Möbel stehen auf dem Adenauerplatz in Marktheidenfeld – ein Bett, zwei Schränke, Tisch und Stühle. Sie sind aufgebaut wie eine Wohnung: Schlafzimmer und Essbereich – und hinter dem Bett steht in übergroßen Buchstaben geschrieben: WIR. Das alles gehört zu einer Aktion der IG Metall, die am Samstag stattfand. Sie will auf ein Problem aufmerksam machen, das viele Arbeitnehmer betrifft: In Marktheidenfeld gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum.
„Wenn der Wohnraum bezahlbar wäre“, erklärt René Feierabend, Betriebsratsmitglied der Firma Schneider Electric, „dann würde ich auch hier wohnen.“ Doch Feierabend lebt in Aschaffenburg und nimmt jeden Tag eine rund 40 Kilometer lange Anfahrt zu seinem Arbeitsplatz in Kauf. „Die Wohnungen in Aschaffenburg sind einfach billiger“, sagt er. Feierabend ist kein Einzelfall, das wissen die Mitglieder der IG Metall.
Jürgen Wawersig, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Würzburg, schildert die Problematik, mit der die Betriebsräte der ansässigen Firmen auf ihn zukommen: „Wenn Mitarbeiter in eine Firma einsteigen wollen, dann brauchen sie bezahlbaren Wohnraum“, erklärt er, „der ist aber sehr schwer zu bekommen.“ Diese Situation stellt Wawersig gemeinsam mit Betriebsratsmitgliedern und Jugendvertretern mehrerer Marktheidenfelder Firmen dar.
Wawersig sagt, er habe sich im Internet informiert, welche Wohnungen momentan in Marktheidenfeld angeboten werden. „Fünf habe ich gefunden“, erzählt er, „eine davon hatte 37 Quadratmeter Wohnfläche und eine Kaltmiete von 825 Euro.“ Für einen normalen Arbeitnehmer sei das nicht bezahlbar. Eine Einzimmerwohnung mit 34 Quadratmetern findet man für 260 Euro kalt, warm kommt man auf 370 Euro. Eine 2,5-Zimmerwohnung gibt es für 480 Euro kalt und 640 Euro warm.
Eine Passantin wird auf den Stand aufmerksam und bestätigt, was die IG Metall darstellt: „Meine Wohnung kostet etwas mehr als 500 Euro warm. Der Zustand ist nicht der beste, es wird wenig gemacht.“ 500 Euro erscheinen auf den ersten Blick eher bezahlbar als 825 Euro. Die Problematik muss aber immer im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. „Verdient man nur etwas mehr als 1000 Euro, sind 500 Euro viel Geld für Wohnraum“, sagt Bernd Ruppert, Betriebsratsvorsitzender der Firma Warema.
Zudem kämen auf potenzielle Mieter immer wieder Hürden seitens der Vermieter hinzu. „Der Familienstand, das Beschäftigungsverhältnis, das Einkommen und die Bonität, das alles wird abgefragt“, sagt Wawersig. Eine große Eingangshürde ist in seinen Augen die Sprache. „Beste Voraussetzungen hat man, wenn man fränkisch spricht“, erklärt er. „Kommt ein Weltbürger mit internationaler Sprache, dann heißt es schnell: Die Wohnung ist vergeben.“ Auch die äußere Erscheinung trage zur Entscheidung für oder gegen einen Mieter bei. All diese Hürden wurden für die Passanten auf einem großen Plakat aufbereitet.
Zudem stelle die Wohnungsvermittlung selbst ein Problem dar. „Im Internet liegen die Quadratmeterpreise in Marktheidenfeld weit über denen in Würzburg“, klagt Wawersig. Im August kostete der Quadratmeter in Marktheidenfeld laut der Internetplattform immowelt.de im Durchschnitt 13,14 Euro, in Würzburg nur 11,19 Euro. Günstigere Wohnungen bekomme man nur, wenn man Kontakte habe. „Diese hat man aber nicht, wenn man von auswärts kommt“, sagt Wawersig.
Wo liegt das Problem? „Marktheidenfeld und seine Industrie sind stark gewachsen“, erklärt der Gewerkschaftssekretär. Die Stadt mit ihren Industriegebieten in Altfeld oder am Dillberg habe viel produzierendes Gewerbe. Wawersig weiß: „Das zieht Menschen an.“ Und diese brauchen wiederum Wohnraum. „Marktheidenfeld hat zudem mehr Industriearbeitsplätze als zum Beispiel Lohr“, erzählt er. Deshalb würden nun immer mehr Arbeitnehmer an die Betriebsräte herantreten und nach billigem Wohnraum fragen. „Die Betriebsräte fühlen sich aber von der Politik im Stich gelassen“, erklärt Wawersig.
Mit den Betriebsräten hat er Forderungen verfasst, die sie in der aufgebauten Wohnung präsentierten. „Wir fordern sozialen Wohnungsbau seitens der öffentlichen Hand“, erklären die Betriebsräte. Zudem erwarten sie die Ausweisung bezahlbarer Bauplätze – mit Bauzwang. „Das ist ein sehr wichtiger Mechanismus“, sagt Wawersig. Außerdem soll ein runder Tisch zusammenkommen, an dem Politiker, Arbeitgeber und Gewerkschafter sitzen. Die IG Metall will lange Anfahrtswege der Arbeitnehmer verringern und sagt ganz klar: „Bezahlbarer Wohnraum ist die halbe Miete.“
In der Wohnung auf dem Adenauerplatz ist ständig Bewegung. „Die Menschen sollen so aufmerksam werden und anfangen, über die Problematik nachzudenken“, erklärt Wawersig. Und: Diejenigen, die entscheidende Veränderungen anstoßen können, sollen reagieren. „Das ist ganz klar die Politik“, so Wawersig. Bernd Ruppert schreibt deshalb auf ein großes Plakat: „Wir fordern bezahlbaren Wohnraum und die Mietpreisbremse.“
Auch er kennt die Probleme seiner Kollegen, die keine bezahlbare Wohnung in Marktheidenfeld finden. „In der Produktion arbeitet eine alleinerziehende Mutter aus Gössenheim“, erzählt er. Diese müsse ihre Tochter jeden Tag vor der Arbeit nach Gemünden fahren, da nur dort eine Kinderbetreuung zu finden war. „Die Frau fährt also jeden Morgen erst in die entgegengesetzte Richtung und dann über Lohr nach Marktheidenfeld und am Abend die gleiche Strecke zurück“, schildert Ruppert. Dies sei eine enorme finanzielle Belastung. Der Betriebsratsvorsitzende bedauert: „Da bleibt auch wenig Zeit für das Kind.“
Für Ruppert ist klar, dass schnell etwas passieren müsse. „Die Menschen mit einer höheren Einkommensstruktur schnappen die Wohnungen weg und die untere Einkommensgruppe geht leer aus“, kritisiert er. Jeder Mensch habe das Recht auf bezahlbaren Wohnraum. „Leerstand ist zwar vorhanden“ erklärt Ruppert, „aber ob dieser finanziell zumutbar ist, ist die andere Frage.“ So hofft die IG Metall, dass bald eine Podiumsdiskussion in Marktheidenfeld stattfinden kann. Für Ruppert ist wichtig, das alle von einer möglichen Lösung profitieren: „Die Win-Win-Situation ist unser Ziel.“