Einer der letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges ist Robert Baumeister aus Büchold, Jahrgang 1927. In den letzten Jahren schrieb Baumeister seine Erlebnisse für seine Nachkommen auf. Zweimal, 2014 und 2015, ging er den Enkeln zuliebe in die Realschule nach Arnstein, um auf Einladung der Schule als Zeitzeuge mit den Schülern über seine Kriegszeit zu sprechen. „Es wollte jedes Mal keiner, dass ich aufhöre zu erzählen“, freut sich der alte Herr beim Gespräch schmunzelnd.
Mit 16 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, das war im Dezember 1943. Er kämpfte in Tschechien in der Nähe von Budweis und kam am Ende in französische Gefangenschaft, aus der er im Oktober 1947 heimkehrte. Viel Tod und Leid hat er gesehen, über das es selbst für ihn als 90-Jährigen schwer ist zu sprechen. Den ständigen beißenden Hunger spürte er am eigenen Leib. Trotzdem findet er es wichtig, über diese Zeiten zu sprechen, Zeugnis abzulegen, wie es ihm erging in dieser Zeit.
Nach dem Wehrertüchtigungslager in Wehrberg bei Bad Brückenau, wo die jungen Rekruten in ihren Dienst eingewiesen wurden, kam Robert Baumeister für sechs Monate zum Arbeitsdienst nach Friedrichsbrück bei Kassel. Von dort ging es zum Militärdienst ins tschechische Budweis. Dort wurde er einige Male für Sonderaufgaben „beurlaubt“. Weil er Bücholder Schnapsbrenner kannte, beauftragte ihn einmal sein Spieß, Schnaps aus Büchold für die Front zu besorgen. Drei Tage bekam er dafür frei, eine Flasche kostete damals 100 Reichsmark, eine horrende Summe. Nach drei Monaten wurde er nach Grafenwöhr versetzt, als Reserve-Unteroffiziers-Bewerber (RUB).
Am 12. April 1945 nahmen ihn die Amerikaner gefangen. Seine eigentliche Leidenszeit begann jetzt erst richtig, erzählt Baumeister weiter. Denn er landete am Ende beim Minenräumdienst in Bayonne an der französischen Atlantikküste. Zu Fuß und mit den Händen über Kopf marschierte er nach seiner Gefangennahme in Oberndorf gemeinsam mit etwa 20 anderen Gefangenen ins Wernecker Gefangenenlager. Grob seien die Bewacher auf dem einige Kilometer langen Marsch gewesen, der Gewehrkolben der Wachmänner sei öfters im Kreuz der Gefangenen gelandet, hielt man die Reihe nicht ein.
Mit Transporten über Würzburg und einige Tage später nach Ludwigshafen begann seine Zeit der Gefangenschaft, zunächst bei den Amerikanern.
Ende Mai wurde er an die Franzosen übergeben und nach La Fleche transportiert, ein Gefangenenlager mit mindestens 16 000 Gefangenen, die in Gruppen zu Hundertschaften eingeteilt wurden. Ein vier Meter hoher und drei Meter breiter Zaun umgab das Lager, bewacht von marokkanischen Söldnern, die nicht zimperlich mit den Gefangenen umgingen, sie täglich nach Schmuck durchsuchten und beim geringsten Anlass zuschlugen. Sie schliefen auf blankem Beton, seine Decke teilte er mit einem Leidensgenossen. Die Gräber ihrer Toten gruben sie mit bloßer Hand selbst. „Wenn du dich anpassen kannst, dann hast du schon viel gewonnen.“ Dieses Lebensmotto habe er seit dieser Zeit verinnerlicht, auch im späteren Leben habe er oft nach diesem Spruch gehandelt.
Da Baumeister zu den jüngeren Gefangenen zählte, wurde er nochmals verlagert nach Bayonne. Dort hatten die Deutschen während ihrer Besatzung eines der größten Minenfelder des Zweiten Weltkriegs entlang der Atlantikküste geschaffen. Alle Bunkeranlagen von San Sebastian-Hendaye bis Bordeaux mussten Gefangene von diesen Minen befreien. 185 Kilometer beträgt die heutige Autostrecke von Bordeax nach Bayonne. Schlecht gegangen sei es ihm dort nicht, er habe sogar Familienanschluss an die Familie des Lagerleiters gehabt, sei mit dem „Grandpa“ zum Fischen gegangen oder habe beim Schlachten geholfen.
Fünf Tote gab es während seines Dienstes. Mit den anderen habe er die zerfetzten Körper seiner Kameraden wegräumen müssen, einmal kamen drei gleichzeitig um. Eine besonders gefährliche Mine, die einen zweiten Zünder an der Unterseite eingebaut hatte, explodierte. Das ertrug Baumeister nur schwer.
Deshalb unternahm er mehrere Fluchtversuche. Das erste Mal scheiterten er und seine beiden Fluchtkameraden, da sie unterwegs nachts einen Hasen vor Hunger aus einem Stall stahlen, was ihre Verfolger auf ihre Spur brachte. Beim zweiten Mal wollten sie nachts Wasser aus einem Brunnen schöpfen. Am Eimer habe aber ein Klumpen frischer Butter zur Kühlung im Wasser gehangen. Völlig ausgehungert verzehrten sie die, was wiederum ihre Häscher auf die Spur brachte. Zur üblichen Bestrafung – sie wurden kahl geschoren und hatten Peitschenhiebe und drei Tage bei Wasser und Brot zu überstehen – kämpften sie diesmal noch tagelang mit dem Durchfall, weil sie die blanke Butter gegessen hatten.
Bis April 1947 räumte er Minen, dann wurde er ins Elsaß verlagert, wo er 350 Meter unter Tage Kohle abbauen musste. Täglich gab es dort Tote und Verletzte. Sein dritter Fluchtversuch Anfang Oktober 1947 gelang. Er ließ sich in einem Eisenbahn-Kohlewaggon, den die Gefangenen mit der abgebauten Kohle füllten und der nach Deutschland verkauft wurde, eingraben. Als der Kohletransport über den Rhein fuhr und in Ludwigshafen den Deutschen übergeben wurde, atmete er auf, da selbst die Hunde, die regelmäßig in den Zügen nach Flüchtigen suchten, ihn nicht gewittert hatten.
Erst auf der weiteren Fahrt grub er sich aus den Kohlen aus und sprang vom Waggon. „Da habe ich gedacht, dass mein letztes Stündlein geschlagen hat“ erinnert er sich.
Er lief die letzten 20 Kilometer zurück nach Ludwigshafen und meldete sich beim Roten Kreuz. In deren Dienstabteil durfte er kostenlos bis nach Schweinfurt fahren, wo er eine Nach bei seiner Tante verbrachte. Am nächsten Tag nahm ihn die Postkutsche, ein Pferdegespann aus Gauaschach, mit nach Hause, wo er am 5. Oktober 1947 ankam.