Oben auf den Seilen angekommen heißt es, die Beine in Stellung bringen, je ein Fuß steht auf einem Seil. Der Name der Übung bezeichnet den Gang, den man mit den Fußinnenseiten nach vorne gerichtet auf den Seilen nehmen muss: „Chaplin's Walk“. Mit weichen Knien und Herzklopfen bis zum Hals soll ich nun den Baumstamm loslassen und die Schultern des Partners umfassen, der den Kletterer auf der Strecke zwischen den beiden Bäumen begleitet.
Georg Schuhmann leitet das Training im Hochseilgarten der Burg Rieneck zusammen mit Klaus Hach und Birgit Schmaizl. Der Hochseilgarten, ein Parcours aus verschiedenen künstlichen Hindernissen aus Holz, Seilen und Stahlkabeln, ist ein Angebot der Jugendherberge und Schuhmanns Firma „Extra Touren“. Seit 18 Monaten können Gruppen das Gelände zum Klettern nutzen. Die Hindernisse haben eine Höhe von etwa sieben bis zehn Metern. Bis zu zehn verschiedene Übungen können hier ausprobiert werden.
Schuhmann stimmt die Gruppe ein, indem er ein paar kleine Vertrauensübungen zeigt. Beim heutigen Training ist Multitasking angesagt: Der Trainer muss alle Erklärungen auf Englisch übersetzen, die Gruppe, die heute die Übungen ausprobieren will, besteht aus Pfadfindern aus Dublin. Die zirka 30 Jugendlichen haben ihr Zeltlager neben der Rienecker Burg errichtet.
„Chaplin's Walk“ hat diesmal nicht so gut geklappt. Rory, der oben auf den beiden Seilen das Gleichgewicht verloren hat, wird abgeseilt. An seinen Gurt ist ein Karabiner gespannt, an dem das Seil befestigt ist, das vier seiner Freunde festhalten. Dass Rory es nicht auf Anhieb geschafft hat, ist aber nicht schlimm. Immerhin habe er es überhaupt versucht, finden seine Freunde.
Die nächste Station ist die Riesen-, oder auch Jakobsleiter, benannt nach der biblischen Himmelstreppe. Wie eine überdimensionale Strickleiter sehen die Balken aus, die mit gelben Seilen verbunden ebenfalls zwischen zwei Bäumen hängen. Die Sprossen haben einen Abstand von etwa 1,50 Metern. Zweiergruppen sollen die Leiter erklimmen. Wieder sind alle Teilnehmer durch Helme und Seile gesichert, die an ihrem Gurt befestigt sind.
Es kommt auf gute Zusammenarbeit an: Während die meisten die ersten Sprossen noch alleine bewältigen, lässt ab der Mitte der Leiter die Kraft nach. Einfach nach oben schwingen geht jetzt nicht mehr. Von unten helfen die anderen mit Tipps, feuern an und reden denen gut zu, die aufgeben wollen. Claire stellt ihren Fuß auf das Knie ihrer Freundin Sinead und zieht sich nach oben. Endlich haben sie es bis ganz nach oben geschafft. Strahlend lassen sie die Gummischildkröte quietschen, die am obersten Seil hängt.
Der Pamperpole, die nächste Übung, flößt den Jugendlichen schließlich Respekt ein. Einen senkrecht stehenden Holzpfahl sollen sie einzeln hinaufklettern und sich anschließend darauf stellen. Gar nicht so einfach, schließlich schwingt der Pfahl bei jeder Bewegung mit und wackelt, bei Aufregung und Zittern, umso mehr. Außerdem werden die Seile, an denen die mutigen Kletterer befestigt sind, die letzten anderthalb Meter nicht mehr nachgespannt. So haben die Jungen und Mädchen das Gefühl, als seien sie gar nicht gesichert.
Nach kurzem Zögern wagen sich schließlich fast alle Teilnehmer an die Übung. Oben auf dem Pfahl machen sie eine 90-Grad-Drehung und anschließend einen Schritt ins „Leere“. Für einen kleinen Moment hat der Wagemutige das Gefühl, frei zu fallen, dann wird er langsam zum sicheren Boden abgeseilt. Stolz sind diejenigen, die ihre Angst überwunden haben und sich an Übungen getraut haben, vor denen sie zunächst Respekt hatten. Das freigesetzte Adrenalin zaubert allen ein breites Lächeln auf die Gesichter. Sie gratulieren sich gegenseitig zu ihrem Erfolg.
„Bisher ist noch nie etwas passiert“, sagt Trainer Schuhmann. Mit seiner Firma „Extra Touren“ begleitet er alle Gruppen, die sich an den Stationen des Hochseilgartens ausprobieren möchten. Dieses Angebot nehmen laut Schuhmann verschiedene Gruppen wahr. So sind unter den Teilnehmern nicht nur Schulklassen oder Pfadfindergruppen zu finden, die in der Jugendherberge der Burg Rieneck untergebracht sind, sondern auch Teams aus der Industrie.
Ein „Gruppenevent“ stelle das gemeinsame Klettern in einem Hochseilgarten dar, meint Schuhmann. Denn Ziele der Übungen, bei denen der sportliche Aspekt eher im Hintergrund stehe, seien, Strategien für gute Teamarbeit zu erarbeiten und Vertrauen zu sich selbst und der eigenen Gruppe zu entwickeln. Ein „Muss“ sollen die Stationen nicht darstellen, sondern eher eine Gelegenheit, die eigene Angst zu überwinden.
Während sich die Hälfte der Jugendlichen noch an der Seilchenbrücke versucht, können die anderen schon an die Station, die allen später am meisten Spaß gemacht haben wird: die Riesenschaukel. Ein „V“ aus zwei Seilen, die zwischen zwei Bäumen hängen, wird vorne an dem Gurt eines Teilnehmers angedockt. Von hinten wird auch ein Seil angehängt, das zehn Jugendliche festhalten. Auf Kommando rennen alle los und ziehen so ihren Freund nach oben. Wenn diesem die erreichte Höhe angemessen erscheint, reißt er an einem Seil, durch das sich, ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung, die Aufhängung am Rücken löst. Wie bei einer Schaukel schwingt er nun vor und zurück. Trainerin Birgit Schmaizl beschreibt das Gefühl beim Schaukeln treffend: „Das ist wie durch die Luft fliegen.“
Hochseilgarten Der Hochseilgarten in Rieneck steht Teilnehmern ab zehn Jahren offen. Gruppen ab zehn Mitgliedern können ihn nutzen. Nähere Informationen und Kontakt erhalten Interessierte auf der Homepage der Jugendherberge,
oder direkt bei Georg Schuhmann unter ? (0 93 54) 10 37.