Sanguisorba officinalis fühlt sich wohl zwischen Sendelbach und Pflochsbach. Judith Kühl jedenfalls ist umzingelt von der Pflanze, deren deutscher Name Großer Wiesenknopf lautet. Die 29-Jährige kniet in einer Wiese unweit der Kläranlage bei Sendelbach, um sie herum ein Meer der rotbraunen, kugeligen Blüten des Wiesenknopfs. Die Art ist nur eine von vielen, die Kehl und ihre Kollegen in den vergangenen eineinhalb Jahren erfasst haben.
Die Geoökologin gehört zum Team der Nürnberger Anuva Stadt- und Umweltplanung GmbH. Das Büro mit 25 Mitarbeitern ist auf die landschaftspflegerische Begleitplanung von großen Verkehrsbauprojekten spezialisiert. Jetzt hat es im Auftrag des Staatlichen Bauamts die Tier- und Pflanzenvielfalt in jenem Korridor zwischen Wiesenfeld, Hausen und Sendelbach kartiert, in dem der B26n-Zubringer nach Lohr gebaut werden könnte. In dieser Woche wurden die Außenaufnahmen abgeschlossen.
Suche nach Schlüsselarten
Begonnen hatten sie im Frühjahr 2020. Im vergangenen Jahr hatten die Kartierer laut Projektleiter Christian Popp (31) vor allem die Tierwelt im Blick. Dabei wurde nach jenen seltenen oder bedrohten Arten gesucht, die im Fall des Straßenbaus einen großen Aufwand bei Ausgleichsflächen zwingend erforderlich machen. Biber, Zauneidechse, Hasel- oder Fledermäuse, zählt Popp auf, Reptilien und Amphibien ebenso wie alle europäischen Brutvogelarten.
Da es ein enormer Aufwand wäre, jeden Quadratmeter abzusuchen, gibt es für die Kartierung standardisierte Verfahren. Dabei besteht die Vorarbeit laut Popp darin, anhand von Karten, früheren Erhebungen und einer groben Begehung des Geländes zunächst die besonders sensiblen Bereiche zu identifizieren. Sind diese Bereiche ausgemacht, beginnt die Detailarbeit, verteilt über mehrere Termine im Jahr.
Kescher und Horchboxen
Weil Tiere nicht darauf warten, gezählt zu werden, sondern häufig versteckt leben, haben die Artenkenner so ihre Tricks. Wohl mit am leichtesten zu entdecken sind die Vögel. Hier werden laut Popp "die Ohren gespitzt", um anhand des Gesangs die Arten zu erfassen. Natürlich gehört auch das Fernglas zum Standardwerkzeug. Jede Sichtung wird sogleich per GPS-Gerät örtlich erfasst. Auf der Suche nach Amphibien packen die Artenkenner an Gewässern und nassen Stellen den Kescher aus und lauschen dem Quaken der Frösche.

Schwieriger ist es bei leisen, verborgen lebenden Arten. Um beispielsweise der Schlingnatter auf die Spur zu kommen, legen die Kartierer etwas aus, was manch Waldgänger schon für Müll gehalten hat: schwarze Teichfolie. Sie wird von der Sonne erwärmt, weswegen sich die Nattern gerne unter ihr verkriechen und dann leichter zu finden sind.
Anders bei dämmerungs- und nachtaktiven Fledermäusen. Ihr Bestand wird unter anderem mit 20 "Horchboxen" erfasst. Die Zeitschaltuhr gesteuerten Geräte nehmen die von Fledermäusen ausgesandten Ultraschall-Laute auf. Auch für die Haselmaus gibt es spezielle Boxen. In die Kunststoffhüllen sollen die Nager ihr charakteristisches Nest bauen, was bislang laut Popp in dem untersuchten Korridor jedoch noch nicht der Fall war.
