Von Corona-Fesseln weitgehend befreit wurde die sommerliche Freilichtaufführung der Badischen Landesbühne von Molières Verwechslungskomödie „Amphitryon“ vor der Tauberbischofsheimer Schloss zu einem hoffnungsfrohen Muntermacher. Wie reizvoll sich das Doppelgänger-Thema aus der griechischen Mythologie kommentieren lässt, demonstrierte Regisseur Arne Retzlaff bei Szenenwechseln mit häufigen Einspielungen von ABBA-Hits wie „Honey Honey“, „Super Trooper“ oder „Fernando“.
Der muntere Einstieg gelang mit „Honey, Honey“, einem Lied über eine hemmungslose Liebesgeschichte. Später war „Gimme! gimme! Gimme!“ zu hören; in diesem Song wird explizit ein Mann nach Mitternacht begehrt. Gut ausgewählt waren auch die Klänge von „Super Trouper“, mit denen eine Musikerin auf einer Tournee sich in die Arme ihres Geliebten sehnt.
Ohne dass die Paare auf Tuchfühlung gingen – Corona ließ grüßen – , gab es tiefe Einblicke auf ein von vier Helfern mehrmals heruntergeklapptes Lotterbett in Samt und Seide. Die Töne rankten sich wie verführerische Ohrwürmer um die Geschichte des liebestollen Göttervaters Jupiter, der in der Gestalt des Feldherrn Amphitryon dessen Frau Alkmene begehrte und zur Absicherung des Betrugs seinen Boten Merkur in die Rolle des Dieners Sosias schlüpfen ließ.
Leichtfüssig und unterhaltsam wurde Molières Komödien-Klassiker aus dem 17. Jahrhundert präsentiert und dem Ensemble reichlich Gelegenheit geboten, mit Slapstick und Pantomime dem Affen Zucker zu geben.
Man musste schon zweimal hinschauen, um die Doppelgänger von den Originalen unterscheiden zu können. Kerstin Oelker (Kostüme) und Tanja Dammert mit Marie Kolb (Maske) hatten ganze Arbeit geleistet. Die Statur und der Tonfall machten die Unterscheidung möglich.
Überraschend aktuell
Die Inszenierung ließ keine Zweifel darüber aufkommen, dass der Ampithryon-Mythos seit der Theateradaption durch den römischen Komödiendichter Plautus keineswegs an Aktualität verloren hat. Das Selbstbild des Mannes und sein Verständnis von Männlichkeit hat sich in den Grundzügen nicht verändert. Deshalb stürzte die scheinbar so leichte Austauschbarkeit ihrer Persönlichkeiten den Feldherrn Amphitryon und seinen Diener Sosa in existentielle Bedrängnis.
Zu den Höhepunkten des Abends gehörte die Auseinandersetzung des Dieners Sosias mit seinem Doppelgänger, dem göttlichen Spiegelbild, das ihn bis zur völligen Selbstenfremdung trieb. Nicht eine Antwort auf Fragen, die nur Sosias selbst hätte beantworten können, blieb Merkur schuldig. Die Heimkehr des Feldherrn Amphitryon vom Schlachtfeld geriet zum Fiasko, als er – wie sein Diener Sosias – sein eigenes Ich traf und in einer Mischung von Eifersucht, verletztem Stolz und tiefer Resignation verzweifelte. Die von Jupiter begehrte Alkmene ahnte, dass etwas nicht stimmen konnte, wurde aber mit dem Hinweis besänftigt, dass die Liebhaber- und Gattenrolle nicht deckungsgleich sein müssen.
Identitätsdiebstahl gestern und heute
Mit dem Thema der geraubten Identität setzt sich jede Zeit anders auseinander. Mussten die Götter, denen es im Olymp zu dröge wurde, nur in die Gestalt des Sterblichen schlüpfen, um dessen Identität zu vereinnahmen, gibt es heutzutage viele Facetten des Identitätsdiebstahls mit der Übernahme von Konten und illegalem Handel mit gefälschten Accounts dank ergaunerter persönlicher Daten.
Schlüpfte Jupiter noch in eine Person von Fleisch und Blut, fragt man sich heute, ob der abgebildete Mensch vielleicht nur ein computergeneriertes Kunstwerk ist.
So überraschend aktuell der Subtext der Inszenierung war; das Schlussbild, als Göttervater Jupiter das dem Publikum von Anfang an offenbarte Verwirrspiel den verstörten Menschenkindern als „deus ex machina“ verkündete, wirkte demgegenüber reichlich banal. Eine runde Leistung lieferte das Ensemble ab, wobei aus dem Sextett Tim Tegtmeier als Diener Sosias herausstach.