Die Bilder vom Putschversuch in ihrer Heimat beschäftigen die Türken und Deutschtürken in Mainfranken. Wir haben uns in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) umgehört.
- Aktuelle Informationen und Hintergründe zum Putschversuch
Cem Sultan Acigköz ist in Karlstadt geboren, dort aufgewachsen und wohnt noch immer dort. Heute betreibt er ein Reisebüro („Cem Sultan“) in Würzburg. Samstagmittag erwischt die Redaktion den 36-Jährigen am Telefon in Dinar in Anatolien, wo er gerade Oma und Opa besucht. „Nein“, Angst habe er in der Nacht zum Samstag nicht gehabt. Gegen Mitternacht habe er die Bilder vom Putschversuch im Fernsehen gesehen. Bis 3 Uhr habe er am Bildschirm ausgeharrt, dann aber sei er ins Bett gegangen. Acigköz: „Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass der Versuch dieser kleinen Gruppe, die Staatsmacht an sich zu reißen, gescheitert ist.“
Auch in Dinar seien die Menschen dem Wunsch von Präsident Recep Erdogan gefolgt und hätten sich auf der Straße gezeigt. „Das war das entscheidende Signal.“ Gefährlich sei die Nacht seiner Ansicht nach allenfalls in Ankara und Istanbul gewesen. Doch man habe schnell feststellen können, dass die Leute, die den Putsch angezettelt haben, „keine Profis sind“.
Er, so Acigköz, habe keinerlei Verständnis für die Aktion. Er sei kein ausgesprochener Erdogan-Fan und nur mäßig an Politik interessiert. „Aber ich sehe, dass die allermeisten Leute in der Türkei sehr zufrieden sind.“
„Ich bin für Erdogan“, bekennt Solmaz Dokkal. Die 46-jährige Mutter von vier Kindern, die selbst als Sechsjährige nach Karlstadt gekommen ist und lange bei Procter & Gamble (früher Braun) in Marktheidenfeld gearbeitet hat, hat die Ereignisse in ihrer Heimat eher gelassen registriert. Ihre Familie und die ihres Mannes leben bei Adana am Mittelmeer, weit weg vom Zentrum des Putsch-Geschehens. „Da habe ich mir keine Sorgen gemacht.“
Dokkal kann nicht verstehen, „warum es immer wieder Menschen gibt, die nicht in Frieden leben wollen, sondern Traurigkeit verbreiten“. Sie verurteile jede Art von Terror, den in der Türkei genauso wie den in Brüssel, Paris oder Nizza.
Als politischen Streiter für Demokratie und Menschenrechte sieht sich Hasan Toka. Der 56-Jährige ist Kurde. Den Putschversuch in der Türkei lehnt er ab. „Das ist einer Demokratie im 21. Jahrhundert nicht würdig“, sagt er. Gleichwohl kritisiert der aktive Gewerkschafter – er engagiert sich als Betriebsrat bei Procter & Gamble – und anerkannte Gerichtsdolmetscher die Politik von Präsident Erdogan.
Toka spricht von einer „Diktatur-Demokratie“, die unter Erdogan herrsche. Menschenrechte wie freie Presse und freie Gewerkschaften seien in der Türkei massiv eingeschränkt. Dagegen müsse man sich mit demokratischen Mitteln wehren. Minderheiten wie die Kurden würden verfolgt. Toka: „Als Demokrat in Europa darf man das nicht akzeptieren.“
Mitte August wollte der 56-Jährige, der seit dem Militärputsch 1980 in Karlstadt lebt, mit seiner Frau und seiner 13-jährigen Tochter mal wieder eine Rundreise durch die Türkei „bis an die Grenze nach Russland“ unternehmen. Angesichts der verschärften Lage überlege er nun ernsthaft, darauf zu verzichten.