Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Karlstadt
Icon Pfeil nach unten

"Wir wollen niemanden anklagen"

Karlstadt

"Wir wollen niemanden anklagen"

    • |
    • |
    "Wir wollen niemanden anklagen"
    "Wir wollen niemanden anklagen" Foto: FOTO BRIGITTE SCHUHMANN

    Am Vorabend des Schabbat, wenn jüdische Frauen den Leuchter anzünden und den Segen sprechen, belebte sich die ehemalige Synagoge in Wiesenfeld. Die etwa 40 jungen Stimmen von Kinder- und Jugendchor des Sängerkranzes sangen vom Frieden: "Schalom chaverim."

    Wiesenfelder des Geburtsjahrgangs 1920/21 trafen zusammen, um sich an eine von ihnen zu erinnern, an die Jüdin Frieda Stern, der noch rechtzeitig die Flucht aus Hitler-Deutschland gelang. Ihre Erinnerungen an das Pogrom am 10. November 1938 verlas ihre frühere Banknachbarin aus der Schulzeit, Gunda Schaub. Dieser Augenzeugenbericht war in der Samstagsausgabe der MAIN-POST abgedruckt.

    Als "einzigartiges Dokument" wertete Bürgermeister Karl-Heinz Keller den erschütternden Text. "Wir wollen niemanden anklagen", unterstrich Keller: "Wir wollen erinnern und mahnen, dass die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen werden." In einem umfangreichen Kapitel der Ortschronik von Adolf Link sei die über 500-jährige Geschichte der Juden in Wiesenfeld dokumentiert, erklärte der Bürgermeister.

    Von Würzburg aus ins KZ

    Zeitweise waren über 100 Personen mosaischen Glaubens ansässig bei einer Gesamteinwohnerzahl unter 1000. Bis 1942 lebten Juden im Ortsteil. Die letzten wurden am 25. April 1942 von Würzburg ins KZ Lublin deportiert.

    Als sprudelnde Quelle der Erinnerung erwies sich das Gedächtnis der Schulkameraden. Besonders gepflegt seien die jüdischen Mitbürger gewesen mit ihren immer frisch gewichsten Schuhen. Stolz seien junge Burschen gewesen, wenn sie mit einem jüdischen Mädchen tanzen durften. "Die war arg gescheit", die Klassenbeste Frieda Stern. Eine tüchtige, ehrliche Frau sei ihre Mutter Mathilde gewesen. Bruder Max habe immer gewissenhaft gebetet.

    Drangsaliert worden seien die jüdischen Schüler schon, erinnert sich eine Mitschülerin. Manchmal seien sie gehänselt worden, schränkt Gunda Schaub ein. "Du Judenstinker" hätten sie zu hören bekommen auch schon vor der Nazi-Zeit. Etwas distanziert seien die jüdischen Mitschüler gewesen, hätten auch nur wenig mit den christlichen Altersgenossen gespielt.

    Seit 1990 hat Gunda Schaub brieflichen Kontakt zu Frieda Strauss. Zum Schulkameraden Rudolf Gopp ist Friedas Verbindung über die Jahrzehnte nie abgerissen. Seine Eltern haben ihrer Mutter und Tante mehrere Nächte Asyl gewährt nach dem 10. November 1938.

    Ein zweites Erinnerungsstück brachte Gunda Schaub in die ehemalige Synagoge, das hebräisch-deutsche Gebetbuch von Gustav Steigerwald. Dieses Gebetbuch begleitete ihn auch ins KZ Theresienstadt. Dort hat er den Holocaust überlebt. Nach seiner Befreiung kehrte er nach Wiesenfeld zurück, wo er bis zu seinem Tod lebte. Von ihm erwarb Sebastian Eugen Schaub, Gunda Schaubs Onkel, das Gebetbuch.

    Aufnahme in der Wandnische

    Der Augenzeugenbericht und das Gebetbuch fanden nun Aufnahme in der östlichen Wandnische der ehemaligen Synagoge, die vor dem Pogrom die Thorarollen beherbergte. Für Frieda sei es tröstlich, dass ihr Schreiben hier untergebracht werde, meinte Gunda Schaub.

    Frieda Strauss lebt heute in einem Altenheim in Haifa. Nach ihrem Exodus arbeitete sie als Fremdsprachenkorrespondentin in Israel. Sie hat zwei Söhne und zehn Enkelkinder. Zu einem Besuch in der alten Heimat hatte Gunda Schaub sie eingeladen. Aber sie wollte von Deutschland nichts mehr wissen: "Nie mehr wollte sie zurück." Wer kann es ihr verdenken.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden