Weg von der kontrollsüchtigen Mutter, der tristen Heimat und dem langweiligen Studentenalltag hin zu aufregenden Abenteuern im Land der Zitronenbäume. Das ist die Sehnsucht von Stefan aus dem Siegerland, das er nur als "Loserland" bezeichnet. Der 22-jährige BWL-Student trägt selbst nicht nur Gewinnergene in sich: Er neigt zu Tollpatschigkeit, Selbstzweifeln und Unselbstständigkeit. Philipp Heilgenthal aus Hofstetten hat ihn zur Hauptfigur in seinem Romandebüt "Erasmus für's Leben" gemacht.
Wie Stefan im Buch hat der 28-jährige Autor über das Erasmus-Programm der Europäischen Union im Ausland studiert. Seinen Roman sieht Heilgenthal, der in Würzburg lebt, als Ratgeber für künftige Erasmus-Studenten. "Mit dem Buch möchte ich mein Wissen weitergeben, auf was man sich bei einem Auslandssemester einlässt und dass man es auf jeden Fall machen sollte", betont er.
Sofort drängt sich natürlich die Frage auf, wie viel vom Autor in der Hauptfigur steckt: "Es braucht niemand denken, dass es eine Autobiografie im Deckmantel ist. Wenn, dann steckt ein bisschen was von mir in mehreren Charakteren des Buchs", sagt Philipp Heilgenthal. Neben eigenen Erlebnissen ließ er sich von den Erfahrungen seiner Freunde inspirieren, die er während seiner beiden Auslandssemester kennengelernt hat. Sein Roman thematisiere viele typische Momente, die Erasmus-Studenten in der Fremde erleben, sagt der 28-Jährige.
So schlittert Stefan in Italien von einer skurrilen Situation in die nächste, muss Kulturschocks verdauen, seine Vorurteile überwinden und trotz Sprachbarrieren neue Kontakte knüpfen. Dass der Deutsche anfangs nicht unbedingt der weltoffenste und selbstbewussteste Typ ist, macht das Zusammenleben mit vier Argentiniern in seiner Wohngemeinschaft nicht leichter.
Exot für die Latinogang
Zum Glück kann er sich hilfesuchend an seinen Cousin Thomas wenden, der bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Süden Mexikos arbeitet und alles ist, was Stefan gern wäre: "Partyboy, Weltenbürger, Sportskanone, Charmeur und Trinkwunder." Am Telefon rät ihm dieser deshalb auch, nicht so viel nachzudenken. Schließlich sei er für die Südamerikaner total exotisch. "Und das kann dich ganz schnell zu einem coolen Aushängeschild für die Latinogang machen", prophezeit Thomas seinem Cousin.
Philipp Heilgenthal ist überzeugt davon, dass verschiedene Kulturen voneinander lernen und profitieren können. "Und sei es nur für die Selbstwahrnehmung, dass jeder etwas Besonderes ist", sagt er. Der 28-Jährige thematisiert in seinem Roman die Vorurteile, die den verschiedenen Nationalitäten zugeschrieben werden: Laute und unpünktliche Argentinier treffen auf einen eher verschlossenen und korrekten Deutschen.
"Viele Klischees haben einen wahren Kern. Andere Kulturen haben einen anderen Lebensstil, und im Gastland ist man dazu genötigt, sich dem anzupassen", erläutert der Autor. Er habe bei seinen Auslandssemestern das Gefühl gehabt, dass viele Studenten mit diesen Vorurteilen spielen würden. Ein Spanier, der 20 Minuten zu spät kam, habe beispielsweise zu ihm gesagt: "Ich darf das, weil ich Spanier bin."
Wie einem das Denken in Stereotypen auf die Füße fallen kann, schildert Heilgenthal in einer witzigen Szene, die ihm so ähnlich selbst passiert ist. Um Kontakte mit Studierenden zu knüpfen, nimmt Stefan mit seinem geliehenen Drahtesel an einer Mountainbike-Tour teil. Die Liste des mitzubringenden Zubehörs ist lang. Deshalb vermutet der Protagonist, dass man ihn, den korrekten Deutschen, einem "Spießertest" unterziehen möchte.
Absurde Tour de Force
Absichtlich legt Stefan sich vieles auf der Liste nicht zu. Dass er bereits ohne Sattel am Startpunkt auftaucht, weil der ihm in der Nacht gestohlen wurde, ist nur der Auftakt einer absurden Tour de Force, bei der der Deutsche neben körperlichen Schmerzen auch viel Hilfsbereitschaft erfährt. Auch die Ess- und Trinkgewohnheiten seines Gastgeberlands sind dem Deutschen nicht geläufig: Nachmittags einen Cappuccino zu trinken oder Spaghetti mit Bolognese-Soße zu essen, ist in Italien beinahe eine Todsünde. Denn einen Cappuccino trinken die Italiener nur morgens, und zur Hackfleischsoße werden Tagliatelle, also Bandnudeln, gereicht.
Jedem Kapitel stellt der Autor ein Zitat von Erasmus von Rotterdam voran, dessen Name Pate für das EU-Programm stand. Dass einem niederländischen Humanisten, der vor 486 Jahren gestorben ist, so viel Raum in einem Roman gegeben wird, der sich an junge Menschen richtet, verwundert. Laut Heilgenthal war ursprünglich nur ein Anfangszitat des Theologen geplant. Bei der Suche danach habe er aber so viele "tolle und zeitlose Zitate gefunden", dass er schließlich jedem Kapitel eins spendiert hat. "Dadurch wollte ich dem Ganzen auch ein wenig intellektuellen Touch geben", erklärt der 28-Jährige.
Schönste Zeit im Studium
Die Corona-Pandemie hat der Hofstettener ganz bewusst ausgeklammert, weil das Buch "ein zeitloser Ratgeber" sein soll. Der Humor war ihm wichtig, weil es derzeit schon genug negative Nachrichten gebe. Heilgenthal bezeichnet seine beiden Auslandssemester als "schönste Zeit im Studium". "Bei Erasmus passieren so viele irrwitzige Sachen, und man entwickelt ein ganz anderes Verständnis für fremde Kulturen", schwärmt er.
Das Buch "Erasmus für’s Leben" von Philipp Heilgenthal ist bei Königshausen & Neumann in Würzburg erschienen und im regionalen Buchhandel sowie online erhältlich. ISBN: 978-3-8260-7517-9