Die Nachfrage nach freien Tagen statt eines Lohn- und Gehaltszuschlags ist groß. 1100 Frauen und Männer, die in Lohr bei der Bosch Rexroth AG arbeiten und die Voraussetzung erfüllen, haben dieses Jahr bis zu acht freie Tage mehr. Bei Hunger Hydraulik ist es ein Beschäftigter, der sich für diese Variante entschieden hat.
Der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr 2018 hat eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 4,3 Prozent gebracht. Dazu kommen eine Einmalzahlung von 400 Euro pro Jahr sowie 27,5 Prozent eines Monatsentgelts als tarifliches Zusatzentgelt, ebenfalls einmal im Jahr.
Bestimmte Voraussetzungen
Dieses Zusatzentgelt können Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen in Freizeit umwandeln. Vor einem Jahr haben sich die Tarifparteien darauf geeinigt, dass zu den sechs Tagen, denen die 27,5 Prozent entsprechen, die Arbeitgeber noch zwei Tage drauflegen. Das macht zusammen acht Tage freie Zeit zusätzlich zum Urlaub.
Beantragen können diese Variante Menschen, die in den tarifgebundenen Betrieben Schicht arbeiten oder ein Kind unter acht Jahren haben oder einen pflegebedürftigen Angehörigen in häuslicher Umgebung betreuen.
Nicole von Killisch-Horn, Unternehmenssprecherin bei Bosch Rexroth in Lohr, teilt auf Nachfrage mit, dass knapp 1100 Rexroth-Beschäftigte in Lohr die freien Tage beantragt haben. Stichtag für 2019 war der 31. Oktober vorigen Jahres. Am Standort Lohr hat Rexroth laut von Killisch-Horn zurzeit 5600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie viele davon eines der drei Kriterien erfüllen und somit antragsberechtigt sind, lasse sich nicht auswerten, sagen übereinstimmend die Unternehmenssprecherin und Thomas Nischalke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.
Vor allem Schichtarbeiter
Beide teilen gleichermaßen mit, dass der größte Teil, der das Angebot nutzt, Schichtarbeiter sind. Nischalke schätzt, dass sie 70 Prozent ausmachen. Die übrigen 30 Prozent verteilten sich auf Eltern mit Kind unter acht Jahren und Arbeitnehmer, die Angehörige betreuen. Laut von Killisch-Horn sind es zu einem Dreiviertel Männer, die die freien Tage beantragen, was daran liege, dass die Schichtarbeit hauptsächlich von ihnen geleistet wird.
Der zweite Betrieb, der in Lohr und Umgebung im Metaller-Tarif ist, ist Hunger Hydraulik. Wie Personalsachbearbeiter Helmut Dittrich auf Nachfrage mitteilt, hat nur ein Mitarbeiter die freien Tage beantragt und genehmigt bekommen. Dass es nicht mehr sind, führt Dittrich auf den geringen Anteil an Schichtarbeit bei Hunger zurück. Der Hydraulikhersteller habe zurzeit 125 Mitarbeiter. 20 davon seien Auszubildende.
Rexroth liegt mit einem Fünftel der Beschäftigten deutlich über dem Anteil, den die IG Metall Aschaffenburg für ihr Einzugsgebiet ermittelt hat, ergibt die Nachfrage beim 1. Bevollmächtigten Percy Scheidler. Danach haben von 32000 tarifgebundenen Arbeitnehmern im Bereich der Aschaffenburger Geschäftsstelle 3000 einen Antrag gestellt. 90 Prozent seien genehmigt worden.
Bei Bosch Rexroth sind es 100 Prozent Zusagen, wie von Killisch-Horn und Nischalke mitteilen. Durch eine zusätzliche Vereinbarung des Konzernbetriebsrats mit dem Unternehmen ist die Regelung laut Nischalke sogar auf Teilzeitkräfte ausgedehnt worden.
Kein fester Anspruch
Genehmigt würden die Anträge auf zusätzliche freie Tage, sofern die Arbeit kompensiert werden kann, erläutert die Unternehmenssprecherin. "Es muss umsetzbar sein. Es ist kein fester Anspruch", sagt sie. Die Bosch Rexroth AG werde alles tun, um alle Anträge zu genehmigen. Bis jetzt habe sich das umsetzen lassen. Dass dadurch neue Stellen geschaffen werden, sei nicht der Sinn.
Percy Scheidler von der IG Metall geht davon aus, dass die Nachfrage nach Umwandlung des Entgeltzugschlags in arbeitsfreie Tage dauerhaft zu Einstellungen führen werde. Kompensiert werden könne das Mehr an freien Tagen, indem andere Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit erhöhen, Arbeitszeitkonten ausgezahlt werden, mehr ausgebildet werde oder Leiharbeiter eingesetzt würden.
Freiräume nötig
Was nicht entstehen solle, sei Arbeitsverdichtung. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Scheidler sieht in der Umwandlungsmöglichkeit ein Zukunftsmodell über diesen Zeitraum hinaus. "Es ist auch ein Personalwerbeinstrument." Der Wandel in den Betrieben durch die Digitalisierung und veränderte Mobilität bringe andere Belastungen mit sich. Um 45 Jahre berufstätig zu sein, brauche der Mensch auch Freiräume.
Die zusätzlichen freien Tage werden laut Betriebsrat Nischalke bei der Urlaubsplanung des Mitarbeiters mit gemeldet. Dann sei es Sache der Vorgesetzten, zu schauen wie die Planung passt. Auch der Rexroth-Betriebsrat bestätigt, dass es durch die Entscheidung für die freien Tage nicht zu Arbeitsverdichtung kommen soll.
Aufgefangen werden könne die Arbeit zum Beispiel durch Teilzeitbeschäftigte, die ihre Stundenzahl aufstocken möchten, aber auch durch zusätzliches Personal. Am ehesten werde die neue Regelung im Schichtbereich durchschlagen, meint Nischalke.
Blick auf andere BranchenThomas Nischalke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Bosch Rexroth AG in Lohr, hofft, dass der jüngste Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie mit der Möglichkeit tarifliches Zusatzentgelt in Freizeit umwandeln zu können, auch in anderen Branchen Schule macht.Percy Scheidler, 1. Bevollmächtigter bei der IG Metall Aschaffenburg, sieht in der Variante Freizeit statt mehr Geld einen Trend. Dafür sprechen auch diverse Umfragen. Die Wirtschaftswoche hat bereits 2017 eine Umfrage unter Deutschen zitiert, wonach 45,5 Prozent auf die Frage, ob sie sich für mehr Urlaub oder mehr Gehalt entscheiden würden, wenn sie die Wahl hätten, mit "mehr Urlaub" geantwortet haben.Der Tarifabschluss der Deutschen Bahn mit den Gewerkschaften 2017 hat den Beschäftigten die Wahl zwischen einer Lohnerhöhung von 2,62 Prozent und sechs Urlaubstagen eröffnet.Bei der Deutschen Post haben nach einer Umfrage der Postgewerkschaft DPVKOM 14,5 Prozent der Gesamtbelegschaft geäußert, dass sie mehr Freizeit der Lohnerhöhung von drei Prozent im Oktober 2018 und weiteren gut zwei Prozent im Oktober 2019 vorziehen würden. (mb)