Jürgen und Andrea Amthor haben sich an der Eußenheimer Tabaksmühle eine außergewöhnliche Existenz aufgebaut: Seit zehn Jahren stellen sie biozertifizierte Produkte mit Effektiven Mikroorganismen (EM) her. Insgesamt gibt es nur etwa ein halbes Dutzend EM-Produktionsbetriebe in ganz Deutschland.
Eine Halle in Stahlträgerkonstruktion war damals die günstigste Variante für die neue Firma. Sie beherbergt sowohl den Raum, in dem die Mikroorganismen vermehrt werden, als auch die Werkstatt, in der diese abgepackt werden. Zudem sind hier Büros und in der Mitte der Vortrags- und Ausstellungsraum, in dem Jürgen Amthor Interessierten die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der EM erklärt.
Diese sind verblüffend. Eingesetzt werden die Organismen für die Gesundheit von Mensch und Tier ebenso wie für die Düngung im Gartenbau und der Landwirtschaft oder im Hygienebereich und sogar in Kläranlagen.
Die Mischung macht's
Jeder weiß, dass sich Kohl haltbar machen lässt, ohne ihn einzufrieren oder einzukochen. Das ist auf Mikroorganismen zurückzuführen – auf Milchsäurebakterien. Diese machen das Kraut zu Sauerkraut, ohne dass davon etwas verfault. Bei der EM-Technologie wird nun eine Mischung vieler verschiedener Mikroorganismen eingesetzt, die miteinander in Symbiose leben, also einander brauchen, um zu leben.
Wissenschaftlich anerkannt sind die Wirkungen von EM hierzulande nicht. Aber zum Beispiel setzt sie das SOS-Dorf Hohenroth zum Düngen ein. Die Neumarkter Lammsbräu verwendet sie für eine Vielzahl von Vorgängen, vom Fermentieren der Brauereiabfälle bis zum Gebrauch als Reinigungsmittel. Die Stadt Würzburg bekämpft damit den Algenbewuchs im Teich im Glacis. Und in Costa Rica, so weiß der Eußenheimer, wird das Wissen um EM sogar an der Uni gelehrt.
Diese Lehre geht auf den japanischen Agrarwissenschaftler Terua Higa zurück. Vor etwa 30 Jahren stellte er bei der Entsorgung einer Mikrobenmischung auf Gras fest, dass dieses anschließend schneller wuchs. Er stellte die These auf, dass am Anfang eines biochemischen Prozesses eine relativ kleine Mehrheit an Mikroben entscheidet, ob der Prozess in eine aufbauende Richtung oder in Fäulnis mündet.
Beispielsweise werden 80 Liter Mikroorganismen zur Düngung von einem Hektar Ackerfläche empfohlen. Gleichzeitig aber sei der Boden nicht tiefgründig zu bearbeiten und mit Mulch oder Mist zu „füttern“, damit er leben kann, betont Amthor.
Er schiebt ein Schäufelchen in einen Haufen grauer Pellets. Es handelt sich um Dünger, den er selbst entwickelt hat. Weltweit seien diese Pellets einzigartig. Auf die Idee kam er durch einen Winzer, der einem seiner Vorträge zuhörte. Mikroorganismen werden meist in flüssiger Form ausgebracht. Der Winzer bedauerte, dass es sie nicht wie viele andere Dünger in fester Form gibt. Also erfand Amthor diese Pellets, die aus EM, Urgesteinsmehl, Holzkohle und Kräutern bestehen.
Für die Gesundheit
Die meisten der zwölf Produkte der Eußenheimer Manufaktur jedoch dienen der menschlichen Gesundheit. Bei der inneren Anwendung wirken sie über den Darm, dessen Flora bekanntlich ein entscheidender Faktor für den Zustand eines Menschen ist.
Stolz ist Jürgen Amthor auf die Entwicklung eines Safts aus Topinambur, auf den er das Patent hat. Ähnliches gab es bereits in Japan, allerdings aus Reiskleie und Papaya. Die Tobinambur-Knolle jedoch enthält Inulin, Betain, Cholin und Saponine. Ihr wird vielfache Heilwirkung nachgesagt. Sie wird neun Monate mit EM fermentiert.
In erster Linie gehe es darum, das Milieu zu verändern, das zum Beispiel beeinträchtigt ist durch Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, Antibiotika und andere Umwelteinflüsse, sagt Amthor. Die Produkte würden harmonisierend wirken auf den Stuhlgang. Es gebe weniger Erkältungen. Neurodermitis lasse sich lindern oder sogar heilen. Positiv seien die Auswirkungen auf den Blutdruck, den Cholesterin- und Blutzuckerspiegel. Die Würzburger Selbsthilfegruppe Ruhelose Beine baue auf EM. Und viele Krebspatienten würden die Mikroorganismen zur Stärkung ihres Immunsystems einnehmen.
Und wie wirksam sind die Substanzen nun wirklich? Amthor betont, er würde sich nie anmaßen zu behaupten, sie seien die Allheilmittel. Teure Studien wie die Pharmaindustrie könnten sich die Kleinerzeuger nicht leisten. Er werde nie den Rat geben, eine Chemotherapie durch EM zu ersetzen, betont Amthor. Aber es gebe sehr wohl Rückmeldungen über Erfolge, die von Heilpraktikern und Ärzten bestätigt wurden.
Von Zahnpasta bis Kuhstall
Für die äußerliche Anwendung gibt es Cremes, Hauptspray oder Zahnpasta. Die Palette reicht bis hin zu Haushaltsreinigern, die einerseits hautschonend sind und andererseits die Umwelt entlasten. Zudem werden die Produkte in Ställen eingesetzt, um dort den Geruch zu verringern. Um die vielfältigen Geschäfte abzuwickeln, arbeitet die Außen- und Einzelhandelskauffrau Lisa Amthor seit einiger Zeit mit in der Firma.
Um noch einmal zum Thema Algenbewuchs zurückzukehren: Sollte die Eußenheimer Manufaktur den Zuschlag zur Bekämpfung von Blaualgen in einem See mit 14 Millionen Kubikmetern auf den Azoren bekommen, so wäre dies der bisher größte Auftrag.