Werte und Wertewandel in Deutschland standen am Mittwochabend im Lesesaal der Bibliothek im Mittelpunkt. Der Unibund und die Vhs hatten zum gleichnamigen Vortrag von Mira Hassan eingeladen.
Dass der Begriff Werte weit auszulegen ist, erlebten ein Dutzend Zuhörer, die sich wohl mehr auf philosophische Betrachtung eingestellt hatten. Tatsächlich referierte die Studentin des Masterstudiengangs Political and Social Sciences und wissenschaftliche Mitarbeiterin 40 Minuten lang über politisch-soziologische Theorien in der Wissenschaft, die aufgrund empirischer Untersuchungen manche Thesen unterstreichen oder sie widerlegen.
Sie definierte den Wertebegriff zunächst aus soziologischer Sicht und nannte beispielhaft für eine Veränderung die Haltung der Bevölkerung und auch der Regierung zur Atomenergie vor und nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Das führte dazu, dass dieselbe Regierung, die vorher die Laufzeitverlängerungen durchgesetzt hatte, nach dem Unglück den Atomausstieg beschloss.
Langsame Veränderung
Generell verändern sich Werte nicht so schnell, wie der US-amerikanische Politologe Ronald Inglehart festgestellt habe. Er lehnt sich an Theorien aus den 1950er Jahren an, nach denen zunächst die materiellen Bedürfnisse im Vordergrund stehen und dann erst nichtmaterielle Werte in Erscheinung treten. Shalom H. Schwartz, einer seiner Kritiker, vertritt die Meinung, dass Werte in der Regel weitergegeben, vererbt werden. Allerdings geschehe das nicht vollständig. So sei zu erklären, dass ein Wertewandel oft erst mit einem Generationenwechsel eintrete.
Hassan führte Beispiele an: Nach Inglehart hat die Nachkriegsgeneration zunächst an die Nahrungsbeschaffung gedacht, erst später kamen die postmateriellen Ausprägungen dazu. Die von Schwarz vor zwölf Jahren entwickelte Theorie hingegen besagt, dass Werte wie Sparsamkeit von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Im weiteren Lebensverlauf lernen diese dazu, dass man sich vielleicht etwas mehr gönnen könne. Damit verändern sich die Werte zwar nicht um 180 Grad, aber feststellbar, erklärte die Referentin. Um diese Theorien zu stützen oder zu widerlegen, würden umfangreiche Befragungen vorgenommen. Denn solche Entwicklungen hätten großen Einfluss auf die politische Kultur und politische Landschaft. Nach ihren Forschungen haben sich die Wertetypen in Europa und in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt nicht gravierend verändert.
Erhebungen statt Spekulation
Das Vertrauen in die Politik sinke mit zunehmendem Lebensalter, zwar nicht dramatisch, aber kontinuierlich. Auch das „Wohlwollen“ gegenüber anderen Menschen nehme ab. Werte und Wertvorstellungen bilden zumindest teilweise die Identität einer Gesellschaft. Dazu kommen Faktoren wie Ethnizität, Kultur und Sprache, fasste sie zusammen. Hassan wies auf die Bedeutung von Umfragen und die Erhebung von Daten hin als Grundlage für die wissenschaftliche Forschung hin. „Alles andere wäre Spekulation.“