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WÜRZBURG/LOHR: Unternehmer Walter Hunger ist tot

WÜRZBURG/LOHR

Unternehmer Walter Hunger ist tot

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    Der gebürtige Chemnitzer war über 60 Jahre lang als selbstständiger Unternehmer tätig. Auch als Erfinder machte sich Hunger, der mehr als 200 Patente anmeldete, einen Namen. Walter Hunger war ein Unternehmer vom alten Schlag. „Ohne Fleiß kein Preis“ lautete stets seine Devise. Dies galt für den Chef der Hunger-Gruppe mit Sitz in Lohr und mehreren Firmen in verschiedenen Ländern auch noch in einem Alter, in dem andere schon längst im Ruhestand sind. Bis zu seinem 80. Geburtstag arbeitete Walter Hunger noch täglich viele Stunden in seinem Betrieb. Da er in den vergangenen Jahren jedoch gesundheitlich angeschlagen war, lebte er zuletzt sehr zurückgezogen.

    Schon als Baby wurde er vom Schicksal gebeutelt. Weil seine Mutter am Existenzminimum lebte, ließ sie ihn auf der Entbindungsstation zurück. Er wuchs bei Pflegeeltern und im Heim auf. Mit 14 Jahren begann Walter Hunger in Adelsberg bei Chemnitz eine Lehre als Schmied. Als 17-Jähriger wurde er 1942 zur Wehrmacht eingezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug es ihn nach Gunnersdorf. Als sich der dortige Schmied im Mai 1945 zur Ruhe setzte, übernahm Hunger, mittlerweile Schmiedemeister, das Geschäft.

    Schnell erkannte Hunger, wie er „den Schrott des Krieges“ in nützliche Dinge umarbeiten konnte. So entstand sein erster Verkaufsschlager: Pferdewagen mit Gummireifen, die von Geschützen abmontiert wurden. 1945 heiratete Hunger seine erste Frau, Marianne Neubert. Die Folgejahre standen ganz im Zeichen des Wiederaufbaus. Walter Hunger trug seinen Teil dazu bei. In Chemnitz kam bei den Aufräumarbeiten ein Lastzug zum Einsatz, den er aus Auto- und Panzerwracks zusammengebaut hatte.

    Um das mühselige Entladen zu vereinfachen, konstruierte er aus einem Federbein eines Flugzeugwracks einen Kippmechanismus für den Anhänger. Dieses Produkt war so gefragt, dass er bald eigene Hydraulikzylinder für die Kippfahrzeuge herstellte. 1950 kaufte Walter Hunger das Sägewerk in Frankenberg, baute es in Eigenleistung um zu einem Industriebetrieb für den Bau von hydraulischen Kippanlagen für Lastwagen.

    Walter Hunger bekam erste Exportaufträge. Sein 40-Tonnen-Tiefladeanhänger wurde auf der Leipziger Messe 1954 als Aufsehen erregende Neuentwicklung herausgebracht. Im gleichen Jahr bestritt der Jungunternehmer seine erste Auslandsmesse in Ägypten. Dort zog er einen Auftrag über 50 Muldenkipper an Land. Bis 1958 baute er seinen Betrieb kontinuierlich aus. Doch der Einheitspartei der DDR war der Unternehmer schnell ein Dorn im Auge; sie blies zum „verschärften Klassenkampf“, verlangte von ihm, seine Patente abzuliefern, und wollte ihn zum Angestellten in seinem eigenen Betrieb degradieren.

    Das ließ Hunger sich nicht bieten: Am 22. September 1958 floh der bis zu diesem Zeitpunkt größte Privatunternehmer der DDR mit seiner kompletten Betriebsleitung und deren Familien – insgesamt 22 Personen – in den Westen. Im November 1958 gründete er mit Unterstützung der Firma Rexroth die Walter Hunger Comp. OHG in Lohr. Einen Monat später kaufte er von der Stadt 13 000 Quadratmeter Industriegelände an der Rodenbacher Straße zu günstigen Bedingungen. Mit aus der gesamten Bundesrepublik zur Verfügung gestellten Maschinen begann Mitte 1959 mit 60 Mitarbeitern die Produktion.

    Noch im gleichen Jahr verurteilte ein DDR-Gericht Walter Hunger wegen „Sabotage“ zu zehn Jahren Gefängnis, seine Angestellten zu sechs Jahren. Doch 1960 lehnte der Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik die Strafverfolgung ab und erklärte sie für nichtig. Beim zehnjährigen Bestehen seines Unternehmens im Jahr 1968 konnte Walter Hunger auf eine ganze Reihe neuer Produkte zurückblicken.

    Wegen akuten Fachkräftemangels nahm Hunger die Ausbildung der benötigten Fachkräfte selbst in die Hand; im September 1963 wurde die Lehrwerkstatt eingeweiht. 1970 erlitt Hunger auf privater Ebene einen Tiefschlag. Seine Frau Marianne, mit der er die Kinder Ingrid, Armin und Gisela hatte, starb im Alter von nur 43 Jahren. 1972 heiratete er erneut: Sigrid Weichelt, die Hauptgesellschafterin eines großen Fuhrunternehmens. Aus dieser Ehe stammen die Kinder Britta und Jan. Im gleichen Jahr wurde der erfahrene Reiter als Richter in der Disziplin „Military“ zu den Olympischen Spielen nach München berufen.

    In den 1970er Jahren trieb Walter Hunger große Projekte voran. Er bekam den schwer umkämpften, millionenschweren Auftrag für riesige Hydrozylinder, die für die Schleuse am „Eisernen Tor“ an der Donau benötigt wurden. Weitere solcher Großaufträge folgten. Dafür benötigte er ein 15 Meter tiefes Chrombad, das er auf seinem Betriebsgelände in Lohr errichtete. Im Zusammenhang mit der Verchromung kam es im Lauf der folgenden Jahre allerdings auch zu Unfällen, die das Betriebsgelände zum Teil verseuchten. Die Sanierung ist heute jedoch größtenteils abgeschlossen.

    1977 baute Hunger die bis dahin größte Teleskopantenne der Welt. Sie ist 52 Meter hoch. Zwei Jahre später, 1979, gründete er die Hunger Schleifmittel GmbH, weil ihm die Qualität der auf dem Markt verfügbaren Produkte nicht ausreichte. In den 1980er Jahren gründete Hunger Firmen in den USA, wo unter anderem die NASA zu seinen Kunden zählte, in China sowie eine weitere in Deutschland. Außerdem lieferte Hunger die Dichtungen für die Großwindanlage „Growian“ und Hydraulikkomponenten für den mit 156 Metern Höhe größten Autokran. Er erhielt den Philip-Morris-Preis, die höchstdotierte private Auszeichnung in Deutschland, für Forschungsarbeiten in den Bereichen Technischer Fortschritt und Umweltschutz.

    Die 1990er Jahre gehörten den Auszeichnungen. Die Technische Universität Chemnitz verlieh Walter Hunger die Ehrendoktorwürde für seine „außerordentlichen Verdienste auf dem Gebiet der Fertigungstechnik“; er erhielt den Umweltpreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie für seine fett- und wartungsfreie Sattelkupplung sowie das Bundesverdienstkreuz. Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahrzehnt: Als Folge der Wiedervereinigung erhielt er seine Werke in Frankenberg zurück.

    Seine Geschäfte hat Hunger im hohen Alter an seinen Nachwuchs abgegeben. Von seinen fünf Kindern sind auch heute noch drei im Unternehmen tätig: Ingrid, Armin und Jan Hunger.

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