"Im Grunde genommen stehen wir trotz aller Bemühungen mit nahezu leeren Händen da." Dieses ernüchternde Fazit zur Nahostpolitik hat Wolfgang Vorwerk am Donnerstag in Lohr gezogen. Als deutscher Diplomat hat er einige Jahre an dieser Politik selbst mitgewirkt.
Vorwerk informierte in der Alten Turnhalle vor rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörern als Vorsitzender des Lohrer Geschichts- und Museumsvereins in einer Gemeinschaftsveranstaltung mit der Volkshochschule (VHS) Lohr-Gemünden über die politischen und historischen Hintergründe des Nahostkonflikts. Eigentlich sei ein anderer Vortrag geplant gewesen, erklärten VHS-Vertreterin Silvia Brey und Vorwerk. Ursprünglich sollte es um Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde in Lohr gehen, die in den 1930er-Jahren nach Palästina ausgewandert sind. Durch das beispiellose Massaker der palästinensischen Hamas am 7. Oktober in Israel sei das Thema überholt worden, erklärte Vorwerk.
Auswanderung aus Lohr
Nach seinen Angaben wanderten 1933/34 unter anderem die Kinder des jüdischen Gemeindevorstehers Strauß und eine komplette Familie aus der Kleinen Kirchgasse nach Palästina aus. Dort lebten laut Vorwerk zu diesem Zeitpunkt rund 180.000 Juden und 800.000 Menschen der einheimischen Bevölkerung. Die Einwanderung von Juden nach Palästina, wo bereits 1300 Jahre vor der Zeitenwende jüdische Stämme gelebt hätten, habe mit dem Buch "Der Judenstaat" von Theodor Herzl 1895 und der Gründung der Zionistischen Weltorganisation 1897 eingesetzt. Ziel sei ein Nationalstaat für die Juden in Palästina gewesen, die sich unter anderem in Europa von Antisemitismus und Pogromen bedroht sahen.
Fatal wirkte sich aus, dass die Briten im Ersten Weltkrieg Juden und Einheimischen Nationalstaaten in Aussicht stellten, um sie zum Widerstand gegen das Osmanische Reich zu bewegen, zu dem Palästina seinerzeit gehörte. Nach dem Krieg bekamen die Briten Palästina vom UN-Vorläufer Völkerbund 1922 als Mandatsgebiet. Wegen der Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen war die jüdische Niederlassung ab 1923 nur noch westlich des Jordans erlaubt. 20 Jahre später zogen sich die Briten aus der Affäre, indem sie ihr Mandatsgebiet der UN übergaben. Deren Plan von 1947, das Land in zwei Staaten zu teilen, wurde nie umgesetzt.
Die entscheidende Frage
Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Wenig später marschierten die Armeen von fünf arabischen Staaten ein und verloren den ersten Nahostkrieg. In seiner Folge "gingen die Palästinenser komplett leer aus", berichtete Vorwerk. Seitdem liefen die Versuche, den Konflikt zu lösen. Der Angriff der Hamas auf Israel sei aber keine Reaktion auf den stockenden Friedensprozess gewesen, sondern aus der Charta der Organisation zu erklären, die die Zerstörung des jüdischen Staates vorsehe. Vorwerk betonte, die Hamas habe "nie etwas mit dem Friedensprozess zu tun gehabt". Die Existenz Israels werde von ihr bedingungslos abgelehnt.
Die Hamas ist noch relativ jung und wurde 1988 während des ersten Palästinenseraufstands gegründet. Vorwerk bezeichnete sie als Zweig der fundamentalistischen Muslimbruderschaft, die unter anderem in Ägypten verbreitet ist. 2007 riss sie die Macht im Gazastreifen an sich, aus dem sich Israel 2005 einseitig zurückgezogen hatte.
Seitdem hat sie nach Vorwerks Worten den Gazastreifen "quasi zu einer Raketenabschussbasis ausgebaut". Die von der Hamas betriebene Militarisierung des Konflikts "hat ganz wesentlich die Not der Menschen verschärft". Die derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen könnten noch monatelang andauern.
Auf die entscheidende Frage, wie es danach weitergehe, könne er nur sagen: "Wir alle wissen es nicht." Erste Andeutungen gebe es aus Israels Regierung, die nicht wieder zu einer dauerhaften Besetzung und Verwaltung des Gebiets zurückkehren wolle. Bei einer Zwei-Staaten-Lösung als Ziel werde Israel mehr denn je auf seine Sicherheit achten.