votum für die Stuarts zeigte dann doch den Gegnern die wahre Stimmung in der Bevölkerung. Der Stadtrat hob die Kündigung des Turms vom 16. Mai 1991 auf. Der Historische Verein verweigerte künftige öffentliche Führungen durch den Turm, setzte sie aber später wieder an.
Zehn Jahre später, im August 2008, hat Edwin Kapitz, der die Exponate einst selbst im Turm platziert hatte, nach mehreren Aufforderungen die Militaria-Sammlung abgebaut. Sie fand eine neue Heimat beim Garnisonsgeschichtsverein „St. Barbara“ im brandenburgischen Jüterbog, laut Bundesvorsitzenden Heinrich Timpe „die Wiege der Sturmartillerie“.
Der Historische Verein Karlstadt hatte vor zwei Jahren sein Konzept zur künftigen Nutzung als Stadtmuseums-Außenstelle vorgestellt. Damit gehört der 44 Meter hohe Wehrturm nach 46 Jahren auf allen Etagen wieder den Karlstadtern.
Im vergangenen Jahr entschied die Bundesgemeinschaft aus Altersgründen – das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 88 Jahren – ihre Auflösung. Am Samstag und Sonntag ist das letzte Veteranen-Treffen in Karlstadt.