Sebastian Stangl ist 26 Jahre alt. Ein typischer junger Mann? – Nein, bei ihm gehen die Uhren anders. Das hat einen Grund: Er macht sie nämlich selbst. Der gebürtige Marktheidenfelder gehörte nach seinem Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Wertheim zu den wenigen Schulabgängern, die nicht studieren wollten. Er entstammt einer Handwerkerfamilie: Großvater Richard Stangl war Schneidermeister, Vater Matthias Stangl ist Zahntechniker. In beiden Berufen kommt es auf feinmotorisches handwerkliches Können an.
Das hat Stangl junior geprägt: „Bei uns zu Hause gab es schon immer viele alte Gegenstände. Ich bin damit groß geworden, Altes zu sammeln und zu erhalten.“ So entschied er sich nach einem Praktikum beim Juwelier Bernstein für eine Ausbildung an der Uhrmacherschule in Pforzheim. Uhrmacher: Ist das nicht ein aussterbender Beruf? – Der junge Mann verspricht sich gerade deshalb gute Aussichten, weil es kaum noch Vertreter seines Gewerbes gibt.
So büffelte er drei Jahre lang traditionelle Handwerkstechniken an Maschinen, die andernorts ins Museum wandern würden, die aber für seine Arbeit unersetzlich sind, zerlegte Kleinuhren wie Wecker, Armband- oder Taschenuhren und lernte, wie man Großuhren – also Stand-, Wand-, Tisch- oder Kaminuhren – zusammenbaut. „Ich habe nicht alles gelernt, aber alles kennen gelernt“, sagt Stangl über sein Handwerk.
Offensichtlich war das aber sehr viel, denn er bestand seinen Gesellenbrief mit Lob und gewann obendrein gleich einen Innovationswettbewerb für eine von ihm entworfene Armbanduhr. In dieser Zeit durfte er auch das kleinste Quarzuhrwerk der Welt zerlegen – eine handwerkliche Herausforderung: Es hat einen halben Zentimeter im Durchmesser und ist drei bis vier Millimeter hoch.
Seit Oktober 2009 hat sich der Uhrmachergeselle in seiner Heimatstadt selbstständig gemacht, zurzeit noch im Labor seines Vaters im Eichendorff-Ring. Sein Ziel ist es nicht, an Funkuhren die Batterien oder die Armbänder zu wechseln. Stangl tickt anders: Er will mechanische Uhren aufarbeiten, alte Stücke neu zusammensetzen und seine im Wettbewerb ausgezeichnete eigene Uhr bauen. Dazu braucht er Kunden, die noch an handwerklichen Zeitmessern hängen – Liebhaber, Sammler oder Erben, die „Omas alte Standuhr nach Jahrzehnten vom Speicher holen“.
Der Uhrmachergeselle nimmt sie auseinander, säubert und überprüft jedes einzelne Bestandteil und repariert bei Bedarf. „Für mich ist es schön, wenn ich eine Uhr zum ersten Mal nach 30 Jahren anwerfe, sie ticken sehe und schlagen höre“, gerät er ins Schwärmen. Ihn fasziniert, wenn er ihr Pendel anschubst. „Dann lebt sie, läuft und schlägt von allein, weiß selbst, wie viel Uhr es ist.“ Stangl fühlt sich dann „wie ein Herzchirurg“, der etwas Totes zum Leben erweckt hat.
Uhrbesitzern rät er, ihre Stücke alle fünf Jahre zur Inspektion zu geben. Beim Auto sei die regelmäßige Wartung ja auch selbstverständlich. Schließlich werde eine Uhr riesig beansprucht: „24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche“.
Aber lohnen sich im Zeitalter der Atom-, Funk- und Batterieuhren noch mechanische? Stangl nennt das Beispiel der Automatikuhren.: Wenn jemand sie am Arm trage, der sich normal bewegt, gehe sie auf lange Zeit sehr genau. Apropos Zeit: „Wer braucht eine Uhr, die auf die Sekunde genau geht, wenn der Zug eine halbe Minute Verspätung hat?“, fragt Stangl fast schon so altersweise wie „Meister Hora“ aus Michael Endes „Momo“. „Wer kommt schon auf die Sekunde genau? – Etwas zu spät zu kommen, zeigt doch eher eine gewisse Nachsicht.“
Allerdings gibt Stangl zu, dass ihn mechanische Chronometer begeistern. Das sind Uhren, die so gebaut und überprüft sind, dass sie hunderte, wenn nicht tausende von Jahren sekundengenau gehen – Handwerkskunst in Vollendung, die ihren Preis hat. Entsprechende Manufakturen verlangen dafür zigtausend Euro.
Stangl hängt seinen Anspruch als Uhrmacher auf dem Lande niedriger. Er will kreativ sein und etwas Abwechslungsreiches tun. „Nur wenn ich Spaß an der Arbeit habe, kann ich etwas Gutes machen.“
Ab Mitte Januar teilt er seine Freude am Handwerk mit seiner Freundin, Marie Krischok, in einer gemeinsamen Werkstatt. Der 26-Jährige repariert und baut Uhren; seine 23-jährige „Gold-Marie“ stellt Schmuck nach eigenen Entwürfen und auf Kundenwunsch her. Krischok, die aus Halle in Sachsen-Anhalt stammt, ging in Pforzheim auf dieselbe Schule wie Stangl – allerdings mit dem Ziel, Goldschmiedin zu werden. Sie ist gerade im dritten und letzten Lehrjahr. In Pforzheim lernten sich die beiden kennen.
Ab Mitte Januar 2011 werden Stangl und Krischok ihr eigenes Geschäft in an der Ecke Lehmgrubener Straße/Kreuzbergstraße eröffnen. Und wieder hat das etwas mit alter Handwerkstradition zu tun: Es ist nämlich der alte Laden von Sebastian Stangls verstorbenem Großvater Richard, der dort als Schneider sein Maßatelier hatte.