Weniger trickreich aber nicht minder arbeitsintensiv ist das Erfassen der Pflanzenwelt. Hier, so schildert Geoökologin Kehl, geht es nicht zuletzt um die Artenzusammensetzung der Lebensräume. Detaillierte Schlüssel und Kartieranleitungen legen fest, aus welcher Artenvielfalt und -kombination sich welche ökologische Wertigkeit einer Fläche ergibt. Die Wiese, in der Kehl südlich von Sendelbach kniet, ist aufgrund der mindestens elf vorkommenden Pflanzenarten als "Artenreiche Flachlandmähwiese" eingestuft. Zu welchen Ergebnissen die nun abgeschlossene Kartierung der Artenvielfalt mit Blick auf die Trassenfindung für einen möglichen B 26n-Zubringer führt, ist im Detail noch offen. Denn auf die nun abgeschlossene Außenaufnahme folgt die Büroarbeit. An deren Ende wird ein Kartenwerk stehen, das in farbigen Abstufungen veranschaulicht, wo die nachteiligen Auswirkungen des Straßenbaus am größten wären. Im Fachjargon spricht man von Raumwiderständen.
Wie Martin Albert, Bauingenieur beim Staatlichen Bauamt, sagt, fließen in diese Karten auch etliche weitere "Schutzgüter" gleichwertig zum Naturaspekt ein, darunter Bodendenkmäler, das Lokalklima und der Wasserschutz, aber natürlich auch Auswirkungen auf Menschen, zum Beispiel in Form von Straßenlärm. Weitere Faktoren seien die Länge einer möglichen Trasse, der technische Bauaufwand und die daraus resultierenden Kosten.
Flickenteppich an Biotopen
Mit Blick auf die Tier- und Pflanzenwelt kann Kartierer Popp noch keine abschließenden Ergebnisse nennen. Der Zwischenstand lasse jedoch erkennen, dass in dem untersuchten Korridor ein großer Flickenteppich mit sehr differenzierter Tier- und Pflanzenwelt existiere. Es werde "sowohl im Offenland als auch im Wald hohe Raumwiderstände" geben, umschreibt Popp, dass die Suche nach einer möglichst verträglichen Trasse für einen Zubringer nach Lohr kein leichtes Unterfangen werden dürfte.

Hintergrund: Korridor und Trassenvarianten des möglichen B26n-Zubringers zwischen Wiesenfeld und LohrDer Untersuchungskorridor, der für den Bau des B 26n-Zubringers zwischen Wiesenfeld und Lohr infrage kommt, umfasst eine Fläche von rund 20 Quadratkilometern. Er reicht im Süden bis an die Ortsbebauung von Hausen heran und erstreckt sich im Norden bis über die Straße zwischen Wiesenfeld und Steinbach hinaus.Anfangs- beziehungsweise Endpunkt des Zubringers wären die bereits geplante Ortsumgehung von Wiesenfeld sowie die Staatsstraße zwischen Lohr und Rodenbach, etwa die Kreuzung am Obi-Markt. Zur Straße würde auch eine dritte Mainbrücke im Lohrer Süden gehören. Die wahrscheinlichste Trassenführung dürfte von Wiesenfeld kommend zwischen Hausen und den Erlenbacher Höfen hindurch ins Buchental und von dort über die Anhöhe bei Mariabuchen hinweg hinunter ins Maintal führen. Dort würde der Zubringer wohl im Bereich von ehemaliger Mülldeponie und Schützenhaus auf die dann dritte Mainbrücke münden.In einer vorläufigen Karte sind die sogenannten Raumwiderstände für einen Straßenbau farblich abgestuft dargestellt. Rote Flächen markieren einen "sehr hohen Raumwiderstand", die orangenen einen hohen, die gelben einen mittleren. In den weißen Bereichen gelten die Raumwiderstände als nachrangig. Welche Trassenvarianten es aktuell innerhalb des Planungskorridors im Detail gibt, sagt das Staatliche Bauamt nicht. Es spricht jedoch von einem Bündel an verschiedenen denkbaren Trassen. Deren Prüfung soll bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Am Ende der Prüfung soll im Idealfall eine einzige "Vorzugsvariante" stehen. Für deren Trasse würde es dann zum einen weitere Detailuntersuchungen geben. Zum anderen würden auch die betroffenen Kommunen dazu gehört.Quelle: