Sie fühlt sich wie befreit. So viel leichter. "Ich stehe fester im Leben, ich schlafe besser und bin näher bei mir selbst", schildert Dagmar F. (Name geändert). Etwa die Hälfte ihres Lebens litt die 44-Jährige unter starken Depressionen. Unlängst ging es ihr so schlecht, dass sie in die psychiatrische Klinik nach Lohr kam.
Dort lernte sie Christoph Rupprecht kennen. Der Oberarzt leitet seit Jahresbeginn die Traumaambulanz auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses. Er schlug Dagmar F. eine Traumatherapie vor.
Aufgrund schlimmer Erlebnisse in der Vergangenheit ging es Dagmar F. viele Jahre ihres Lebens richtig schlecht. Durch Psychotherapie hatte sie versucht, ihre Probleme in den Griff zu bekommen: "Doch das hatte immer nur kurzzeitig geholfen." In der Lohrer Traumaambulanz ließ sie sich auf eine spezielle, EMDR genannte Methode ein. Christoph Rupprecht ist Spezialist für diese Technik. Er arbeitet mit ihr seit 2006.
Bei EMDR bewegt der Therapeut zwei Finger oder auch die ganze Hand vor dem Gesicht des Patienten hin und her. Der Patient, mit dem in vorangegangenen Sitzungen über seine traumatisierenden Erlebnisse gesprochen wurde, folgt der Bewegung mit den Augen. So werden Erinnerungen an die Geschehnisse zugänglich. "Ich hatte sofort Bilder, konnte durch die damaligen Ereignisse durchgehen und habe in kürzester Zeit enorme Verbesserungen meines Befindens gespürt", schildert Dagmar F.
Durch EMDR, erläutert Christoph Rupprecht, findet das Gehirn "seinen Weg zurück zum Trauma". Das alles klingt, hat man sich damit noch nie befasst, ein bisschen obskur. Mulmig wird es vielen Patienten aber auch, wenn sie sich bewusst machen: Lasse ich mich auf diese Methode ein, werde ich direkt mit meinem Trauma konfrontiert. "Auch ich hatte Angst vor der ersten Sitzung, vor allem hatte ich mir die Therapie sehr anstrengend vorgestellt", gibt Dagmar F. zu. Doch alle Ängste und alle Befürchtungen stellten sich als unnötig heraus: "Es handelt sich um eine sanfte Therapie." Christoph Rupprecht habe sie als einen "äußerst behutsamen Therapeuten" erlebt.
Beobachten und fühlen
Was sie in den Erinnerungsbildern ganz genau gesehen hatte, musste Dagmar F. nicht bis in alle Einzelheiten schildern. "Ich beobachte und ich fühle mit, muss aber nicht genau wissen, was die Patientin im Detail erlebt", sagt der Psychiater. Insgesamt 40 Patientinnen und Patienten sind aktuell bei ihm in Behandlung. Weitere können aufgenommen werden. Dies deshalb, weil Christoph Rupprecht seit Oktober in Vollzeit für die Traumaambulanz zuständig ist.
In den ersten neun Monaten hatte er parallel eine Station im Bezirkskrankenhaus geleitet. Perspektivisch, sagt er, soll das ambulante, traumatherapeutische Angebot ausgebaut werden. Das macht Sinn, denn Traumata sind alles andere als selten. Fast jeder Mensch erlebt irgendwann einmal etwas Katastrophales, das ganz plötzlich in seinen Alltag einbricht und dem er sich ohnmächtig ausgeliefert fühlt. Das kann ein verheerendes Naturereignis an einem Urlaubsort, der Unfalltod eines geliebten Menschen oder es kann früher sexueller Missbrauch sein. Christoph Rupprecht bekommt durch seine Arbeit "tiefe menschliche Abgründe" mit. Was mit Kindern in Familien passiere, sei unfassbar. Die Art und Weise, wie mit Kindern umgegangen wird, vernichte Urvertrauen. Und es zerstört Seelen.
Oft kein gutes Leben
Auch als Erwachsene haben Traumaopfer oft kein gutes Leben. Sie können, wie Dagmar F., unter massiven Depressionen leiden. Auch Drogensucht und Essstörungen können laut Christoph Rupprecht Ausdruck traumatischer Verletzungen sein. Das große Problem bei gravierenden Traumata ist, dass das Ereignis nicht wie andere Ereignisse im Leben in der normalen Erinnerung abgespeichert wird. "Es fehlt jeder Zeitbezug, was bedeutet, dass die Betreffenden das Trauma so erleben, als würde es jetzt passieren." Man kennt das zum Beispiel von traumatisierten Kriegsveteranen, die sich, hören sie einen lauten Knall, sofort auf den Boden werfen, als wären sie immer noch im Krieg.
Dem Lohrer Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist es ein großes Anliegen, auf die Bedeutung lange zurückliegender, schlimmer Erlebnisse für die Behandlung von psychisch erkrankten Menschen aufmerksam zu machen. Immer öfter hört er, dass es doch nichts bringe, ewig in der Vergangenheit zu stochern. Es sei doch viel wichtiger, die Patienten dazu zu bringen, in ihrem Alltag zu funktionieren. Etwa durch verhaltenstherapeutische Techniken. Erinnerungen, so sein Eindruck, gelten in der psychotherapeutischen Szene immer häufiger als "Schnee von gestern". Diese Haltung wird nach seiner festen Überzeugung schwer traumatisierten Patienten nicht gerecht.
Einfluss auf das Leben wird schwächer
Ihnen hilft es, wie er selbst durch seine EMDR-Therapie oft festgestellt hat, sich mit dem Trauma zu konfrontieren und es so endlich zu verarbeiten. Dagmar F. zum Beispiel hat, während sie ihr Trauma reprozessierte, tief erkannt, dass die fatalen Erlebnisse in ihre Vergangenheit gehören. Sie sind geschehen. Dass sie einst geschehen sind, ist unzweifelhaft schlimm. Aber sie passieren nicht jetzt.
Das Trauma ist endlich an dem Platz, an den es hingehört. Dadurch ist sein Einfluss auf das aktuelle Leben sehr stark abgeschwächt. Dagmar F. merkt dies in den verschiedensten Lebensfeldern: "Selbst meine Beziehung ist viel besser geworden."