Die Grimmschen Bücher müssen umgeschrieben werden. Zumindest, was Schneewittchen und die sieben Zwerge angeht. Denn eine Würzburger Laienspielgruppe hat sie ersonnen und beim Lohrer Rambourfest gezeigt, die Fortsetzung des Märchens in der Neuzeit. Schneewittchen 4.0 sozusagen. Den Gästen im Mehlingskeller schien's zu gefallen.
Die Zwerge sind verzweifelt. Wie nur könne sie die ständigen Mordanschläge der bösen Stiefmutter auf ihr Schneewittchen verhindern? Oder besser: es immun dagegen machen.
In einer Art Zwerge-Führungsseminar ersinnen sie eine Lösung. Man müsste das Schneewittchen darauf trainieren, „Nein“ zu sagen.
Also locken sie es: mit Süßigkeiten, einem modischen Täschchen, einer Spieluhr, einem Kuschelfrosch. Immer besteht Schneewittchen die Prüfung und sagt „Nein“.
Doch als aus dem Frosch ein „Prinz“ wird, kann sie nicht widerstehen – auch wenn der nur 20 Zentimeter groß ist. Durchgefallen.
Also stecken die Zwerge die Köpfe erneut zusammen. Ihr neuer Ansatz: Stets hat der Spiegel der bösen Stiefmutter verraten, wer die Schönste im Land war. Nicht sie, sondern das Schneewittchen.
Daher muss das schöne Kind vor dem Spiegel versteckt, ja unkenntlich gemacht werden. Da helfen heutzutage falscher Bart, Brille, Gummistiefel und eine Perücke.
Doch als Schneewittchen einen rosa Jogginganzug á la Cindy aus Marzahn anziehen soll, streikt sie. Schließlich habe sie eine Ruf zu verlieren. Wieder gescheitert.
Da geht Zwerg Bertold ein Licht auf. Wenn der Stiefmutter schon nicht mit Täuschung beizukommen ist, hilft vielleicht rohe Gewalt. Schneewittchen muss stärker sein als die hinterlistige Alte.
Das Training zeitigt erste Erfolge. Im Armdrücken und Expanderziehen schlägt Schneewittchen ihre gutmütigen Mitbewohner locker. Sogar mit einem zwergenhaften Sumoringer kann sie es nun aufnehmen. Endlich bestanden.
Körperlich und mental gestärkt machen sich die Zwerge daran, Schneewittchen ein wind- und wetterfestes Kleid zu schneidern. Natürlich nur so gut, wie sie es selbst vermögen.
Das, was rauskommt, erinnert doch sehr an das von Valentin Lude geschaffene Horrorwittchen: ein langes, grünes Ganzkörperkleid mit langen, dicken „Zöpfen“.
Jetzt überschlagen sich die Ereignisse. Plötzlich heißt es: „Alarm, die böse Stiefmutter naht“.
Sich ihres Sieges sicher fühlend, stürmen die Zwerge aus dem Haus, Schneewittchen mit erhobenem Messer und wehenden „Zöpfen“ hinterher. Ganz so, wie es Lude ersann.
Die Einstellung zeigt gleichzeitig das Schlussbild des Stückes. Und dem Zuschauer wird klar: Die Schauspieltruppe interpretiert das Motiv ganz anders, als es wohl bisher die meisten Betrachter getan haben. Schneewittchen jagt nicht den Zwergen hinterher, sondern alle der Stiefmutter.
„Heiho, Schneewittchen wird jetzt sicher sein, heiho“ singen die Zwerge zum Ausklang. Und sind froh.
Froh sind – den Reaktionen nach zu schließen – auch die meisten Zuschauer. Viele haben geschmunzelt, manche gelacht. „Eine tolle Idee“, „amüsant“ ist zu hören.
Susanne Grimm und ihre Schauspielkolleginnen hangeln sich geschickt an dem alten Märchen entlang und bauen geschickt Skurriles aus der Neuzeit ein. Auch wenn ihre Pointe manchem Zuschauer vielleicht über zu viele Ecken gedacht ist.
Auf die roten Schmierereien, die die seit kurzem an der Lohrer Stadthalle stehende Schneewittchen-Figur erleiden musste, konnten die Laiendarsteller nicht mehr reagieren. Wollten es auch nicht.
Mit ihrem Theaterstück wollten die Frauen die Meinungen der unterschiedlichen Lager nicht weiter auseinander treiben, im Gegenteil. „Vielleicht werden damit der Skulptur die Ressentiments genommen“, sagte Susanne Grimm nach dem Auftritt.
Sie und ihre Mitstreiterinnen freuten sich auch darüber, dass der Mehlingskeller bei ihren vier 20-minütigen Auftritten fast immer ganz voll waren. Schneewittchen 4.0: Es hat den Löhrern offensichtlich gefallen.