Am 21. Februar 1919 wurde in München Ministerpräsident Kurt Eisner ermordet. Das führte zu Unruhen, die ihren Höhepunkt am 7. April kurz nach Mitternacht in der Ausrufung der Räterepublik fanden. Die demokratisch gewählte Regierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (SPD) zog sich daraufhin nach Bamberg zurück. Die Sozialdemokratie war gespalten in die „Mehrheitssozialisten“ und die radikale „Unabhängige Sozialdemokratische Partei“ (USPD).
In Lohr rückten am 8. April, also fast auf den Tag genau vor 90 Jahren, kurz nach 7 Uhr aufständische Soldaten aus der Würzburger Garnison ein. Das Postamt wurde besetzt; die Geschäfte – ausgenommen Lebensmittelbetriebe – schlossen im Lauf des Vormittags. Soldaten gingen von Geschäft zu Geschäft.
Gegen 15.30 Uhr rief die USPD ihre Anhänger auf dem Marktplatz zusammen. Der Taglöhner Gregor Seufert, der sich selbst zum Stadtkommandanten ernannt hatte, eröffnete die „Volksversammlung“ bei der allerdings das Volk nicht sehr zahlreich vertreten war. Die USPD wählte einen „Aktionsausschuß des revolutionären Proletariats“ dem außer Seufert als erster Vorsitzender Wilhelm Jost, als 2. Vorsitzender August Rüfer angehörten. Rüfer hielt eine Rede und rief dann die Räterepublik auch für Lohr aus. Damit war – wie Rüfer erklärte, „die Diktatur des Proletariats aufgerichtet“. Ein Demonstrationszug der USPD schloss sich an.
Zeitungen besetzt
Die aufständischen Soldaten hatten vor der Versammlung auch die beiden örtlichen Zeitungen besetzt. Durch Verhandlungen wurde aber erreicht, dass sie wieder erscheinen konnten, wenn auch zensiert. Die Zensur scheint aber nicht allzu wirksam gewesen zu sein, denn in der Lohrer Zeitung erschien zwar am 8. April (Die Zeitungen wurden damals nachmittags gedruckt und ausgetragen) ein Aufruf des „Aktionsausschusses“, aber auch ein Erlass des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, in dem er feststellte, seine Regierung sei und bleibe die einzig rechtmäßige in Bayern. München stand vor dem Bürgerkrieg. Die Nachrichten überschlugen sich. Offenbar wurden auch bewusst Falschmeldungen verbreitet. Den Redaktionen war es von Lohr aus kaum möglich, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Verunsicherte Bürger
Die Bürger müssen verunsichert gewesen sein; einschüchtern ließen sie sich aber nicht. Am 9. April veröffentlichte die Lohrer Zeitung einen gemeinsamen Aufruf der Deutschen Demokratischen Partei, der Bayerischen Volkspartei, der Bayerischen Mittelstandspartei, des Bundes der Landwirte, des Deutschen Beamtenbundes und des Vollzugsausschusses der mittelfränkischen Kreisbauernräte, die gemeinsam zum Widerstand gegen die Räterepublik und zur Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann aufriefen.
Die Mehrheitssozialisten luden zu einer öffentlichen Volksversammlung ein. Die demokratischen Kräfte zeigten also Flagge, vermieden aber andererseits alles, was zu einer unkontrollierbaren Eskalation der Lage führen konnte.
Soldaten abgezogen
Auch der revolutionäre Aktionsausschuss wollte es offenbar nicht zum Äußersten kommen lassen. Er verpflichtete sich in einer öffentlichen Erklärung, den Belagerungszustand nicht zu erklären und das Militär bis zum Abend des 11. April aus der Stadt zu entfernen. Falls das nicht möglich sei (der Zugverkehr war inzwischen eingestellt), werde man die Soldaten entwaffnen. Am 10. April wurden die Soldaten tatsächlich abgezogen. Das bedeutete praktisch schon die Aufgabe, aber offenbar hofften die Revolutionäre noch auf eine Wende von außen.
Die blieb jedoch aus. In den Zeitungen erschienen weitere Erklärungen demokratischer Parteien und Verbände, die sich auf die Seite der Regierung Hoffmann stellten.
Die Entscheidung brachte schließlich ein Telegramm, über das beide Zeitungen noch am gleichen Nachmittag berichteten. In ihm hieß es, dass der Spartakisten-Aufstand in Würzburg niedergeschlagen sei. Dabei hatte es Tote und Verletzte gegeben. Das blieb Lohr erspart.
Nun sorgten die Behörden dafür, dass „vernünftigerweise der Volkswille nicht zu seinem Recht kam“, berichtete die Lohrer Zeitung. Offenbar waren die aufgebrachten Lohrer Bürger drauf und dran gewesen, gegenüber den Revolutionären handgreiflich zu werden. Sie weigerten sich sogar zunächst, die Rädelsführer an das Generalkommando der regierungstreuen Truppen auszuliefern.
Rücknahme per Annonce
Am Samstag, 12. April, veröffentlichte der Lohrer Anzeiger folgendes Inserat: „Wir nehmen den Ausruf der Räterepublik vom 8. April zurück und anerkennen den Landtag sowie das Ministerium Hoffmann. Lohr, 12. April 1919. Der bisherige Revolutionäre Ausschuß: Aug. Rüfer, Gregor Seufert, Wilh. Jost.“
Am 25. April wurde auf Grund eines Magistratsbeschlusses auch in Lohr, wie in vielen anderen Orten in Bayern eine Sicherheitswehr gegründet. Sie setzt sich aus waffenkundigen Freiwilligen vom 21. Lebensjahr an zusammen. Diese Sicherheitswehren wurden andernorts in der Folgezeit zu einem neuen Problem für die junge Demokratie, weil sie zur politischen Heimat nationalistischer bis rechtsradikaler Kräfte wurden. Aus Lohr ist aber nichts dergleichen bekannt.
Rädelsführer vor Gericht
Am 28. Juni 1919 begann im Landgericht Aschaffenburg die Verhandlung gegen die Rädelsführer des Lohrer Räte-Putsches. Angeklagt waren August Rüfer, Wilhelm Jost und Gregor Seufert sowie der Sergeant Scheuermann, offenbar der Anführer der aufständischen Soldaten. Noch am selben Tag distanzierte sich die USPD in einer Anzeige von einem der Angeklagten: „Die USPD ist gezwungen, den August Rüfer aus der Partei auszuschließen. Grund: Verrat der eigenen Partei, der Kommunisten und des Generalkommandos, da er als Lockspitzel Dienste tat. Die Vorstandschaft.“ Jost, Seufert und Scheuermann werden zu je 18 Monaten Festungshaft verurteilt. Das Urteil gegen August Rüfer lautete auf ein Jahr und 10 Monate Festungshaft.