Ein riesiger Andrang hat am Sonntagnachmittag bei der Stadtführung zum Thema "Sagen, Geschichten und Anekdoten" in Lohr geherrscht. Seit 2019 beteiligt sich die Stadt mit ihren Gästeführerinnen und Gästeführern am Weltgästeführertag. Dieser wird am 21. Februar, dem Gründungstag des Weltverbands, oder am Wochenende davor oder danach begangen. Die beiden Stadtführer Angelika Feuser und Bernhard Schneider waren überwältigt von der großen Resonanz.
Zuerst wollten sie die Gruppe angesichts des vollen Lohrer Schlossplatzes teilen. Doch als Feuser die Besucher zu sich rief und mit lauter Stimme zu ihnen sprach, stellte sich heraus, dass alle rund 150 Teilnehmer sie gut verstanden. "Dann bleiben wir doch zusammen, denn wir haben eine gemeinsame Führung vorbereitet, bei der wir uns die Bälle zuwerfen", verkündete sie.
Sechs Hörbänke in der Stadt
Die Stadtführerin stimmte sogleich auf das Thema ein: Sagen hätten die Gemeinsamkeit, dass von Personen mit realen Orten aus der Vergangenheit erzählt werde. "So hört es sich für die Leute an, als ob das echt war", betonte sie. "Burlich" würden solche Geschichten im Lohrer Dialekt heißen. Das Wort komme vom Lateinischen "burlare", was soviel heiße wie "zum Narren halten". Im Altdeutschen gebe es das Wort "purren", was ebenfalls "necken" bedeute, erläuterte Feuser.
In Lohr gibt es ihrer Aussage zufolge sechs Hörbänke, wo man sich mittels QR-Code "Burlich" erzählen lassen kann. Das erste Burle gab sie gleich noch auf dem Lohrer Schlossplatz zum Besten: Ein Postbote sei auf dem Glatteis ausgerutscht, woraufhin ein städtischer Bediensteter, der das beobachtet hatte rief: "Oh, dä Ölpl! Sin alle bei euch bei der Post so?" Kam die schlagfertige Antwort: "Naa, ich bin der eenzich, die annern schaffe bei der Stadt!"
Der Rundgang ging zunächst in den Ottenhof, in die Lohrtorstraße, zum Gänsebrunnen, danach unterhalb der alten Kirchenmauer weiter bis zum Kirchplatz und in die St. Michaelskirche. Stets erläuterten die Stadtführer Besonderheiten der Häuser, Skulpturen und vor allem auch der früher dort lebenden Menschen. Das geschah einerseits anschaulich mit geschichtlichen und architektonischen Fakten, andererseits durften die Teilnehmer aber auch über Sagen und bekannte Märchen schmunzeln, die eingewoben wurden.
Publikum einbezogen
Feuser und Schneider bezogen das Publikum humorvoll mit ein, so dass ein vollkommen entspanntes Miteinander entstand. Dass es in Lohr einmal fast 50 Mühlen gab, erfuhren die Teilnehmer an der ehemaligen Stadtmühle in der gleichnamigen Gasse. Nächster Halt war die Stadtmauer in der Anlage, wo Mitte des 19. Jahrhunderts der Stadtgraben aufgeschüttet worden war, weil die Menschen immer ihren Müll hineingeworfen hatten. Statt einer Müllhalde entstand dort ein Park mit exotischen und einheimischen Bäumen.
Lustig waren die Geschichten über den Lohrer "Itsche-Michel" anzuhören, der nicht "ich", sondern nur "itsch" sagen konnte. Auch die Frage, warum es im 18. Jahrhundert so viele uneheliche Kinder gab, wurde beantwortet Nicht etwa weil durch die "beengten Lebensverhältnisse die Immoralität der Bewohner" gestiegen war, wie Rudolf Virchow in seinem berühmten Buch über die "Not im Spessart" vermutet hatte.
Rund 90 Minuten unterwegs
Der Grund war eine damalige Vorschrift zur Eheschließung, die besagte, dass man nur mit einem Vermögen von 200 Gulden überhaupt heiraten durfte – für arme Lohrer ein Ding der Unmöglichkeit. Ab 1968 durfte dann frei geheiratet werden. Und schon seien 90 Prozent der unehelichen Kinder zu ehelichen geworden, hieß es bei der Führung.
Nach rund 90 Minuten ging es zur letzten Station auf den oberen Marktplatz. Immerhin rund 90 Teilnehmer hatten bis zum Schluss durchgehalten. Entsprechend erfreut zeigte sich Feuser am Ende der Führung: "Ich hatte schon einmal 75 gehabt, aber das heute hat mich total überwältigt."